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Der Vater der Kinderrechte

Barbara Coellen24. Januar 2013

Janusz Korczak war Kinderarzt und Pädagoge, er schrieb Kinderbücher und kämpfte für die Rechte der Kinder. 1942 begleitete er seine Schützlinge aus dem Waisenhaus im Warschauer Ghetto freiwillig ins Vernichtungslager.

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Eine Skulptur in Yad Vashem, Jerusalem, auf der Korczak zusammen mit den Kindern dargestellt wird, die er ins Vernichtungslager begleitete
Bild: picture-alliance/dpa

Gedenkstätten, Statuen und Gemälde halten die Erinnerung an ihn wach: Ein Mann inmitten der Kinder, das kleinsten auf seinem Arm - auf dem Weg ins Vernichtungslager. Am 5. August 1942 haben SS-Soldaten das von Janusz Korczak geleitete jüdische Waisenhaus im Warschauer Ghetto am frühen Morgen geräumt. Er führte seine 200 Schützlinge auf den Verladeplatz, von wo aus sie gemeinsam mit ihm nach Treblinka abtransportiert wurden. Der polnisch-jüdische Arzt hätte zwar die Möglichkeit gehabt, dem Tod zu entkommen, doch er lehnte alle Hilfsangebote von Bekannten und Freunden ab, weil er die Kinder nicht im Stich lassen wollte. Am Ende überzeugte er selbst die SS-Soldaten, ihn mit den Kindern gehen zu lassen.

"In allen jüdischen Ghettos im von Hitler besetzten Polen gingen Erzieher, Lehrer und Ärzte mit den ihnen anvertrauten Kindern in den Tod. Das hat mit dem Verantwortungsbewusstsein von damals zu tun", erklärt Korczak-Biografin Joanna Olczak-Roniker im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Jude und Pole zugleich

In ihrer 2012 auch in Deutschland veröffentlichten Biografie Korczaks lässt sie das menschliche Gesicht hinter dem Mythos des Märtyrertums sichtbar werden. "Korczak hätte es geärgert, zum Heiligen erklärt zu werden. Denn sein kühner Gang in den Tod mit den Kindern hätte sein mutiges Leben in den Schatten gestellt", sagt sie. Die polnische Schriftstellerin und Drehbuchautorin hat Korczak in ihrer Kindheit kennengelernt. Er war mit ihren Großeltern befreundet, zwei Verlegern aus Krakau. Ihre Mutter hat kurz nach dem Krieg das erste Buch über Korczak geschrieben, um seinen Heldenmut zu dokumentieren.

Archivbild - Porträt von Janusz Korczak (Foto: dpa)
Seine Schriften gehören heute zur pädagogischen Ausbildung in Deutschland: Janusz KorczakBild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Janusz Korczak wurde unter dem bürgerlichen Namen Henryk Goldschmidt in einer wohlhabenden Familie von assimilierten Juden in Warschau geboren. Die Goldschmidts haben dem Judentum nie den Rücken gekehrt und lebten im Glauben, man könne gleichermaßen Jude und Pole sein. Diese Überzeugung teilte auch Janusz Korczak. Er studierte Medizin und wurde später ein angesehener Kinderarzt. Schon bald musste er für den Unterhalt der Familie sorgen, denn sein Vater wurde in die Psychiatrie eingewiesen. Der junge Arzt beginnt, Kinderromane zu schreiben. Unter dem Namen Janusz Korczak, den er als Pseudonym zeitlebens behält, gewinnt er einen Literaturwettbewerb. "Er kannte Angst und Leiden eines Kindes aus eigener Erfahrung. Und dieses Wissen wollte er den Eltern vermitteln", erklärt Korczak-Biografin Joanna Olczak-Roniker.

