Israels clevere Coronaimpfstrategie
16. Februar 2021Während die Impfungen in vielen EU-Ländern nur schleppend vorankommen, weil es bei den Herstellern Lieferengpässe gibt, hat Israel sogar mehr Impfstoff zur Verfügung, als verimpft werden kann.
Bislang hat Israel pro Kopf weltweit die meisten Corona-Impfdosen verabreicht. 3,67 Millionen Israelis haben seit Beginn der Impfkampagne am 20. Dezember die erste Impfdosis des mRNA-Impfstoffs von BioNTech und Pfizer erhalten, das entspricht etwa 40 Prozent der Gesamtbevölkerung. Mehr als 28 Prozent erhielten bereits die zweite Dosis. Und bei den über 60-Jährigen wurden sogar bereits mehr als 80 Prozent geimpft. Mittlerweile kann sich jeder über 16 Jahre sofort impfen lassen.
Trotzdem hat Israel aktuell so viel Impfstoff von BioNTech/Pfizer, dass der Impfstoff von Moderna noch gar nicht verimpft wird, obwohl er bereits seit dem 5. Januar zugelassen ist.
Die israelische Impfkampagne zeigt bereits einen deutlichen Erfolg: Die Fallzahlen sinken deutlich, vor allem bei Menschen über 60 ging die Zahl der Neuinfektionen signifikant zurück, wie Analysen des Weizmann-Instituts zeigen. In dieser Altersgruppe gab es nach der zweiten Dosis 56 Prozent weniger Infektionen, 42 Prozent weniger Krankenhausbehandlungen und 35 Prozent weniger COVID-19-Tote.
Impfstoff gegen wertvolle Daten
Dass sich der Neun-Millionen-Einwohner-Staat solch große Impfstoff-Mengen sichern konnte, hat mit den besonderen Vertragsbedingungen zu tun, die Israel mit den Herstellern ausgehandelt hatte. Im Gegensatz zur EU hat Israel diese Vertragskonditionen nicht unter Verschluss gehalten, sondern die Vereinbarung mit Pfizer im Internet zugängig gemacht.
Demnach zahlt Israel zum einen im Vergleich zur EU deutlich mehr für die Impfdosen von BioNTech/Pfizer, angeblich rund 23 Euro pro Dosis im Vergleich zu zwölf Euro in der EU.
Außerdem übernimmt der israelische Staat die Produkthaftung. Der Europäischen Union war des dagegen sehr wichtig, dass die Hersteller BioNTech und Pfizer weiterhin für ihr Produkt haften.
Vor allem aber vereinbarte die israelische Regierung mit den Impfstoffherstellern, dass Israel wöchentlich Daten aus der Impfkampagne an Pfizer liefert. Dazu gehören Infektions- und Impfzahlen, aber auch die demografischen Angaben der Patienten wie zum Beispiel das Alter und Geschlecht. Die Daten werden laut israelischen Behörden anonymisiert zu Pfizer geschickt.
So erhalten die Pharmakonzerne dank des digitalisierten Gesundheitssystems in Israel nicht nur sehr schnell und verlässlich Daten, sie bekommen vor allem viel mehr Daten, als sie dies aus jeder Studie erhalten würden. Es ist für die Pharmakonzerne ein Quell an Informationen von unschätzbarem Wert.
Im Gegenzug verpflichten sich die Impfstoffhersteller, Israel so lange mit Impfstoff zu versorgen, bis im Land eine Herdenimmunität, also eine Immunität von 95 Prozent der Bevölkerung, erreicht ist.
Ermutigende Versicherungsdaten
Aus diesen Daten stammen auch die neusten Erkenntnisse zur Wirksamkeit des Impfstoffs. Sie stammen von Maccabi, einer der vier gesetzlichen Krankenkassen, bei der rund ein Viertel der Israelis versichert sind. Veröffentlicht wurden sie von der Times of Israel.
Erhoben wurden die Daten eine Woche nach der zweiten Impfdosis, also zu dem Zeitpunkt, an dem die Impfung mutmaßlich bereits ihre volle Schutzwirkung entfaltet hat.
Von den 523.000 Versicherten steckten sich nach der zweiten Dosis nur 544 Personen mit Sars-CoV-2 an. Das entspricht einem Anteil von 0,1 Prozent. Von den 544 Infizierten mussten 15 in einer Klinik behandelt werden. Acht hatten lediglich milde Beschwerden, drei hatten moderate Symptome und nur vier erlitten einen schweren Verlauf. Gestorben ist kein Einziger an den Folgen der SARS-Cov-2 Infektion.
Die erhobenen Daten verglich die Krankenkasse mit 628.000 ungeimpften Versicherten, von denen sich im selben Zeitraum 18.425 Personen infizierten. Daraus errechnet Maccabi eine Wirksamkeit des Impfstoffs von 93 Prozent.
Dieser Wert macht Hoffnung, nicht nur weil er sich mit den Werten, die BioNTech und Pfizer in den Zulassungsstudien ermittelt hatten, deckt. Er zeigt, dass die Impfung offenbar tatsächlich vor einem schweren Verlauf schützt und Todesfälle infolge der Infektion minimieren kann.
