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Japans gescheiterte Krisenmanager Naoto Kan

26. August 2011

Als ehemaliger Bürgerrechtsanwalt wollte Premier Kan Japan grundlegend erneuern. Nach Erdbeben, Tsunami und Atomalarm war er als Krisenmanager gefordert. Doch letztlich scheiterte Kan an Japans verkrusteten Strukturen.

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Der Krisenmanager im Overall: Naoto Kan (Foto: AP)
Der Krisenmanager im Overall: Naoto KanBild: AP

Naoto Kans Ankündigung klang für Japans Establishment wie eine Drohung: Sobald die Regierung die Erdbeben- und Atomkatastrophe unter Kontrolle hat, wollte er als Regierungschef zurücktreten. Demnach wäre Kan noch sehr lange an der Macht geblieben, denn gelöst ist kaum ein Problem in Japan. Nach wie vor sind die zerstörten Atommeiler von Fukushima nicht unter Kontrolle. Luft und Wasser werden weiter kontaminiert. Der Wiederaufbau wird Jahre dauern. Auch nach fünf Monaten leben noch rund 100.000 Menschen unter widrigsten Umständen in Notunterkünften.

Kan im Katastrophengebiet vor Trümmern (Foto: AP)
Kans Katastrophenhilfe sorgte teilweise für großen UnmutBild: dapd

Trotzdem musste Naoto Kan den Chefsessel räumen, weil er jeglichen Rückhalt verloren hat: in der eigenen Partei, im Parlament und auch in der Bevölkerung. In seiner von ihm mit gegründeten Demokratischen Partei (DPJ) haben sein gescheiteter Vorgänger Hatoyama und der von Kan entmachtete Strippenzieher Ozawa noch alte Rechnungen zu begleichen. Die in die Opposition verbannte Dauerregierungspartei LPD verweigerte sich aus wahltaktischen Gründen Kans Idee einer "Regierung der Nationalen Einheit". Und seine wichtigsten Verbündeten, die japanischen Wähler, entzogen dem einst beliebtesten Politiker Japans schließlich auch ihre Gunst.

Widerstand von allen Seiten

Politisch angeschlagen war Naoto Kan seit langem: Am Morgen vor der Dreifachkatastrophe wäre Kan fast über eine Parteispendenaffäre gestürzt, weil er angeblich Geld von einem ausländischen Spender akzeptiert haben soll. Am Nachmittag dann, nach dem gewaltigen Erdbeben, dem verheerenden Tsunami und dem Atomalarm aus Fukushima war plötzlich der Krisenmanager Naoto Kan gefragt. Und Kan handelte, schnell und unkonventionell - auch wenn dies teilweise nicht anerkannt wurde. Kan schwor das Land auf die nationale Herausforderung ein und rieb sich an der Herkulesaufgabe auf. Einige wichtige Akzente konnte Kan setzen, auch wenn er nicht immer eine glückliche Figur machte. Hilfe kam teilweise zu spät, den Ankündigungen folgten nicht immer Taten und oftmals fehlte ihm die nötige Durchschlagskraft.

Alternativer Politikstil

Allerdings verstand sich Kan stets als Mann des Volkes und bemühte sich von Anfang an um eine bis dato ungewohnte Transparenz. Das wenige, das selbst die Regierung vom Fukushima-Betreiber Tepco erfuhr, teilte Kans Stab umgehend der besorgten Bevölkerung mit. Denn Kan steht für einen anderen Politikertypus in Japan. Kan entstammt nicht wie üblich der Politiker- oder Wirtschaftselite. Der studierte Anwalt kommt aus der Bürgerrechtsbewegung und hat sich seit jeher mit dem Establishment angelegt. Er begann seinen Weg in den 60er- und 70er-Jahren als Studentenaktivist und engagierte sich dann in einer kleinen Umweltpartei, bevor er 1996 Gesundheitsminister wurde. Auch hier machte Kan sich einen Namen als Vertreter von Bürgerinteressen, weil er einen Skandal um HIV-verseuchte Blutkonserven und die Verwicklungen seines Ministeriums konsequent aufdeckte. Obwohl er sich mit der Bürokratie angelegt hatte, wurde Kan 2009 nach dem überwältigenden Wahlsieg der DPJ stellvertretender Ministerpräsident und Finanzminister im Kabinett Hatoyama.

Kampf gegen die übermächtige Atomlobby

Kan wollte Japan verändern. Und dazu gehört für den studierten Physiker - gerade nach den Erfahrungen von Fukushima - auch die Energiewende, hin zu erneuerbaren Energien. Ein überaus ambitioniertes Vorhaben, schließlich ist das ressourcenarme, energiehungrige Land bislang auf billigen Atomstrom angewiesen und kann im Bedarfsfall aufgrund seiner Insellage nicht vom Nachbarn Strom beziehen.

Kan verbeugt sich zu Beginn seiner Pressekonferenz (Foto:Koji Sasahara/AP/dapd)
Vorbeugung vor dem Volk, nicht vor der AtomlobbyBild: dapd

Kan aber wollte den Einfluss der Atomlobby zurückdrängen. Entsprechend kritisierte er den Fukushima-Betreiber Tepco in ungewohnt scharfer Form und brachte sogar eine Verstaatlichung des Atom-Riesen ins Gespräch. Außerdem forderte Kan eine unabhängige Atomaufsichtsbehörde. Denn bislang untersteht die dem Industrieministerium, das aber auch für die Förderung der Atomenergie zuständig ist. So aber kann es nach Ansicht von Naoto Kan nun einmal keine sinnvolle Überwachung geben.

Japans verkrustete Strukturen

Wer Japan grundlegend ändern will, braucht unglaubliche Kräfte oder starke Verbündete. Beides fehlte Kan am Ende. Der temperamentvolle Politrebell hat in seiner Laufbahn immer kräftig ausgeteilt. Das hat ihm zwar Sympathien in der Bevölkerung, aber wenig Freunde in Politik und Gesellschaft gemacht. Zuletzt fehlten ihm die Kraft und auch der Rückhalt in der Bevölkerung, um Japans verkrustete Strukturen aufzubrechen. Und diese schwerfälligen Strukturen sind das eigentliche Problem, mit dem auch Kans Nachfolger noch lange zu kämpfen haben werden.

Autor: Alexander Freund
Redaktion: Hao Gui