Der Kampf für Frauenrechte im Jemen
29. September 2019Während sie im herbstlichen Berlin am Spreeufer entlangspaziert, fällt Suha Basharen auf, wie schön es sei, in einem ruhigen Land zu sein. "Ich muss mir keine Sorgen machen, sondern kann einfach friedlich durch die Gegend laufen." Doch dann erinnert sie sich daran, was gerade in ihrem Heimatland passiere.
In Basharens Heimatland Jemen wütet seit 2015 ein blutiger Krieg. Bei den Kämpfen sind Tausende Zivilisten getötet worden, das Land steckt laut UN-Angaben in der weltweit schwersten humanitären Krise. Dabei ist der Kampf ums tägliche Überleben für Mädchen und Frauen oft noch härter als für Männer.
Basharen lebt in Jemens Hauptstadt Sanaa, mit ihrem Ehemann und zwei Söhnen, acht und zehn Jahre alt. Friedliche Zeiten, so etwas kennen Basharens Kinder eigentlich nicht. Für sie als Mutter bedeutet der Krieg, den Kleinen immer wieder versichern zu müssen, dass alles gut wird, während um sie herum Luftschläge zu hören sind. "Als Eltern versuchen wir, keine Angst zu zeigen, auch wenn wir es innerlich selbst kaum ertragen", erzählt sie.
Beruflich bedeutet der Krieg für Basharen, dass sie versucht, den Jemen trotz aller Widrigkeiten in ein besseres Land für Frauen zu verwandeln und Frauen dort Perspektiven aufzuzeigen. Als Frauenrechtsexpertin der internationalen Hilfsorganisation "Care" arbeitet sie daran, soziale und kulturelle Normen in ihrem Heimatland zu verändern. Wichtige Bereiche von Basharens Tätigkeit sind etwa Bildung in Sachen Gesundheit, die aktive Einbindung von Frauen in Friedensbemühungen sowie Ernährungssicherheit. Auch wenn der Krieg schrecklich sei, erklärt sie, eröffneten sich durch die Situation dennoch auch neue Möglichkeiten für Jemenitinnen.
Letzter Platz beim Global Gender Gap Report
Was Basharen motiviert, ist zum Teil auch ihre eigene Erfolgsgeschichte. Geboren in Aden an der Südwestküste des Jemens, studierte sie sowohl dort als auch in Großbritannien. Damit ist Basharen eine Ausnahme: Für die meisten Jemenitinnen bleiben Unabhängigkeit und höhere Bildung ein ferner Traum, vor allem auf dem Land.
Zwar erhielten Frauen im Jemen schon vor mehr als 50 Jahren das Wahlrecht, andere wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Rechte sind aber weiterhin stark eingeschränkt. Das Land belegt seit 13 Jahren in Folge den letzten Platzim Ranking des "Global Gender Gap Report" des Weltwirtschaftsforums. Weibliche Genitalverstümmelung wird vielerorts immer noch toleriert, in Krankenhäusern wird Frauen ohne das Einverständnis eines männlichen Verwandten die Behandlung verwehrt.
Kleine Fortschritte bezüglich der Gleichberechtigung von Mann und Frau, die zuvor erreicht worden waren, wurden wieder zunichte gemacht, seit Anfang 2015 die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen den international anerkannten Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi vertrieben und Sanaa besetzten. Eine von Saudi-Arabien geführte Koalition versucht unter anderem mit Luftangriffen, die Huthis wieder zurückzudrängen - dabei werden unschuldige Zivilisten getötet. "Im Krieg", sagt Basharen, "kümmerst du dich darum, Essen aufzutreiben statt über Frauenrechte zu reden."
Mädchen und Frauen am verwundbarsten
Nach fast einem halben Jahrzehnt des Machtkampfes sind etwa 24 Millionen Jemeniten, also 80 Prozent der Bevölkerung, auf humanitäre Hilfe angewiesen. Weil viele Männer verletzt oder getötet wurden oder noch kämpfen, und somit als Hauptverdiener ausfallen, müssen sich Frauen ganz neuen Herausforderungen stellen. Auf einmal sind sie selbst verantwortlich und müssen den Lebensunterhalt für ihre Familien verdienen. Die Männer, die nicht mehr in der Lage dazu sind, fühlen sich wiederum oft herabgesetzt.
"In großen Teilen des Jemens ist die Norm, dass Frauen sich um den Haushalt kümmern und Männer das Geld verdienen", so Basharen. "Das soll keine Entschuldigung für häusliche Gewalt sein, aber wenn diese Aufteilung nicht mehr weitergeführt werden kann, sorgt das oft für Frust. Die häusliche Gewalt hat während des Krieges zugenommen." Laut dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) sind mehr als drei Millionen jemenitische Frauen und Mädchen gefährdet, Opfer geschlechtsbezogener Gewalt zu werden.
Viele Schwangere und stillende Mütter unterernährt
Im Jemen sind zehn Millionen Menschen auf Lebensmittelhilfen angewiesen. Auch in diesem Bereich trifft es Frauen oft härter als Männer, etwa wenn sie schwanger sind oder stillen. UNFPA zufolge sind mehr als eine Million schwangere und stillende Jemenitinnen unterernährt, weil sie nicht genug zu essen bekommen und keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben.
Basharen zufolge nehmen manche Familien nur noch eine Mahlzeit am Tag ein. "Sie wissen nicht, wann es das nächste Mal etwas geben wird." Zudem äßen oft zuerst die Männer und dann erst die Frauen, so dass manchmal nichts für sie übrig bleibe. Und "wenn nicht genug für alle da ist, geben Frauen auch oft den Kindern ihre Portion."
Kleine Schritte in Richtung Unabhängigkeit
Trotz allem hofft Basharen, dass trotz der Verwüstung durch den Krieg, Frauen Aussicht auf eine bessere Zukunft haben. "Das wird nicht über Nacht passieren," räumt sie ein. "Aber wir sehen bereits, dass Frauen etwa ihre traditionellen Kompetenzen wie Kochen oder Nähen in Geschäftsmodelle umwandeln, wenn sie entsprechende Unterstützung bekommen und geschult werden." Der gesellschaftliche Wandel muss nach Basharens Ansicht Zuhause bei jeder einzelnen Familie beginnen. "Es sind kleine Dinge, wie zum Beispiel, dass meine Söhne auch im Haushalt mithelfen müssen. Ich will nicht, dass sie in dieser Hinsicht von anderen abhängen, am allerwenigsten von Frauen."
Manchmal glimmt die Hoffnung auf Frieden in dem kleinen Land plötzlich wieder auf. So sagte kürzlich der UN-Sondergesandte für den Jemen, Martin Griffiths, das Angebot der Huthi-Rebellen, alle Angriffe auf Saudi-Arabien einzustellen, könnte den Konflikt beenden. Der Iran brachte einen möglichen Friedensplan ins Spiel, um die Eskalationsspirale in der Golfregion zu stoppen.
Doch gleichzeitig toben die Kämpfe im Jemen weiter. Fünf Jahre nach Ausbruch des Krieges, so Basharen, sei die Bevölkerung zwar weiterhin widerstandsfähig. "Aber wir sind alle traumatisiert", fügt sie hinzu. "Der Krieg muss aufhören. Dieser ganze Wahnsinn muss aufhören."