"Diese Daten beweisen eindeutig, dass der Impfstoff sehr effektiv ist, und wir haben keinen Zweifel daran, dass er das Leben vieler Israelis gerettet hat", so bewertete die leitende Maccabi-Beamtin Miri Mizrahi Reuveni die vorliegenden Daten.
Allerdings sind die Maccabi-Daten nur bedingt repräsentativ, weil noch nicht veröffentlicht wurde, wie sich die untersuchte Gruppe hinsichtlich Alter und Vorerkrankungen zusammensetzt. Weiterreichende Erkenntnisse bringen da vielleicht die Daten von Clalit, der größten Versicherung Israels, die in Kürze ebenfalls veröffentlicht werden sollen.
Außerdem soll es in den nächsten zwei Wochen auch Daten über die Wirksamkeit des Impfstoffs unter der jüngeren Bevölkerung und unter Personen mit Vorerkrankungen wie Diabetes oder Krebs sowie Schwangeren geben.
Wirksam auch bei Mutationen?
Die jüngsten Zahlen aus Israel lassen allerdings noch keine Rückschlüsse darauf zu, wie gut die Impfstoffe unter Realbedingungen gegen die deutlich ansteckenderen neuen Virusvarianten wirken. Unter Laborbedingungen sei der BioNTech/Pfizer-Impfstoff sowohl gegen die britische Variante B.1.1.7 als auch gegen die südafrikanische Mutationen B.1.351 wirksam, berichtet BioNTech. Aber das sind eben Laboranalysen, belastbare Beweise aus der realen Welt liegen noch nicht vor.
Von anderen Impfstoffen gibt es diese Daten bereits. Der britisch-schwedische Pharmahersteller AstraZeneca etwa schnitt bei Studien in Südafrika sehr schlecht ab, weil seine Wirksamkeit bei der dort grassierenden Variante auf etwa zehn Prozent fiel. Trotzdem schützt auch der AstraZeneca-Impfstoff offenbar auch dann noch sehr wirksam vor schweren Verläufen oder dem Tod durch COVID-19.
Das liegt nach Ansicht von Florian Krammer, Impfstoffforscher an der Icahn School of Medicine in New York, an der Immunantwort durch die T-Zellen. Denn diese werden durch die Mutationen im Spikeprotein des Virus vermutlich nicht so stark beeinflusst wie die Immunantwort durch Antikörper.
Allerdings mutiert das Virus immer weiter und es gibt bereits kombinierte Mutationen, die möglicherweise noch ansteckender sind. Auch in den USA sind einer neuen Studie zufolge über die Staaten verstreut sieben neue Varianten entdeckt worden, die alle eine Mutation im gleichen genetischen Buchstaben entwickelt haben, so Jeremy Kamil, ein Virologe an der Louisiana State University Health Sciences Center Shreveport und ein Co-Autor der neuen Studie. Noch ist allerdings unklar, ob sie die Varianten ansteckender macht.
Auf jeden Fall müssen die Impfstoffhersteller höchst wahrscheinlich ihre Vakzinen an die neuen Varianten anzupassen.
Lockerungen trotz hoher Infektionszahlen
Während viele Länder mit ihren Impfkampagnen nur schleppend vorankommen, hat Israel jetzt erstmals wieder einige der seit Ende Dezember geltenden Einschränkungen aufgehoben. Die Bürger können sich jetzt wieder frei im Land bewegen. Kitas und Schulen sind wieder geöffnet. Auch Firmen ohne Kundenverkehr und Geschäfte mit individueller Bedienung sind wieder offen.
Dabei sind die Infektionszahlen auch im internationalen Vergleich immer noch sehr hoch: sie liegen bei über 400 pro 100.000 Einwohner und Woche. In Deutschland liegen sie aktuell bei rund 60.
Grundsätzlich könnten die Infektionszahlen in Israel schneller zurückgehen, wenn die Untersuchung des Technion – Israel Institute of Technology in Haifa – sich bewahrheiten. Denn nach dessen Berechnungen sinkt die Virenlast bereits 18 Tage nach Verabreichung der ersten Impfdosis. Geimpfte wären demnach weniger ansteckend.
Impfvorbehalte bei jüngeren Israelis
Allerdings gibt es vor allem bei jüngeren Israelis eine deutlich geringere Impfbereitschaft. Dabei müssen in Israel erstmals in der gesamten Pandemie mehr Menschen unter 60 Jahren im Krankenhaus behandelt werden als in der Altersgruppe ab 60 Jahren.
Denn aktuell grassiert das Virus vor allem in der jüngeren Bevölkerung und sorgt für schwere Verläufe. Auch junge Menschen erkrankten teilweise so schwer, dass sie an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen werden müssen, die das Blut mit Sauerstoff anreichert, so Idit Matot, Leiterin der Anästhesiologie im Ichilov-Krankenhaus in Tel Aviv gegenüber dem Portal ynetnews.
Entsprechend debattiert die Regierung bereits über ein entsprechendes Bonussystem oder auch über mögliche Strafen. Eindringlich appellierte Erez Barenboim, der Direktor des Assuta Ashdod-Uniklinikums, an die Vernunft der Bürger: "Ich sage der jungen Bevölkerung: Die Coronavirus-Stationen sind mit Menschen gefüllt, die gesagt haben 'das wird nie passieren'", so Barenboim gegenüber dem Portal ynetnews. "Lasst euch sofort impfen", so Barenboim.