Ist Lucas Hernández 80 Millionen Euro wert?
27. März 2019Uli Hoeneß bemüht gerne Superlative, wenn er über sein Lebenswerk, den FC Bayern München, spricht. Als er kürzlich das "größte Investitionsprogramm, das der FC Bayern je hatte" ankündigte, wird er genau gewusst haben, was jetzt kommuniziert wurde: der Wechsel von Lucas Hernández an die Isar. Für 80 Millionen Euro kommt der französische Fußball-Weltmeister im Sommer von Atlético Madrid nach München - das ist mehr Geld als je ein Bundesliga-Verein für einen Spieler ausgab. Und der teuerste Verteidiger der Welt ist Hernández damit auch. Das war genau die Größenordnung, die Uli Hoeneß intendiert hatte.
Investition in eine polyvalente, schnelle und stabile Defensive
Ein solcher Transfer ist nicht nur eine personelle Verstärkung, sondern auch ein strategisches Signal: Seht her, wir kommen wieder, und wie! Das frühe Aus in der Champions League im Achtelfinal-Duell mit dem FC Liverpool hat Wunden hinterlassen in der Seele der Bayern. Den europäischen Granden nun beim Ausspielen der Königsklasse zusehen zu lassen, schmerzt. Solche Momente waren und sind beim FC Bayern seit jeher Wendemarken. Als Borussia Dortmund die Münchener 2012 zunächst in der Bundesliga und kurz darauf auch noch im DFB-Pokalfinale demütigte, öffnete Hoeneß das Portemonnaie oder besser gesagt: das vielzitierte Festgeldkonto. Er kaufte den Dortmundern nacheinander deren damalige Topstars Mario Götze und Robert Lewandowski weg und holte mit Javi Martínez den bis dato teuersten Spieler in die Bundesliga (für 40 Millionen Euro). Das Ergebnis des Investitionsprogramm: Die Folgesaison wurde mit dem Triple die erfolgreichste der Vereinsgeschichte.
Nun hofft man an der Säbener Straße offenbar auf eine Wiederholung der Geschichte. Nach Benjamin Pavard (35 Millionen Euro) und Jann-Fiete Arp (drei Millionen Euro) steht der dritte Neuzugang des kommenden Sommers fest: Lucas Hernández. Ist er die höchste in der Bundesliga je für einen Einkauf bezahlte Transfersumme wert? Die Antwort fällt unterschiedlich aus, je nachdem wie stark man sportliche, wirtschaftliche und strategische Argumente gewichtet.
Sportlich ist Lucas Hernández definitiv eine Verstärkung. Der 23 Jahre alte Verteidiger wird zwar nach einer Operation am rechten Knie einige Wochen ausfallen, zum Saisonstart 2019/20 aber nach Prognose von Vereinsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt einsatzfähig sein. Die zuletzt instabile, weil zu langsame Abwehrreihe der Münchener wird durch den Franzosen schneller und austarierter. Während der Rekordtransfer für Mats Hummels und Jérôme Boateng wohl nichts Gutes heißt, wird Hernández nach Lage der Dinge seinen Platz auf der linken Abwehrseite bzw. in der zentralen Defensive finden. Und da Erfolge auf höchstem europäischem Level heute nur über eine polyvalente, schnelle und stabile Defensive zu holen sind, kann man den Transfer sportlich nachvollziehen. Während sich Hummels und Boateng sowohl im DFB-Dress als auch im Bayern-Trikot allzu oft überspielen ließen, sieht man so etwas bei Hernández selten. Im Gegenteil; aufgrund von Schnelligkeit und gutem Stellungsspiel kann er sich auch vorne zeigen und gab so im WM-Finale 2018 die Torvorlage zum 4:1.
