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Israels Nationalbibliothek zeigt Kafkas Skizzen

Torsten Landsberg
7. August 2019

Die Israelische Nationalbibliothek präsentiert bislang unveröffentlichte Dokumente Franz Kafkas. Vorausgegangen war ein jahrelanger Rechtsstreit. Zurück bleibt die Frage: Wer hat Anspruch auf einen Autor und sein Werk?

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Schriftsteller Franz Kafka
Bild: picture alliance/CPA Media

Tausende Briefe, Manuskripte und Zeichnungen zählen zum Nachlass, von dem die Israelische Nationalbibliothek am Mittwoch in Jerusalem einen Teil präsentierte. "'Hingeworfene Kritzeleien' könnte man es vielleicht auch nennen, aber dennoch von Kafka, die völlig unbekannt sind", sagte der zuständige Archivar der Nationalbibliothek, Stefan Litt, mit Blick auf die Skizzen.

Alle Kafka-Dokumente, die in Tel Aviv und Zürich in Banksafes lagerten und vor zwei Wochen in Jerusalem eingetroffen waren, sollen spätestens Ende des Jahres im Internet zugänglich sein. Darunter seien Kafkas Übungsheft für Hebräisch, Dutzende Briefe sowie drei Versionen der Kafka-Erzählung "Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande". Die Präsentation war der Schlusspunkt einer Odyssee, die Potenzial für einen Roman Kafkas gehabt hätte.

Ein Bild von Franz Kafka hängt in einem Museum an einer Backsteinwand.
Umkämpftes Kulturgut: Franz Kafka, der wohl bedeutendste jüdische Schriftsteller in deutscher SpracheBild: dapd

"Größte Befehlsverweigerung der Literaturgeschichte"

Kafka hatte seinem Freund und späteren Herausgeber, dem Schriftsteller Max Brod, vor seinem Tod aufgetragen, seine literarischen Notizen zu vernichten. Über diesen Wunsch setzte sich Brod nach Kafkas Tod infolge einer Tuberkulose im Jahr 1924 hinweg - die "größte Befehlsverweigerung der Literaturgeschichte", wie "Die Zeit" einmal schrieb. Brod hielt Kafka für den größten Dichter der Gegenwart und begann bereits 1925 mit der Veröffentlichung seiner Werke, durch die er posthum Weltruhm erlangte. Als Brod 1939 vor den Nationalsozialisten aus Prag nach Tel Aviv floh, nahm er die Dokumente in einem Koffer mit.

In Tel Aviv publizierte Brod weiter, Jahre später schenkte er die verbliebenen Schriftstücke seiner Sekretärin und Lebensgefährtin, Esther Hoffe. Die Schenkung schrieben Brod und Hoffe handschriftlich nieder. Offen ist, warum Brod Kafkas Nachlass und seine eigenen Aufzeichnungen nicht selbst einem Archiv aushändigte, zumal er einen Teil von Kafkas schriftlichem Nachlass den Nichten des Autors übergeben hatte.

Max Brod, Schriftsteller und Kafka-Herausgeber, sitzt mit einem Buch an einem Tisch.
Kafkas Willen verweigert: Max Brod machte den Schriftsteller posthum weltberühmtBild: Getty Images

Kritik am Umgang mit dem kulturellen Erbe

Nach Brods Tod im Jahr 1968 entzündete sich wiederholt Kritik an Hoffes Umgang mit dem Erbe, da sie Teile des Nachlasses verkaufte und versteigern ließ, ohne vorher Literaturwissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, das Material zu erforschen. Kafkas Manuskript "Der Prozess" gelangte 1988 durch eine Versteigerung bei Auktionshaus Sotheby's in eine private Sammlung, aus der sie schließlich das Deutsche Literaturarchiv in Marbach erstand. Mit umgerechnet 3,5 Millionen D-Mark erzielte die Versteigerung den höchsten bis dahin für ein modernes literarisches Manuskript gezahlten Betrag.

Nach Esther Hoffes Tod im Jahr 2007 wollten ihre Töchter Eva Hoffe und Ruth Wiesler, die Brod im Kindesalter kennengelernt hatten, den Nachlass ebenfalls dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach verkaufen. Ob sie über die Erbschaft nach dem Tod oder durch eine Schenkung der Mutter vor deren Tod in dessen Besitz gelangten, ist nicht ganz klar. Die Israelische Nationalbibliothek zweifelte jedenfalls die Rechtmäßigkeit der Eigentumsverhältnisse an und verwies auf Brods Testament, in dem er verfügt hatte, den Nachlass der Universität Jerusalem, der Stadtbücherei Tel Aviv oder einem anderen Institut im In- oder Ausland zu übertragen.

Kafkas Manuskripte im Literaturachiv Marbach
Das Manuskript von Kafkas "Prozess" erstand das Deutsche Literaturarchiv für 3,5 Millionen D-Mark.Bild: picture-alliance/dpa

Bizarres Ringen um die Moral

2010 begann ein Rechtsstreit, der Jahre andauern sollte und auch nach seinem Ende im Jahr 2016 die Frage unbeantwortet ließ, wer Anspruch auf einen Schriftsteller und sein Werk hat: Ist Kafka deutsches Kulturgut? Hatte seine jüdische Religion für den Schriftsteller überhaupt eine Bedeutung? Kann Israel Anspruch auf Kafkas Erbe haben, obwohl der Staat erst 24 Jahre nach dessen Tod gegründet wurde und Kafka selbst nie in diesem Gebiet gelebt hat? Kann umgekehrt Kafka ein Interesse gehabt haben, dass diese Dokumente nach Deutschland gelangen, in das Land, in dem seine drei Schwestern dem Holocaust zum Opfer fielen?

Das nicht nur juristische, sondern auch moralisch-nationale Ringen um Franz Kafka ist auch deshalb so bizarr, weil der Schriftsteller seine Erzählungen nicht verortete und kein Wort über die Herkunft seiner Protagonisten verlor. Im Juni 2016 entschied Israels Oberstes Gericht in letzter Instanz, dass der Nachlass nicht im Privatbesitz bleiben, sondern an die Nationalbibliothek gehen sollte. Ruth Wiesler starb 2012, ihre Schwester Eva zwei Jahre nach dem Ende des Rechtsstreits. Das Gericht nahm die Nationalbibliothek in die Pflicht, auch die unbekannten Manuskripte von Max Brod aufzuarbeiten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.