Ist Deutschland noch Formel-1-Land?
13. März 2023Nach zwei Jahren Durststrecke ist Sophie Flörsch zurück. "Es fühlt sich sehr gut an", sagt die 22 Jahre alte deutsche Rennfahrerin der DW. "Ich hatte in den vergangenen beiden Jahren das Ziel, in den Formel-Sport zurückzukehren. Dass es für 2023 geklappt hat, ist toll. Ich bin super happy, wieder Formel 3 zu fahren." Und nicht nur das. Flörsch wurde auch in den Nachwuchskader des Formel-1-Rennstalls Alpine aufgenommen, des Werksteams von Renault. "Natürlich bin ich damit meinem Ziel Formel 1 ein Stück nähergekommen, aber es liegt noch ein weiter Weg vor mir."
Eine Formel-1-Fahrerin Sophie Flörsch würde dem deutschen Motorsport guttun. Der weltweite Formel-1-Boom, der sich unter anderem in einer Umsatzsteigerung von 20 Prozent im Jahr 2022 ausdrückt, ist an Deutschland vorbeigegangen. Entgegen dem internationalen Trend sinken die deutschen TV-Einschaltquoten. Der letzte Grand Prix in Deutschland wurde 2020 auf dem Nürburgring ausgefahren. Und Niko Hülkenberg ist nach dem Abschied von Sebastian Vettel und dem Aus für Mick Schumacher der einzige Deutsche im Fahrerfeld.
"Auch in den Nachwuchsklassen gibt es fast keine Deutschen mehr. Das ist extrem traurig", findet Flörsch. "Da muss sich etwas ändern, sonst gibt es irgendwann überhaupt keinen deutschen Formel-1-Fahrer mehr. Es fehlt an Förderung in Deutschland, ob von Verbandsseite oder Firmen und Sponsoren. Und das, obwohl wir ein Land mit vielen Automobilherstellern sind."
Preisexplosion in den Nachwuchsklassen
Viele Motorsportkarrieren scheitern schlicht am Geld. "Der Sport ist extrem teuer, unabhängig vom Geschlecht. Und je höher die Klasse ist, desto teurer wird es", sagt Flörsch. "Wenn du es nicht aus eigener Tasche bezahlen kannst, besteht die größte Schwierigkeit darin, diese Budgets zusammenzubekommen." Inklusive Saisonvorbereitung kostet ein Jahr in der Formel 3 bis zu 1,5 Millionen Euro. Wer kann sich das leisten?
"So traurig es ist, aber viele Fahrer, gegen die ich fahre, haben das Geld einfach", antwortet die Formel-3-Pilotin. "Auf der anderen Seite gibt es nicht nur in Deutschland, sondern weltweit wahrscheinlich sehr viele hoch talentierte Jungen und Mädchen, die niemals die Möglichkeit erhalten, Motorsport zu betreiben. Selbst im Kartsport werden teilweise Summen ausgegeben, die ein Normalbürger nicht auftreiben kann."
Die ADAC Stiftung Sport fördert seit fast einem Vierteljahrhundert deutsche Rennfahrerinnen und Rennfahrer. Auch Flörsch kam in diesen Genuss. 17 der Geförderten schafften es bisher in die Königsklasse Formel 1, darunter auch Hülkenberg sowie die zurückgetretenen Weltmeister Vettel und Nico Rosberg. Doch die aktuellen Talente haben es schwer, einen Fuß in die Tür zu bekommen.
"Es gab vor Jahren in Deutschland eine florierende Nachwuchsszene mit der Formel BMW ADAC über die Formel-3-Euroserie bis hin zur Formel-3-Europameisterschaft. Diese Serien sind leider nicht fortgeführt worden", sagt Wolfgang Schattling der DW. "Mit ein Grund dafür ist, dass die FIA [Motorsportweltverband - Anm. d. Red.] die Nachwuchskategorien neu geordnet hat: Formel 3 und Formel 2 dürfen nur im Rahmen der Formel 1 fahren. Das hat zu einer Preisexplosion geführt, die in Deutschland viele davon abgehalten hat, eine Karriere im Formel-Rennsport zu beginnen."
Zurückhaltung der Industrie
Schattling hat rund 20 Jahre lang für Mercedes Benz in der Formel 1 gearbeitet und ist jetzt als Direktor der ADAC Stiftung Sport unter anderem für Partnerschaften und Sponsoring zuständig. "Natürlich spielt das Geld die Hauptrolle. Aber eine Karriere zu finanzieren, muss nicht nur vom Familienbudget abhängen, sondern auch von der Unterstützung seitens der Industrie", sagt Schattling. "Da sieht es in anderen Ländern wie Italien, Frankreich oder England viel besser aus. In Deutschland ist hinsichtlich der Unterstützung durch die Wirtschaft eine Reserviertheit zu spüren - mit Ausnahme der im Motorsport engagierten Hersteller, die ihre eigenen Fördersysteme haben."
