Jemen: Krieg, Hunger und fremde Mächte
26. März 2017Ein kaputter Staat, zermürbende Kämpfe und eine drohende Hungersnot: Zwei Jahre, nachdem eine von Saudi-Arabien geführte Koalition im Jemen interveniert hat, steht das Land vor dem völligen Zusammenbruch. Am 26. März 2015 starteten die Luftangriffe, bald folgten Bodenstreitkräfte und eine Seeblockade. Zu der Militärallianz gehören Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Bahrain, Kuwait und Jordanien. Die USA, Frankreich und Großbritannien unterstützen die Operation logistisch.
Die Gegner der Allianz sind schiitische Huthi-Rebellen und Teile der jemenitischen Armee, die dem 2012 abgesetztem Präsidenten Ali Abdallah Saleh treu sind. Das erklärte Ziel der Koalition ist es, den international anerkannten, aber faktisch entmachteten Präsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi zurück an die Macht zu bringen und damit den mutmaßlichen Einfluss des Iran im Jemen einzudämmen.
Kriegszweck: Einfluss in Nahost
Was als weitgehend innenpolitischer Konflikt begann, ist inzwischen ein breiter regionaler Machtkampf zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Und ein Ende ist nach Einschätzung von Experten nicht abzusehen: "Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass wir auch in zwei Jahren noch einen Konflikt im Jemen haben werden", sagte Adam Baron vom Think Tank "European Council on Foreign Relations" (ECFR) in London. "Im Jemen spielt sich die größte humanitäre Krise der Welt ab. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass es schlimmer wird."
Die Hauptlast des Krieges im ärmsten Land der arabischen Welt tragen die Zivilisten. Bombenanschläge, vor allem die der Koalition, haben Schulen und Krankenhäuser, weite Teile der Infrastruktur zerstört. Menschenrechtsorganisationen beschuldigen alle Seiten, Kriegsverbrechen zu begehen. Sieben Millionen Menschen droht eine Hungersnot, sie sind dringend auf Nahrungsmittel-Lieferungen angewiesen. Annähernd 20 Millionen Menschen, zwei Drittel der Einwohner, benötigen humanitäre Hilfe. Der Konflikt hat drei Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben, fast 8000 wurden getötet und mehr als 42.000 verletzt.
Wie hat alles angefangen?
Im September 2014 nahmen Huthi-Rebellen die Hauptstadt Sanaa ein. Präsident Hadi floh, nachdem er bereits im Januar zum Rücktritt gezwungen worden war. Sein Weg führte ihn zunächst in die südliche Hafenstadt Aden. Anfang 2015 rückten die Huthi immer weiter Richtung Süden vor und Hadi flüchtete nach Saudi-Arabien.
Mit Hilfe der Koalition gewannen Hadis Anhänger im Sommer 2015 die Kontrolle über Aden und große Teile des Südens zurück. Dort gründete Hadi im September 2016 eine provisorische Regierung mit dem Sitz in Aden; zwei Monate später setzten auch die Huthi und Ex-Präsident Saleh eine eigene Regierung in Sanaa ein. Die von der UNO unterstützten Gespräche, die den Konflikt beenden sollen, sind damit am Ende.
Seit Anfang 2017 gewinnt die koalitionsgestützte Regierung zunehmend Kontrolle über die Westküste am Roten Meer, doch im Gebiet um Sanaa kommt sie nicht voran.
Wer sind die Huthis?
Die Huthis sind Anhänger des Zaidismus, einer schiitischen Gruppierung mit eigener Rechtsschule. Sie machen etwa ein Drittel der Bevölkerung im mehrheitlich sunnitischen Jemen aus. Schon lange klagen sie über Diskriminierung. Die Huthi-Bewegung entstand in den 1990er-Jahren, weitgehend als Reaktion auf eine steigende Flut von sunnitischen politischen Bewegungen wie dem Salafismus und der an die Muslimbruderschaft gebundenen Islah-Partei.
Die Huthi-Milizen kämpften zwischen 2004 und 2010 bereits sechsmal mit der Armee des ehemaligen Präsidenten Saleh. Wie auch in anderen Ländern hatte der Arabische Frühling 2011 den Jemen in Aufruhr versetzt. Saleh verlor seine Macht, und die Huthi brachten sich zunächst in die Politik der Übergangszeit. Als die Regierung des neuen Präsidenten Hadi zerfiel, taten sich die Saleh-treuen Militärs zusammen.
Iran, IS, Al-Kaida
Saudi-Arabien beschuldigt die Huthi, Stellvertreter des Iran auf der Arabischen Halbinsel zu sein und in Verbindung mit der libanesischen Hisbollah zu stehen. Aber die Beziehung der Huthi zu Teheran ist komplexer. Der Iran versorgt die Rebellen zwar mit finanzieller und militärischer Hilfe, doch Analysten sagen, dass die Beziehung eher aus Zweckmäßigkeit bestehe: "Nur weil die Huthi weiterhin eine Beziehung mit dem Iran pflegen, bedeutet das nicht, dass sie eine iranische Marionettengruppe sind", sagt ECFR-Mann Baron. Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte am Belfer-Zentrum der Harvard-Kennedy-Schule und bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sagt, dass Saudi-Arabien die Rolle des Iran im Jemen übertreibt, um seine Intervention zu legitimieren.
Für Saudi-Arabien war die Intervention im Jemen weitgehend ein frei gewählter Krieg. Der stellvertretende Kronprinz Mohammed bin Salman begann den Krieg, kurz nachdem er zum Verteidigungsminister ernannt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Iran gerade dabei, seine internationale Isolation wegen seines Atomprogramms hinter sich zu lassen.
Die USA haben der arabischen Koalition ihre Unterstützung zugesagt - als Zeichen der Solidarität zu einer Zeit, in der sich Riad über den iranischen Einfluss im Nahen Osten sorgte. "Die Huthi stellen eine Gefahr für die nationalen Sicherheitsinteressen Saudi-Arabiens dar, nicht zuletzt deshalb, weil sie dem Königreich seinen einstigen Einfluss im Jemen kaum mehr zugestehen werden", sagt April Longley Alley von der International Crisis Group. "Der Krieg hat verheerende Folgen für den Jemen und die saudische Sicherheit."
Und womöglich auch für die der ganzen Region und darüber hinaus: Denn nicht-staatliche Akteure, einschließlich Al-Kaida, erstarkten im Jemen bereits nach dem Machtwechsel 2012. Seit dem Bürgerkrieg und dem völligen Staatskollaps gewinnen solche Organisationen immer mehr Macht im Jemen, darunter "Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAP) - der als gefährlichster Zweig des Terror-Netzwerks gilt - sowie der sogenannte "Islamische Staat".
Laut Amnesty International haben die USA und Großbritannien seit März 2015 Waffen im Wert von etwa fünf Milliarden US-Dollar (4,6 Milliarden Euro) nach Saudi-Arabien verkauft und damit geholfen, "grobe Verletzungen" zu begehen und eine "humanitäre Katastrophe auszulösen".
Im Oktober ließ das US-Militär verlauten, eines seiner Schiffe im Roten Meer sei von Huthi-Rebellen - und mit Unterstützung des Iran - angegriffen worden. Die US-Marine zerstörte daraufhin Radaranlagen der Rebellen. Unter US-Präsident Donald Trump könnte sich der Konflikt noch weiter verschärfen - denn seine Regierung will eine härtere Linie gegen den Iran fahren.