Ist die Klassik vom Aussterben bedroht?
30. Januar 2014
In Deutschland musizieren mehr als 130 Konzert-, Rundfunk- und Opernorchester - eine Vielfalt, die weltweit als einzigartig gilt. Der Deutsche Musikrat setzt sich dafür ein, dass diese Orchesterlandschaft in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen wird.
Doch wie steht es um das Publikum? Laut einer neuen Forsa-Umfrage, die von der Hamburger Körber-Stiftung in Auftrag gegeben wurde, kommt über die Hälfte der unter 30-Jährigen überhaupt nicht mit klassischer Musik in Berührung, weder als Zuhörer noch aktiv.Über ein Viertel dieser Altersgruppe findet zudem die Atmosphäre im Konzerthaus zu elitär. "Zu wenig Zeit, zu teure Karten, mangelndes Interesse", gaben jeweils mehr als ein Drittel der 1006 Befragten im vergangenen Dezember zur Begründung ihres fehlenden Interesse am Konzertbesuch an - trotz reger Vermittlungsarbeit der Veranstalter und Kooperation mit Schulen.
Kulturerbe lediglich symbolisch?
Um die Frage, wie mit solch einem Erbe in der Zukunft am besten umzugehen sei, ging es Mitte Januar in "The Art of Music Education Vol. IV", einer Tagung, die von der Körber-Stiftung gemeinsam mit der European Concert Hall Organisation (ECHO) und der Elbphilharmonie Hamburg veranstaltet wurde. Dort hieß es: Das, was Gruppen oder Individuen unter Kultur verstehen, ist alles andere als eindeutig - sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern in und außerhalb Europas.
Als Chefdirigent des Orchestre Symphonique de Montréal hat Kent Nagano die erstaunliche Erfahrung gemacht, dass nach dem Bau eines neuen Konzertsaals in der Stadt das Durchschnittsalter der Zuhörer von 65 auf junge 38 Jahre sank. "Musik muss die Menschen direkt erreichen, ihnen vermitteln: Sie ist, was wir sind", erklärte der Kalifornier mit japanischen Wurzeln, der auch künstlerischer Leiter der Bayerischen Staatsoper München ist. Dazu müssten Kulturschaffende erkennen, wie Musik im Alltag erlebt wird.
Musik außerhalb des Konzertsaals
Kathryn Tickell, eine englische Sackpfeifen-Spielerin und Komponistin, hat erkannt, dass Menschen durch die Beschäftigung mit Volksmusik ihren persönlichen Wurzeln in der Gesellschaft nachspüren können. Volksmusik müsse in der Gesellschaft ebenso ernst genommen werden wie etwa eine Sinfonie von Johannes Brahms, forderte Matthias Schorn, Soloklarinettist der Wiener Philharmoniker, während einer Podiumsdiskussion. Nur eine Musik, mit der man sich identifiziere, könne einen tief berühren. "Spiele ein Stück immer so, als hättest du es gerade komponiert", zitierte er den Dirigenten Nikolaus Harnoncourt.
Virtueller Konzertsaal
Das Konzerthaus des Concertgebouw-Orchesters in Amsterdam setzt ein interaktives Livestreaming-Projekt um, das Schulkinder zum Mitsingen animieren soll. Bis 2016 sollen alle Schulen in den Niederlanden damit erreicht werden, kündigte Anja van Keulen an, die Leiterin des Education-Programms dort.
Um die Distanz zwischen den Musikern auf der Bühne und dem Konzertpublikum im Saal zu überbrücken, gab Esa-Pekka Salonen, Chefdirigent des Philharmonia Orchestra in London, den Anstoß zu der digitalen Installation "re-rite", die einzelne Instrumentengruppen auf riesige Bildschirme projiziert.Musiker, die mit ihren Kollegen Igor Strawinskys "Le Sacre du Printemps" spielten, hatten dabei selbst Kameras auf dem Kopf. Besucher der Installation, die auch auf der Baustelle der Elbphilharmonie gezeigt wurde, können außerdem mitdirigieren oder auf einem eigenen Instrument mitspielen.
In der digitalen Welt gewinnt der Konzertsaal immer neue Facetten. Auch wenn das unmittelbare Live-Erlebnis durch nichts ersetzbar ist, bietet sich der klassischen Musik in der Zukunft die große Chance, auf Großleinwänden, Tablets und Smartphones ein neues Publikum zu finden und interaktiv zu beteiligen.