Löw zur Corona-Krise: "Die Erde wehrt sich"
18. März 2020Man kennt ihn durchaus so nachdenklich, aber derart angefasst hat man den Bundestrainer selten erlebt. In einer Videokonferenz des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit Präsident Fritz Keller und Direktor Oliver Bierhoff äußerte sich Joachim Löw ausführlich zur aktuellen Situation in der Corona-Krise - und zur Lage des Sports, die man demzufolge als nachrangig bewerten darf. Selbst wenn Vereine und Veranstalter nun wirtschaftliche Sorgen haben.
"Die Welt hat ein kollektives Burn-out erlebt. Die Erde scheint sich ein bisschen zu wehren gegen den Menschen, der immer denkt, dass er alles kann und alles weiß", sagte Löw. Die Verschiebung der EM ins Jahr 2021, die Absage der März-Länderspiele, der europaweite Spielstopp - all dies stellte Löw angesichts der Coronakrise komplett in den Hintergrund. Stattdessen empfahl der 60-Jährige Mäßigung und mehr Empathie.
Löw: "Tempo war nicht mehr zu toppen"
"Nichts ist mehr, wie es vorher war", erklärte Löw mit Blick auf die medizinische Situation. In den vergangenen Jahren hätten weltweit "Machtgier, Profit und Rekorde" im Vordergrund gestanden, sagte Löw: "Das Tempo, das wir vorgegeben haben, war nicht mehr zu toppen." Verheerende Brände in Australien oder Ebola in Afrika "haben uns nur am Rande berührt. Jetzt haben wir etwas, was die ganze Menschheit betrifft, und wir merken, was wirklich zählt: Freunde, Familie und Respekt füreinander." Die Corona-Pandemie habe die Welt "fest im Griff".
Im schwarzen, hochgeschlossenen Pullover schilderte Löw auch die Lage seines Teams. Bis vor wenigen Wochen seien er und seine junge Mannschaft noch voller Vorfreude auf die EM gewesen, auf "ein tolles Fest". Bei seinen Stars habe er "viel Hunger und unglaublich viel Willen gespürt, ein unsichtbares Band, das uns zusammenhält. Wir wären bereit gewesen." Doch die vergangenen Tage hätten ihn "sehr nachdenklich gestimmt". Und, so Löw weiter: "Der Fußball hat eine große Bedeutung. Aber es gibt Dinge, die sind wichtiger."
DFB ist schockiert und alarmiert
DFB-Präsident Keller machte in seinem Statement Anleihen bei Liedermacher Reinhard Mey und dessen Song "Über den Wolken". Zitat: "Was uns gestern noch wichtig und richtig erschien, ist heute nichtig und klein." Oliver Bierhoff betonte, der Verband habe intern den Notstand ausgerufen und fast alle Mitarbeiter nach Hause geschickt: "Wir sind alle schockiert und alarmiert."
Löw appellierte an alle, zu helfen, "wo es auch immer geht". Er selbst und Bierhoff haben dem Verband laut Keller einen Gehaltsverzicht angeboten, die Nationalmannschaft spendet 2,5 Millionen Euro für soziale Zwecke. Er habe bei den Gesprächen mit dem Mannschaftsrat um Kapitän Manuel Neuer und Toni Kroos "die große Betroffenheit der Spieler sehen können - und auch den Wunsch, etwas zu tun", sagte Bierhoff.
ml/og (dpa, SID)