Jüdische Lebenswelten
7. Mai 2013Fahed lebt in einem palästinensischen Flüchtlingslager in Beirut. Er ist zwölf Jahre alt und hat bei einem Luftangriff seinen Vater verloren. 1982 war das, während des Libanonkrieges. Wut und Trauer hat der Junge an Yoni ausgelassen, einem israelischen Kampfpiloten, den die Palästinenserorganisation PLO abgeschossen hat. Dieser schlägt dem Jungen ein Zweckbündnis vor: Fahed soll den Gefangenen befreien, dafür bringt der ihn in das Heimatdorf seiner Familie, wo Fahed einen Olivenbaum seines Vaters einpflanzen möchte. "Zaytoun", so der Titel dieses Films des israelischen Regisseurs Eran Riklis, ist ein gelungenes Roadmovie - einfühlsam, durchaus humorvoll, und mit einem versöhnlichen Ende. Denn die beiden höchst unterschiedlichen Menschen kommen einander über die politischen Grenzen hinweg zögernd näher. Mit dieser Produktion wurde das 19. Jüdische Filmfestival Berlin & Potsdam eröffnet (29.04. bis 12.05.2013).
Erstaunliche Vielfalt
"We come in Peace" (Wir kommen in Frieden) lautet das Motto des Jüdischen Filmfestival 2013. Auf dem Programm stehen 33 Filme aus verschiedensten Ländern, die Fragen jüdischen Lebens verhandeln. Elf dieser Produktionen stammen aus Israel. Das Land, sagt Festivaldirektorin Nicola Galliner, habe eine erstaunlich üppige und faszinierende Film- und Fernsehproduktion, in deren aktuelle Vielfalt das Festival nun einen Einblick gibt.
Die Kult-Fernsehserie "Arab Labour" macht sich über jüdische wie arabische Israelis lustig, in der bereits Oscar-nominierten Dokumentation "The Gatekeepers" sprechen sechs ehemalige Geheimdienstchefs über ihre ebenso verantwortungsvolle wie schmutzige Arbeit, "Lola" von Eytan Harris porträtiert warmherzig und sehr komisch eine Floristin, die in ihrer Heimatstadt im Norden Israels einen Sexshop eröffnet hat. Und Michael Mayers Kinodebüt "Out in the Dark" spiegelt den israelisch-palästinensischen Konflikt auf dramatische Weise im Kleinen wider: Die Liebe katapultiert einen schwulen Studenten aus dem jüdischen Ramallah und einen jüdischen Anwalt ins ausweglose Abseits.
Überraschende Begegnungen
Dank des Festivals und seiner Filme, sagt Nicola Galliner, lerne man Menschen kennen, denen man sonst nie begegnet wäre: Jean-Marie Lustiger ist das beispielsweise in "Der jüdische Kardinal", in dem Ilan Duran Cohen die wahre Geschichte dieses Sohns polnischer Juden erzählt, der zum Katholizismus konvertierte und Pariser Erzbischof und Kardinal wurde. Der Schriftsteller Peter Stephan Jungk erkundet seine Heimatstadt Wien und trifft in "Fromm oder auch nicht" Künstler, Intellektuelle und Rabbiner, die heute das jüdische Leben der österreichischen Hauptstadt prägen. Dass Frauenschwarm und Hollywoodstar Tony Curtis ein Kind ungarisch-jüdischer Einwanderer war und in der New Yorker Bronx geboren wurde, erfährt man in der Dokumentation "Tony Curtis: Driven To Stardom". Und in "Hava Nagila: The Movie" wippt man im Takt mit all den Menschen weltweit, die der kitschige Ohrwurm in immer neuen Interpretationen bei Festen und Parties glücklich macht.
"Wir zeigen Spielfilme, Dokumentarfilme, Kurz- und Kinderfilme, um eine Ahnung von der ganzen Vielfalt jüdischen Lebens zu geben", so Festivalchefin Galliner. Denn immer noch sei die Unwissenheit darüber erstaunlich, immer wieder würden Juden und Israelis gleichgesetzt. Umso erfreuter ist sie, dass ihr Filmfestival ein breites Publikum anspricht und 80 Prozent der Besucher keine Juden seien. Zwei Wochen lang können sie nun nicht nur in Geschichten, sondern auch in die Geschichte eintauchen. Denn die Beiträge dieses Festivals kreisen nicht nur um vielfältige aktuelle Fragen, sondern beschäftigen sich auch mit der Vergangenheit und dem Holocaust.
Eine Entdeckung
Christopher Nicola ist Amerikaner, Kletterer und Höhlenforscher. 1993 hat er in der Ukraine in einem lichtlosen Unterschlupf Gegenstände gefunden, die hier nicht hin gehörten - einen Schlüssel, einen Schuh. Er begann zu recherchieren, vom Ergebnis seiner Forschungen erzählt nun Janet Tobias Dokudrama "No Place on Earth". In der unterirdischen Grotte, die Christopher Nicola eher zufällig entdeckt hatte, haben sich 1942 mehrere jüdische Familien vor den Nazis versteckt. Etwa 500 Tage, also länger als ein Jahr, verbrachten sie unter der Erde.
Vier mittlerweile hoch betagte Überlebende, die schließlich ausfindig gemacht werden konnten, erzählen von den dramatischen Monaten im Dunkeln und von ihrer Befreiung durch die Rote Armee. Sie gehören zu den nur knapp fünf Prozent der 1,5 Millionen ukrainischen Juden, die den Holocaust überlebten. Der Film hat bereits einen deutschen Verleih gefunden. Das wünscht Nicola Galliner möglichst vielen der Beiträge, die sie aktuell in Berlin und Potsdam präsentiert. Die Aufmerksamkeit, die das Jüdische Filmfestival erfährt, mag dabei helfen.