Das Thema Formel 1 sei in Deutschland "in den letzten Jahren nicht ernst genug genommen" worden, findet Schattling. Der Direktor der ADAC-Stiftung kann deshalb die Kritik von Ex-Formel-1-Chef Bernie Ecclestone nachvollziehen, Deutschland habe seine Bedeutung als Formel-1-Land verloren. "Ich finde es beschämend für ein Autoland wie Deutschland, dass wir im Gegensatz zu kleineren Ländern wie Belgien oder den Niederlanden es nicht schaffen, einen eigenen Grand Prix auf die Beine zu stellen", sagt Schattling. "Da wird hierzulande leider noch zu klein gedacht." Ecclestone hatte den deutschen Veranstaltern vorgeworfen, nur noch "kleine, nette lokale Rennen" auszurichten und nicht "internationale Rennen im Weltmeisterformat".
Hohes finanzielles Risiko für deutsche Rennstrecken
Diesen Schuh wollen sich die Verantwortlichen der früheren Formel-1-Standorte Nürburgring und Hockenheimring nicht anziehen. "Wir sind eine erfolgreiche Rennstrecke und schreiben schwarze Zahlen. Aber wir können uns doch kein Format einkaufen, das wir in der aktuellen Form nicht refinanzieren können", sagt Alexander Gerhard, Kommunikationschef des Nürburgrings, mit Blick auf die von der Formel 1 geforderten sehr hohen Antrittsgelder. "Der Nürburgring ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Wir konkurrieren nicht mit staatlich getragenen Organisationen, wie es etwa bei der Rennstrecke in Bahrain oder auch in Spa-Francorchamps in Belgien der Fall ist. Die haben den privatwirtschaftlichen Druck nicht und müssen nicht mit einem Formel-1-Rennen das gesamte Geschäftsmodell auf den Kopf stellen."
Auch die Geschäftsführung des Hockenheimrings beruft sich gegenüber der DW auf eine "seriöse Abwägung" der finanziellen Risiken: "Schließlich gab es in den vergangenen zwei Jahrzehnten einige Formel-1-Rennen, die für Rennstreckenbetreiber Millionendefizite mit sich brachten. Die vermeintlich 'kleinen lokalen Rennen', die eine große Anhängerschaft haben und übrigens seit Jahren stetig wachsen, tragen nicht unwesentlich dazu bei, die finanziellen Belastungen aus der Vergangenheit auszugleichen."
Sowohl der Nürburgring als auch der Hockenheimring stünden nach Angaben der Verantwortlichen bereit, wieder Gastgeber für Formel-1-Rennen zu sein - allerdings nur, wenn "das finanzielle Risiko in immerhin zweistelliger Millionenhöhe nicht einzig und allein auf unseren Schultern lastet", wie es die Geschäftsführung des Hockenheimrings formuliert.
Schlechtes Image des Autos
Sophia Flörsch hofft auf ein Comeback der Formel 1 in Deutschland. Den Hauptgrund für das sinkende Interesse an der Königsklasse sieht sie im generell schlechten Image des Automobils in Deutschland: "Wenn in den Augen vieler schon das normale Auto auf der Straße ganz schlimm ist, dann ist natürlich der Motorsport noch viel schlimmer - obwohl das nicht so ist. Das wird in Deutschland sehr oberflächlich gesehen."
Auch im Motorsport tue sich "extrem viel", findet die Pilotin. "So fahren wir in der Formel 3 mit 50 Prozent Bio-Kraftstoffen, beim Langstreckenrennen in Le Mans sind es seit letztem Jahr sogar 100 Prozent. Die Formeln 1, 2 und 3 werden schnellstmöglich CO2-neutral, als Hochtechnologiesport will man rasch mit bestem Beispiel vorangehen."
Und wie groß sieht sie ihre Chance, selbst einmal in einem Formel-1-Cockpit zu sitzen? "Ich glaube fest daran, sonst würde ich den Sport nicht machen", antwortet Flörsch. "Ich weiß aber auch, dass es nicht allein vom Talent und Können abhängt, sondern auch von anderen Faktoren. Für mich geht es jetzt darum, dieses Jahr so gut wie möglich zu absolvieren, viel zu lernen und den Sprung in die Formel 2 zu schaffen."