Frischer Wind für Wyoming
21. Januar 2021Als Jim Clayton noch Kohle förderte, brauchte er einen Ort, an dem er seine Abrechnungen erledigen konnte. So wurde der Pub neben der Kohlemine zu seinem Büro. Und als er nach 22 Jahren genug vom Job in der Mine hatte, sattelte er um, übernahm den Pub und benannte ihn um in "The Office".
Heute kehren im Office all diejenigen ein, die im Nordosten Wyomings Kohle, Öl oder Gas aus dem Boden holen.
Der Pub liegt an einer Durchfahrtsstraße nördlich der Kleinstadt Gillette - einer Gemeinde, die sich selbst als "Energie-Hauptstadt der Vereinigten Staaten" bezeichnet. 40 Prozent der in den USA produzierten Energie kamen einst aus Gillette. Die Bürgermeisterin bezeichnet die Energieindustrie als das Rückgrat ihrer Gemeinde. In Gillette war man lange stolz, im Rest der USA das Licht am Brennen zu halten.
Schlechte Aussichten für Kohle
Und heute? "Sieht düster aus", sagt Barbesitzer Jim Clayton, der seinen richtigen Namen nicht nennen möchte und zeigt mit dem Daumen nach unten. Die Ängste der Arbeiter, die sich im Office versammeln, kreisen stets um ein Thema: Wenn die Energiepreise nicht steigen, wird es schwer zu überleben.
Bei der Kohle bietet Wyoming viele Vorteile: Die Kohle liegt hier direkt unter der Oberfläche, ist deshalb leicht und günstig abzubauen. Zwar hat sie einen geringeren Energiegehalt als beispielsweise Kohle aus den Appalachen, setzt dafür aber weniger schädliches CO2 und Sulfur frei. In den 1970er-Jahren machte die Kohle Gillette zu einer Boomtown. Zahlreiche Menschen strömten hierher, um sich ein Leben in der Mittelschicht zu verdienen.
Heute ist es schwer zu glauben, dass es mit der Kohleindustrie bergab gehen soll: Noch immer werden jede Sekunde in Wyoming 12 Tonnen Kohle aus dem Boden geschaufelt.
Und doch: Waren vor zehn Jahren hier noch 7000 Menschen im Kohleabbau beschäftigt, sind es heute nun nur noch knapp 4500. In den USA, so stellt die amerikanische Behörde Energy Information Administration fest, wurde 2019 so wenig Elektrizität aus Kohle gewonnen wie seit 42 Jahren nicht mehr. Immer mehr Minen müssen deshalb schließen.
Bidens Vision: Eine "Clean Energy Revolution"
Konkurrenz erhielt Wyomings Kohle vom billigeren Gas. Zusätzlich sank der Energiebedarf der USA in den vergangenen Jahren durch ein milderes Klima. Und schließlich benötigte die US-Wirtschaft im Rahmen der Corona-Pandemie weniger Energie.
Und nun kommt mit Joe Biden ein neuer Präsident mit einer ehrgeizigen Agenda: 1,7 Billionen Dollar sollen in den nächsten zehn Jahren in den Umbau der Energieversorgung fließen. "Wir stehen unter einem enormen Druck durch erneuerbare Energien, die von der Regierung stark subventioniert werden", beklagt Travis Deti, Geschäftsführer der Wyoming Mining Association die Entwicklungen der vergangenen Jahre. Für die Zukunft der Kohle hat er wenig Hoffnung.
Laut Weltklimarat sind es noch neun Jahre, um die schlimmsten Konsequenzen des Klimawandels abzuwenden, erinnert Joe Biden auf seiner Website. Konsequenz: "Es gibt keine Zeit zu verlieren." Und darum will er gleich am ersten Tag seiner Präsidentschaft mit einer "Clean Energy Revolution" anfangen. Die soll die US-Wirtschaft bis 2050 vollständig auf "saubere Energien" umstellen und die Netto-Emissionen auf null reduzieren.
Wind so stark, dass die Bäume schief stehen
Ein guter Ort für dieses Vorhaben wäre ironischerweise ebenjener Staat, der in den vergangenen Jahrzehnten vor allem von fossilen Energien gelebt hat: Wyoming. Denn die Landschaft des Staates besteht aus einer Reihe von Gebirgszügen und Hochebenen. An einigen Stellen entstehen so natürliche Trichter, an denen der Wind konstant und mit viel Kraft weht. So stark, dass sich mancherorts die Bäume nach Osten neigen. Im südlichen Wyoming weht der Wind stärker und regelmäßiger als in den meisten Regionen der USA.
Einer, der hier schon vor Jahren auf erneuerbare Energien gesetzt hat, ist Rick Grant. Der Landwirt betreibt Viehzucht in der vierten Generation. "Der Wind hat uns immer beraubt", sagt er. Im Winter klaue er den Rindern die Wärme, lasse neugeborene Kälber erfrieren, Landwirte müssten überfüttern. Kurzum: Wind habe stets Geld gekostet. "Nun ist es Zeit, dass er zurückzahlt."
Auf dem Gelände von Grants Farm stehen drei klapprige Holzhütten, in denen seine Vorfahren gelebt haben: Die ganz kleine, etwa zwei mal zwei Meter messende seines Urgroßvaters, zwei etwas größere, in denen Großvater und Vater gelebt haben. Und dann auf der anderen Seite des Bachverlaufs sein im Bau befindliches eigenes Haus über stolze drei Etagen. Bezahlt hat er dieses nicht mit den Erträgen aus der Viehzucht: Seit 2007 investiert Grant in Wind.
15 Windräder stehen inzwischen auf seiner Farm. "Der Wandel hat unserer Familie viel Wohlstand gebracht", sagt er. Und er ermögliche der nächsten Generation, nicht wegziehen zu müssen, sondern den Familienbetrieb aufrecht zu erhalten. Ansporn für seine Investition sei aber nicht der Klimawandel, betont er.
Unternehmen setzen auf Wandel
Einige Unternehmen betreiben in Wyoming Windanlagen in größerem Stil. So etwa Warren Buffet's Firma PacifiCorp auf dem Gelände der ehemaligen Kohlemine Glenrock, auf der nun 158 Windrädern in prärieartiger Kulisse den Wind abgrasen. Und doch nimmt Wyoming hinsichtlich installierter Windkapazität im Vergleich mit anderen US-Staaten nur den 16. Platz ein.
Bar-Besitzer Jim Clayton hat für Energie aus erneuerbaren Quellen wenig übrig. "Diese Windräder werden niemanden in unserem Land retten. Sie produzieren zu wenig und rentieren sich nicht." Mit einem Windgenerator könne man keine Straßen bauen, keinen Jet über den Ozean fliegen. "Wir wären besser dran, zurück zu Atomenergie zu gehen als in die Richtung, die wir gerade einschlagen." Auch wenn in Washington ein neuer Wind wehen mag: In Wyoming hat er noch nicht alle ergriffen.