Japan und das Fairplay-Paradox
28. Juni 2018Standfußball: 80 Minuten sind gespielt in Wolgograd, Japan liegt mit 0:1 gegen Polen zurück. Aber statt auf den Ausgleich zu spielen, passen die Japaner den Ball von einem stehenden Abwehrspieler zum anderen. Die Polen, deren WM-Aus bereits feststeht, haben ihrerseits keinerlei Interesse den Ball zu erobern. So entsteht verachtenswerter "Nicht-Fußball" bis Schiedsrichter Janny Sikazwe aus Sambia abpfeift. Zwischendurch, so hatte man den Eindruck, hatte er die Spieler sogar mit Gesten zu mehr Aktivität animiert - vergeblich.
Der Hintergrund ist klar: die Japaner wussten um den 0:1-Rückstand des Senegal in der parallel laufenden Partie gegen Kolumbien. Und sie wussten auch: das reicht fürs Weiterkommen. Punkt- und torgleich waren beide Teams. Also kam die Fairplay-Wertung zum Tragen - erstmals in der WM-Geschichte. Zwei gelbe Karten weniger hatten die Japaner kassiert, also entschieden sie sich für "Nicht-Fußball".
"Es war eine harte Entscheidung und eine sehr riskante Situation", meinte Coach Akira Nishino zum von Pfiffen begleiteten Ballgeschiebe in der Schlussphase. "Die Umstände haben diese Entscheidung erfordert. Wir haben nicht mehr angegriffen, sondern uns entschieden, uns auf das andere Spiel zu verlassen." Er sei "nicht allzu glücklich" darüber, "ich habe das von meinen Spielern aber eingefordert."
Gijon reloaded
Das ruft böse Erinnerungen hervor: an die "Schande von Gijon" bei der WM 1982 in Spanien. Dieses Spiel, das bis heute ein dunkler Fleck der deutschen Fußballgeschichte ist. Deutschland führte im letzten Gruppenspiel früh mit 1:0 gegen Österreich. Ein Ergebnis, das beiden Teams das Weiterkommen auf Kosten von Algerien ermöglichte. So spielten sie dann auch. Oder besser gesagt, sie spielten nicht. Genau wie Japan 2018. Eigentlich sollte das heute gar nicht mehr möglich sein. Die Ereignisse von Gijon sind der Grund, warum die letzten Gruppenspiele seither immer zur gleichen Zeit angepfiffen werden.
Bei Punkt- und Torgleichheit hätte noch vor vier Jahren beim WM-Turnier in Brasilien das Los entschieden. Doch für das Turnier in Russland hat die FIFA ihre Regeln modifiziert. Die Fairplay-Wertung wurde als zusätzliches Kriterium eingeführt. Ein Irrweg, wie das Paradox von Japan nun zeigt. Die Asiaten haben mit (verständlicher) Unfairness die Wertung für sich entschieden. Japans Kapitän Makoto Hasebe wollte daran keinen Gedanken verschwenden: "Natürlich war diese Situation sehr komisch. Aber wir haben das Achtelfinale erreicht. Deswegen bin ich zufrieden."