Jedes Wort eine Leuchtkugel - Herta Müller zum Siebzigsten
17. August 2023Es trifft, was von Herta Müller einen berührt, ob als Text vor Augen, ob gesprochen. Ich verlaufe mich in den abenteuerlichen Niederungen ihrer Wortwahl, die alles Wählerische ausmerzt.
Oder anders: Die Dame Herta nimmt sich wahrlich kein Blatt vor den Mund, fällt mit der Tür ins Haus, befleißigt sich einer deftigen Sprache, trifft ins Schwarze. Während ich trotz meiner anerkannten Zungenfertigkeit oft eher den Kopf in den Sand stecke, um dem, was eintrifft, zu entgehen.
Es traf sich, dass sich unsere Wege kreuzten, spät, nach der blutigen Wende vom Dezember 1989 in Rumänien. Nach kanonischen 40 Jahren Schweigen hatte ich die literarische Bühne betreten. Ja, es begab sich, dass wir, Herta Müller, ich, zusammen an Leseabenden auftraten. In noblen Städten wie Prag, Graz …
Wo wir uns gegenseitig besangen. Zu Anfang der Lesung fand die Dame deutende Worte zu meiner kontroversen Lebensgeschichte. In eleganter Manier grenzte sie sich biographisch von meiner Person ab, betonte: Nicht zu vergleichen unser beider Lebenslauf unter dem Regime der Willkür. Sie, Herta Müller, sei zwar immer wieder von der Securitate gepiesackt worden, man habe ihr zu Hause aufgelauert mit Drohungen, habe ihr manchmal die Hölle heißgemacht. Mich aber habe die Securitate zwei Jahre in Untersuchungshaft gefangen gehalten, Verhöre bei Tag und bei Nacht. Man lese den Roman: Rote Handschuhe. Wo ich diese Jahre mit radikaler Wahrhaftigkeit aufgezeichnet habe. Nachher hörte man: Nie dagewesen, dass ein Autor einen anderen belobige!
Jeder Satz ein Zickzackblitz
Ich erinnere mich: Zum ersten Mal traf ich auf den Namen Herta Müller 1982 in der Bukarester Zeitschrift Neue Literatur. Ich selbst, als ehemaliger politischer Sträfling stigmatisiert, war jedem geschriebenen Wort abhold. Es sprang mich nicht der gängige Name an, Müller, bitte! Vielmehr der Titel, Niederungen. In dessen Umfeld ich mich notgedrungen ein halbes Leben lang bewegt hatte. Was auffiel und sich im Zusammentreffen mit Herta Müller bestätigte: Es war die schnöde schnörkellose Sprache in Wort und Schrift, die einen, so unpoetisch sie daherkam, bestrickte. Jedes Wort eine Pistolenschuss, jeder Satz ein Zikzackblitz, das Ganze ein Feuerwerk.
Dagegen widerstreitend das Gebotene. So schweben unsereins andere Bilder vor vom "Bad am Samstag Abend". Verschmierte Bilder, von ihr mit unappetitlicher Sichtbarkeit hingepinselt. Wo sich drei Generationen hintereinander im nämlichen Absud "wuzzeln". Doch Literatur!
Bei einem letzten Treffen im Brukenthalpalais in Hermannstadt begrüßte ich sie mit einem Titel ihrer Prosa, zurechtgebogen, und verneigte mich: "Der König verneigt sich und tötet nicht!" Worauf sie am Fuß einer Marmorkaryatide ihre Zigarette ausdrückte und gelten ließ: "Gottlob, es gibt Könige, die davon bewahrt bleiben!"
Als ihr der Nobelpreis zugesprochen wurde, verfasste ich diesen Text. Und mahnte an, dass sie auf die Schuhsohlen Leukoplast kleben solle, damit es vor der erlauchten Persönlichkeit des Königs zu keinem Fußfall komme.
Tagebuchnotiz Rothberg, Pfarrhof, 11XII2009
Herta Müller! Auf meinem fernen Pfarrhof in Siebenbürgen erwischte mich die Szene im TV, als Herta Müller den Preis aus der Hand des Königs entgegennahm. Ich bewunderte die genaue und fehlerlose Regie der Hände. Es heißt, der Zeremonienmeister des Hofes übe das alles vorher mit den Preisgekrönten. Günter Grass soll sich Leukoplast an die Schuhsohlen geklebt haben, um auf dem königlichen Parkett nicht zu Fall zu kommen.
Wie dem auch sei: Mich rührte diese Szene. Ich kenne Herta Müller persönlich von gemeinsamen Lesungen mancherorts. Ihre filigrane Gestalt strahlte bei diesem hohen Akt Gelassenheit aus, eine Ruhe von innen her, gepaart mit Demut und stilisierter Anmut.
Und wie sie sich verbeugte: vor dem König genauso hoheitsvoll wie zu den erlesenen Gästen hin im Halbkreis, dreimal. Das war gelebte Würde in Freiheit, herabgeholt auf den kunstvollen Boden eines Schlosses.
Ich nehme ihr ab, dass der noble Preis ihr Leben nicht verändern wird.
Ja, und als sie dann das Millionenpublikum beruhigte, sie würde sich für das Preisgeld "keine Yacht kaufen", fiel mir erst ein, dass es hier um schwindelnd hohe Gelder geht. Gewandet war sie, comme d'habitude, in Schwarz. Aber das ansonsten ‘Ganz in Schwarz‘ war diesmal garniert mit Weiß, verheißungsvoll.
Ja, es bewegte mein Gemüt, dieser Staatsakt im prunkvollen Schloss in Stockholm um das Banater Mädchen aus Nitzkydorf. Ihr Heimatdorf, an dem sie, was mich kränkt, kein gutes Haar lässt.
Herta Müller! Was wünschen? Dass ihr beschieden sei, die noch wartenden Tage unter dem Schirm Gottes zu verbringen, die verblichene Zeit auszukosten bei Trost als Gnadengeschenk.
Eginald Schlattner, 1933 in Arad (im Westen Rumäniens) geboren, studierte evangelische Theologie, Mathematik und Hydrologie. 1957 wurde er von der kommunistischen Geheimpolizei Securitate verhaftet und wegen "Nichtanzeige von Hochverrat" verurteilt. Nach seiner Entlassung arbeitete er als Tagelöhner in einer Ziegelbrennerei, später als Ingenieur. Seit 1978 ist er Pfarrer in Rosia (Rothberg) bei Hermannstadt/Sibiu in Siebenbürgen (Rumänien). Als Autor wurde er durch seine Romane "Der geköpfte Hahn", "Rote Handschuhe" und "Das Klavier im Nebel" bekannt (bei Zsolnay/Wien erschienen). 2021 erhielt Schlattner das Bundesverdienstkreuz für sein Wirken und Werk.