Istanbul am Tag danach
13. Januar 2016Noch immer stehen Dutzende Kamerateams rund um den Brunnen im Herzen des Istanbuler Touristenviertels Sultanahmet. Hier, zwischen Blauer Moschee und Hagia Sophia, hatte sich am Dienstag ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und zehn deutsche Touristen mit in den Tod gerissen. Gut 24 Stunden danach sind nur vereinzelt Touristen zu sehen, die vorsichtig über den Platz laufen. Ein Straßenhändler bietet den wenigen potenziellen Kunden Simit an, warmes Hefeteiggebäck.
Ein Touristenführer versucht einige Meter weiter, Interessenten für eine Bootsfahrt auf dem Bosporus zu gewinnen. "Jetzt zum halben Preis", sagt er einem Paar aus England. "Auf dem Wasser ist es sicherer als an Land, falls Sie sich Sorgen machen." Die beiden Touristen scheinen sich jedoch weniger um die Terrorgefahr zu sorgen als um die üblichen Gefahren des Massentourismus. "Wir haben vom Anschlag erfahren, als wir gestern aus dem Flugzeug stiegen", sagt Mark, 57 Jahre alt, aus Leeds. "Wir waren natürlich etwas verunsichert, aber wir machen uns eher Gedanken darüber, dass wir uns verlaufen könnten oder zu viel Geld ausgeben."
Istanbul ist nach Paris und London die Stadt mit den meisten Besuchern in Europa. Der Tourismus sorgt für mehr als ein Zehntel des Bruttoinlandsprodukts der Türkei. Viele Menschen, die hier ihr Geld verdienen, machen sich nun große Sorgen. "Ich habe Angst, jetzt meinen Job zu verlieren", sagt etwa Asli, der an einer Hotelrezeption arbeitet.
Deutsche im Fadenkreuz?
Die Warteschlange vor der Hagia Sophia reicht normalerweise bis weit auf den Vorplatz hinaus. Touristen stehen hier oft stundenland an, um die historische Kirche, spätere Moschee und das heutige Museum zu besichtigen. Jetzt jedoch stehen nur einige wenige Touristen am Eingang. "Was gestern geschehen ist, ist sehr tragisch", sagt Joanna, eine 26-jährige Musikern aus der Nähe von Berlin. "Es ist tragisch für all diejenigen, die ihr Leben verloren haben und für die Stadt, die so viele von uns lieben."
Viele fragen sich, ob sich der Attentäter bewusst in einer Gruppe deutscher Reisender in die Luft gesprengt haben könnte. Die Deutschen stellen die Mehrheit der Türkei-Touristen. "Diese Gegend im Viertel Sultanahmet ist bei Touristen aus aller Welt beliebt", sagt Aaron Stein, Nahost-Experte beim Atlantic Council. "Ich glaube eher, dass der Anschlag allgemein gegen Touristen gerichtet war und diese deutsche Reisegruppe großes Unglück hatte."
Syrer in Sorge
Zurück in Sultanahmet: "Wir fühlen uns in Istanbul sehr wohl", sagt die 27-jährige Nour, die ursprünglich aus Homs in Syrien kommt, nun im Süden der Türkei lebt und gerade Istanbul besucht. "Aber nun muss ich befürchten, dass der Anschlag ein schlechtes Licht auf alle Syrer wirft. Dabei war der Attentäter nicht einmal Syrer." Der mutmaßliche Attentäter soll stattdessen aus Saudi-Arabien stammen. Das wüssten viele Menschen aber nicht. "Schon jetzt ist es manchmal sehr schwer für uns, hier zu leben. Das könnte sich nun verschlimmern."