Italien will in Europa wieder mehr mitreden
29. Januar 2016Eine Stunde war für das Treffen zwischen der Bundeskanzlerin und dem italienischen Regierungschef in Berlin angesetzt, am Ende wurden zwei daraus. Anscheinend hatten Angela Merkel und Matteo Renzi weitaus mehr Gesprächsbedarf als geplant. Verwunderlich ist das nicht. In letzter Zeit war das Verhältnis zwischen Rom und Berlin angespannt. Seit Monaten hat Renzi bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen die aus seiner Sicht deutsche Dominanz in Europa gewettert.
Dahinter steckt, dass die Italiener Probleme damit haben, ihren Staatshaushalt in den Griff zu bekommen. Zwar ist Matteo Renzi ein junger und dynamischer Reformer und hat in seinen inzwischen zwei Amtsjahren als Ministerpräsident von seiner ambitionierten Reformagenda schon einiges durchgesetzt. "Italien ist nicht mehr das Problem Europas, wie das in der jüngeren Vergangenheit unseres Landes der Fall war", betonte Renzi in Berlin.
Man könnte es Erpressung nennen
Probleme gibt es trotzdem genug. Nach Jahren der Rezession kommt die italienische Wirtschaft nur sehr langsam wieder in Schwung. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor hoch, vor allem bei jungen Menschen unter 25. Renzi ist der Meinung, dass der Staat mit Investitionen nachhelfen müsse, und plant höhere staatliche Ausgaben ein. Zudem hat er in seinem Haushalt für das laufende Jahr zusätzliche Mittel eingeplant, um Steuerversprechen einzulösen, die er seinen Wählern gemacht hat.
Diese Planung könnte die EU-Kommission vereiteln, die auf einen strikten Sparkurs pocht. Hinter dieser Haltung vermuten die Italiener auch deutschen Budget-Rigorismus. Den will Matteo Renzi nicht hinnehmen und pokert hoch. Er weigert sich, Geld in den drei Milliarden Euro schweren EU-Fonds zur Finanzierung von Flüchtlingshilfen in der Türkei einzuzahlen, solange die Haushaltsregeln im Stabilitätspakt nicht gelockert werden.
"Wir erwarten einige Antworten auf spezifische Fragen, die wir auf kurzem Weg an die Kommission gerichtet haben", umschreibt Renzi auf Nachfrage seine Absichten und betont, Italien habe grundsätzlich kein Problem mit dem Türkei-Abkommen. "Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass wir natürlich auch unseren Beitrag leisten werden, sobald diese Antworten eingetroffen sind."
Merkel braucht Erfolge
Damit bringt Renzi die deutsche Kanzlerin, mit der er sich persönlich immer gut verstanden hat, in Bedrängnis. Sie habe in dem Gespräch mit ihrem italienischen Kollegen dargelegt, dass die Umsetzung der Türkei-Agenda "dringend" sei, "weil wir natürlich Fortschritte brauchen", so Merkel. "Die Kontrolle der Seegrenzen kann nur so funktionieren." Auf der West-Balkan-Route seien derzeit täglich 2000 Flüchtlinge unterwegs, das seien für die Wintermonate hohe Zahlen. "Wir müssen vor allem die Illegalität bekämpfen", sagte Merkel dann noch mit Blick auf die Schlepper, die weiterhin gut daran verdienten, Flüchtlinge auf dem Seeweg nach Griechenland und Italien zu schleusen.
"Ich glaube, wir sind in einer sehr heiklen Phase der europäischen Geschichte, und ich persönlich spüre die gesamte Verantwortung, die auf mir lastet", lautet Renzis Antwort. "Ich glaube, es gibt mehr Punkte, die uns einen, als solche, die uns trennen." Deutschland und Italien hätten in der Frage der Migration eine gemeinsame Position. Auch er setze auf eine europäische Lösung und darauf, die Außen- und Seegrenzen zu schützen.
Der Wind hat sich gedreht
"Wenn Europa Schengen aufgibt, dann bedeutet das, dass Europa sich selbst aufgibt." Die europäischen Ideale müssten neu belebt werden, das müsse gemeinsam gemacht werden, und daran werde sich Italien auf jeden Fall beteiligen. "Wir wollen mehr Europa, ein stärkeres und effizienteres Europa, das imstande ist, auf alle Probleme eine Antwort zu finden, auf das der Migration, das der Wirtschaft, das der Innovation."
Matteo Renzi gibt sich alle Mühe, sein freundschaftliches Verhältnis zu Angela Merkel und zu Deutschland zu betonen. Andererseits lässt er sich aber nicht beirren. Er will mehr Flexibilität in seiner Haushaltsführung und beim Abbau der Schulden und weiß sich in einer starken Position. "Über Jahre schien es so, als wenn das Problem der Migration ein rein italienisches Problem wäre." Heute wüssten alle, dass es ein europäisches Problem sei, das Monate anhalten werde, vielleicht sogar Jahre. "Und so etwas kann man nicht in einer einzigen Woche lösen", fügt er noch hinzu.