Wirtschaftlich betrachtet sind 80 Millionen Euro für nur einen Spieler zunächst ein Irrsinn. Denn wie soll ein Spieler dieses Investment wieder einbringen? In der Mannschaftssportart Fußball ist der größte Star nichts ohne sein Team. Und das kann selbst im Falle eines Gewinns der Champions League "nur" mit 70 bis 80 Millionen Euro an Siegprämien rechnen (abhängig von der Anzahl der Siege in der Gruppenphase) - gemeinsam wohlgemerkt. Auch mit Merchandise-Erlösen, also verkauften Trikots oder anderen Fanartikeln, werden außer bei absoluten Topstars und Publikumslieblingen wie Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi keine gigantischen Einnahmen erzielt. Nimmt man jedoch die TV-Verträge, langfristige Sponsoren-Deals und in Zukunft möglicherweise auch die lukrativen Pläne einer europäischen Super League hinzu, erhält die sportliche Neuausrichtung mit einem Schwergewicht wie Lucas Hernández etwas mehr Sinn für Realität. Die Investition wird von nicht unerheblichen Einnahmen aus diesen Quellen kompensiert und bewegt sich noch im Rahmen der inzwischen bei den Topclubs üblichen Summen. Dennoch bleibt es auch angesichts der aktuellen Verletzung von Hernández ein finanzielles Risiko, das der FCB da eingeht.
Strategisch kommt der Wechsel zur richtigen Zeit: Der Nackenschlag des Achtelfinal-Aus gegen Liverpool ist noch nicht ganz verdaut, in der Liga ist man erstmals seit Jahren nicht bereits der absehbare Deutsche Meister und steht vor entscheidenden Wochen. Das Gerede von einer alternden Mannschaft, vom zu spät eingeleiteten Umbruch wird dank des Transferhammers nun verstummen. Das Renommee des Weltmeisters und nicht zuletzt auch die gewaltige Summe lenken den Blick in Richtung Zukunft. Genau das werden die Verantwortlichen mit der recht frühen Bekanntgabe der Vertragsunterschrift bezweckt haben. Und in diese Richtung zielte auch die strategisch motivierte Ankündigung der Transfers: "Wenn Sie wüssten, was wir alles schon sicher haben für nächste Saison", hatte Hoeneß bereits vor einem Monat bei "Sport1" angedeutet. Dass der Kontrakt mit Hernández über fünf Jahre geht, unterstreicht die langfristige Personalplanung des FC Bayern.
Fazit: Wenn Lucas Hernandez gesund bleibt und seine bisherige sportliche Entwicklung fortsetzt, kann man die gewaltige Investition also vertreten. Allerdings stellt sich die Frage, wohin der eingeschlagene Weg die Bayern führen wird: Tritt man ein in das Wettbieten mit den durch superreiche Investoren aus der arabischen Welt, Russland oder den USA aufgepumpten Vereinen wie Paris Saint-Germain, Manchester City, Manchester United oder FC Chelsea? Es sieht danach aus.
Und wer folgt?
Hernández wird dem Vernehmen nach nicht der letzte Zugang der Bayern bleiben. Umworben werden das englische Talent Callum Hudson-Odoi, den der FC Chelsea aber - zumindest noch - partout nicht ziehen lassen möchte (im Raum steht eine Bayern-Offerte von wohl 30 Millionen Euro), der Leverkusener Kai Havertz, der als größtes Talent seiner Generation im deutschen Fußball gilt (und für den Bayer 04 nach "Sportbild"-Informationen sage und schreibe 100 Millionen Euro verlangen soll), den Ivorer Nicolas Pépe von OSC Lille ("BeIN Sports France" berichtet über ein Angebot von 80 Millionen Euro), Nationalstürmer Timo Werner von RB Leipzig (RB Leipzig verlang laut "Bild" 60 Millionen Euro) oder der serbische Senkrechtstarter Luka Jović ("Mundo Deportivo" berichtet von einer 56-Millionen-Euro-Offerte des FCB). Gewaltige Summen, die mit Blick auf die Financial Fairplay-Regel der UEFA auch namhafte Abgänge verlangen. Bisher steht auf dieser Seite nur Arjen Robben fest. Es werden weitere folgen.