Italien: Leben unter Quarantäne
9. März 2020Joachim Nischler ist ein ziemlich aktiver Typ. Der Chef des Hotel Lindenhof im kleinen Urlaubsort Naturns im Norden Italiens unweit der österreichischen Grenze geht leidenschaftlich gern wandern, mountainbiken und ist geprüfter Rennrad-Guide. In den kommenden Wochen wird er viel Zeit haben für seine Hobbys. Er schließt sein Hotel, "wegen des Coronavirus", wie er im Gespräch mit der Deutschen Welle (DW) sagt: "Wir haben nichts mehr zu tun. Die Situation ist wirklich sehr traurig, die Gäste bleiben aus oder stornieren. Wir haben normalerweise 50 bis 60 Buchungen am Tag. Gerade haben wir gar keine Buchungen. Wir können die Fixkosten momentan hinten und vorne nicht decken." Ende vergangener Woche hatte das Robert Koch-Institut auch Südtirol zum Coronavirus-Risikogebiet erklärt. Hotelier Nischler befürchtet schlimme langfristige Schäden für die regionale Wirtschaft: "Die Mitarbeiter der Tourismusbranche, die entlassen werden müssen, sind die ersten, die unter der Krise leiden. Dann sind die Zuliefer- und Handwerksbetriebe dran, die keine Aufträge mehr erhalten. Wenn all diese Leute dann auch weniger einkaufen und konsumieren ist auch der Einzelhandel betroffen. Vor allem auch, weil die Gäste zusätzlich ausbleiben." Und genau damit ist zu rechnen. Wie der Verband der Hoteliers und Gastwirte am Montagnachmittag per Pressemitteilung verkündete wird die komplette Skisaison in Südtirol wegen der Coronavirus-Krise vorzeitig beendet. Ab Mittwoch werden sämtliche Gastbetriebe und Seilbahnbetreiber bis mindestens 3. April schließen.
Auswirkungen auf das öffentliche Leben
Der klare Beschluss des Verbands reiht sich ein in eine lange Liste drastischer Entscheidungen, die in Italien derzeit gefällt werden. Stand Montagabend gibt es fast 10.000 bestätigte Infektionen und mehr als 460 Todesfälle durch das Coronavirus. Offiziell ist es die zweithöchste Zahl von Todesfällen nach China, wo die Epidemie im Dezember ausgebrochen war. Nachdem schon in der vergangenen Woche sämtliche Unis und Schulen bis Mitte März geschlossen wurden, hat die Regierung in Rom erst einen großen Teil des Nordens, dem wirtschaftlichen Herz des Landes, zur Sperrzone erklärt. Kurz darauf weitete sie die Sperrungen und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit auf das ganze Land aus. Universitäten und Schulen bleiben vorerst bis zum 3. April geschlossen. Kinos, Theater, Museen, Sportclubs und Demonstrationen müssen schließen oder fallen aus. Wer gegen die strengen Auflagen verstößt, muss mit empfindlichen Strafen rechnen: Es drohen bis zu drei Monaten Haft und Geldbußen in Höhe von 260 Euro.
Daniela Zadra ist die Direktorin der Kurverwaltung in Meran, Südtirol. Die Eingriffe hätten direkte Einwirkungen auf das tägliche Leben wie sie im Gespräch mit der DW sagt: Betreiber von "Bars und Restaurants müssen die Tische auseinander stellen, dafür sorgen, dass zwischen den Gästen ein Abstand von mindestens einem Meter Platz gewährleistet ist." Auch der für Italien so typische Espresso an der Bar fällt damit wohl weg. Man könne, so Zadra, nur noch Sitzplätze, keine Stehplätze an der Bar mehr bekommen: "In Büros werden große Sitzungen vermieden, viel wird per Telefon und per E-Mails abgesprochen."
Finanzielle Forderungen an Brüssel
Während in Deutschland über Maßnahmen gegen das Coronavirus zwar kontrovers aber gemäßigt diskutiert wird, rüstet Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte verbal auf. Er sieht in der Ausbreitung des Coronavirus eine "nationalen Notlage". Im Interview mit einer der bedeutendsten Tageszeitungen des Landes "La Repubblica" sagte er am Montag: "Um aus dieser Krise herauszukommen werden wir alle menschlichen und wirtschaftlichen Mittel aufbringen". Bei der Lösung finanzieller Engpässe hofft er auf Brüssel. Die strikten europäischen Schuldenregeln müssten gelockert werden, um für finanziellen Spielraum zu sorgen. Die Flexibilität, die die EU-Haushaltsregeln zuließen, müsse voll ausgenutzt werden.
Dass die Maßnahmen der Regierung nicht überall friedlich aufgenommen werden, bewiesen am Montag Pressemitteilungen aus dem Justizministerium: Als Teil ihrer Maßnahmen zur Eindämmung des Virus hatte die Regierung in Gefängnissen per Notfalldekret den direkten Kontakt zwischen Häftlingen und deren Angehörigen einschränkt. Daraufhin waren in mehreren Haftanstalten Aufstände ausgebrochen und insgesamt sechs Insassen getötet worden. In mehreren Haftanstalten wurden zusätzlich Brände gelegt. Die Gewerkschaft der Gefängnispolizei sprach am Nachmittag von Aufständen in 27 Haftanstalten im ganzen Land.
"Infektionskette durchbrechen"
Der kleine Urlaubsort Naturns nahe der österreichischen Grenze ist von solchen dramatischen Auswüchsen weit entfernt. Hotelier Joachim Nischler hat bei den Einheimischen im Ort bisher weder Hamsterkäufe noch große Panikattacken beobachtet. Allenfalls bei einigen Gästen triebe die Verunsicherung in den vergangenen Tagen starke Blüten: "Eine unserer weiblichen Gäste hatte solche Furcht sich anzustecken, dass sie nicht einmal an die Rezeption gekommen ist. Sie ist auch abends nicht zum Abendessen gekommen. Wir haben das Essen dann in einem Servierwagen zu ihrem Zimmer gebracht, sind gegangen und haben sie dann angerufen. Dadurch konnten wir gewährleisten, dass sie keinen Kontakt zu uns hat." Nischler selbst sieht die strikten Maßnahmen der Regierung durchaus positiv. Ein paar Wochen blieben ihnen noch bis zum Auftakt der Hauptsaison um die Osterfeiertage. Bis dahin gelte: "Wir müssen den Virus besiegen, wir müssen die Infektionskette durchbrechen und zwar komplett."