Korczak gründete nie eine eigene Familie. 1912 übernahm er die Leitung eines nach seinen Plänen entworfenen jüdischen Kinderheims in Warschau. Dieses Heim zog schon bald Reformpädagogen an, denn Korczaks innovative Pädagogik war schon damals bekannt. Seine Schützlinge waren fröhlicher und selbstbewusster als Kinder in anderen Waisenhäusern, da Korczak besonderen Wert darauf legte, sie als vollwertige Menschen zu betrachten. Für den Warschauer Kinderarzt stand die Menschenwürde der Kinder im Vordergrund. Er förderte ihre Individualität und lehnte Prügelstrafen, Drill und Zwang vehement ab.

Kompromisslose Liebe zu Kindern

Korczak bestand vor allem auf das Recht des Kindes, so zu sein, wie es ist, auf sein Recht auf Achtung, auf aktive, positive Zuwendung und menschliche Wärme. Damit legte er den Grundstein für die heutigen Kinderrechte, die in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben sind. In den 1930er Jahren moderierte er unter dem Pseudonym 'Alter Doktor' im polnischen Rundfunk seine eigene Radiosendung, in der er mit Kindern und über Kinder sprach.

Umschlag eines Kinderbuches von Janusz Korczak
Auch seine Kinderbücher sind immer noch beliebtBild: DW

Im Waisenhaus in der Warschauer Krochmalnastrasse verwirklichte Korczak seine pädagogischen Ideen. Hier entstand das Modell einer selbstverwalteten demokratischen Kinderrepublik mit einem Kinderparlament und einem Kameradschaftsgericht, in dem die Kinder selber über verschiedene "Entschuldigungs-Strafen" entschieden. In Korczaks Heim wurde auch die erste von Kindern gestaltete Zeitung gedruckt: Mały przegląd -Die kleine Rundschau. Über dem hellen, freundlich gestalteten Gebäude wehte die grüne Fahne der "Kinderrepublik".

1940 mussten die Waisen ins Warschauer Ghetto umziehen, doch Korczak machte den Kindern weiterhin Mut und erzog sie für eine Zukunft in Freiheit. Als die Nazis Korczak und seine Schützlinge aus dem Ghetto abtransportierten, auf dem Weg ins Vernichtungslager, gehörte der jüdische Komponist und Pianist Wlasyslaw Szpilman zu den Augenzeugen. Er beschreibt in seinen Memoiren, wie der Arzt den Kindern Mut machte: "Sie würden aufs Land fahren, ein Grund zur Freude, erklärte er den Waisenkindern. (...) Bestimmt hat der 'Alte Doktor' noch in der Gaskammer, als das Zyklon schon die kindlichen Kehlen würgte und in den Herzen der Waisen Angst an die Stelle von Freude und Hoffnung trat, mit letzter Anstrengung geflüstert: 'Nichts, das ist nichts, Kinder' - um wenigstens seinen kleinen Zöglingen den Schrecken des Übergangs vom Leben in den Tod zu ersparen."

"Wenn ein Kind lacht, lacht die ganze Welt"

Korczaks bekanntester Kinderroman trägt den Titel "König Macius der Erste" - ein Bildungsroman, der sich gegen die Bevormundung von Kindern richtet. Die Gesamtausgabe seiner Werke hat in Deutschland das "Gütersloher Verlagshaus" herausgegeben. Gerade die pädagogischen Schriften Korczaks seien auch heute noch sehr aktuell, sagt Diedrich Steen, Leiter des Fachbuch-Bereichs des Verlags: "Seine Schriften gehören unter anderem zur Ausbildung von Erzieherinnen in Deutschland. Korczaks Grundsatz, dass Kinder schon eigenständige Persönlichkeiten sind und eine eigene Würde haben, spielt eine zentrale Rolle in der pädagogischen Ausbildung."

30 Jahre nach seinem Tod im Vernichtungslager Treblinka - im Jahr 1972- wurde Janusz Korczak posthum mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Viele Schulen, Kinderheime, Straßen und Plätze in ganz Deutschland tragen den Namen des Arztes und Pädagogen, der schrieb: "Wenn ein Kind lacht, lacht die ganze Welt".