Israel zäunt sich weiter ein
30. April 2013Das Cremisan-Tal wirkt in der Frühlingssonne fast malerisch - mit seinen Klöstern, Olivenbäumen und Terrassenfeldern. Die Nonnen des Salesianer-Ordens unterhalten hier eine Grundschule für palästinensische Kinder, die Mönche stellen den bekannten Cremisan-Wein her. Das Tal zwischen Jerusalem und Bethlehem gilt als grüne Oase. Doch mit der Idylle könnte es nun bald vorbei sein.
Ein Sondergericht in Tel Aviv hat den von Israel geplanten Bau einer Sperranlage durch das Gebiet als "angemessene Lösung" bezeichnet. Theoretisch können jetzt die Bagger anrollen - ein herber Rückschlag für die palästinensischen Anwohner. Die Sperranlage zwischen Israel und dem israelisch besetzten Westjordanland ist nach UN-Angaben rund 708 Kilometer lang. Davon sind etwa 62 Prozent fertig gestellt. Seit mehr als sechs Jahren versuchen die palästinensischen Anwohner des Cremisan-Tals, den Verlauf der Sperranlage zu ändern: Mit Petitionen und Klagen an israelische Gerichte und mit einem wöchentlichen Gottesdienst unter freiem Himmel.
"Die Bestätigung des Verlaufs der Sperranlage durch das Gericht bedeutet, dass die Nonnen mit der palästinensischen Schule auf der palästinensischen Seite bleiben, aber auf drei Seiten von einer Mauer umgeben sein werden“, sagt Anica Heinlein, Beraterin bei der katholischen Menschenrechtsorganisation Society of St.Yves. Die benachbarten Salesianer-Mönche und ihr Kloster verbleiben dagegen auf der Jerusalemer Seite. Zugang zur jeweils anderen Seite und zu den Feldern soll ein Tor ermöglichen, das von israelischen Soldaten kontrolliert wird. "Uns bleibt jetzt noch der Weg zum Obersten Gericht in Israel,“ erklärt Anica Heinlein. Sie hofft, dass man dort eine andere Entscheidung treffen wird.
Hindernis oder Schutz?
Die Sperranlage bedeutet für Palästinenser vor allem mehr Einschränkungen im Alltag. Betroffen sind Bauern, deren Land plötzlich auf der anderen Seite der Barriere liegt, und Jerusalemer, die von ihrer Stadt abgeschnitten sind, beschreibt Ray Dolphin vom UN-Büro für Humanitäre Koordination in Jerusalem. "Die israelischen Behörden sagen zwar, dass sie Tore in den Zaun einbauen, damit die Bauern zu ihren Feldern kommen", sagt Dolphin, der den Bau seit Jahren dokumentiert. "Aber dafür benötigen sie spezielle Passierscheine. Und es ist sehr schwierig, diese überhaupt zu bekommen."
Für die Israelis ist die Sperranlage vor allem ein Sicherheitszaun, der wirksamen Schutz gegen Terroranschläge bietet. Und das sei es, was zählt, betont Peter Lerner, Sprecher der Israelischen Armee: "Wenn man zehn Jahre zurückblickt, dann war es unmöglich, in einem Café oder einem Bus zu sitzen oder in ein Einkaufszentrum zu gehen: Denn man lebte mit der Bedrohung, dass sich jemand ganz plötzlich neben einem in die Luft sprengt." Die Bilder der Selbstmordanschläge während der Zweiten Intifada im Jahr 2000 prägten das nationale Gedächtnis. Die Sperranlage habe maßgeblich dazu beigetragen, "dass wir in Israel in relativer Sicherheit und Freiheit leben können, wie woanders in der Welt auch", sagt Lerner.
Umstrittener Verlauf der Sicherheitsanlage
Vor allem der Verlauf der Sperranlage sorgt für Spannungen. Sie schlängelt sich durch Hügel und Täler, durchschneidet Dörfer und arabische Wohnviertel in Ostjerusalem. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag urteilte 2004 in einem Gutachten, dass Israel den Schutz seiner eigenen Bevölkerung zwar sicherstellen müsse - doch dass die Sperranlage nur dann konform mit internationalem Recht sei, wenn sie auf der sogenannten "Grünen Linie" verlaufen würde. Das ist die Waffenstillstandslinie von 1949. Israelische Menschenrechtsorganisationen wie B'Tselem gehen aber davon aus, dass rund 85 Prozent der Grenzanlage auf besetztem palästinensischen Gebiet innerhalb des Westjordanlands gebaut und geplant sind - also jenseits dieser Linie.
Auch die meisten Palästinenser kritisieren nicht die Absperrung an sich, sondern ihren Verlauf. So auch Suheir Hashimi, deren Haus in Azariyeh bei Ostjerusalem heute auf der anderen Seite der Sperranlage liegt. Vor zehn Jahren konnte sie noch von ihrem Haus aus zu Fuß ins Nachbarviertel A-Tur laufen, einem Vorort von Ostjerusalem. Von da aus dauerte es mit dem Kleinbus keine zehn Minuten bis ins Stadtzentrum. Heute versperrt aber die hohe Betonmauer den direkten Weg. "Als sie damals anfingen zu bauen, habe ich gedacht, das sei nicht echt. Ich hatte das Gefühl, sie werden hier etwas Beton hinstellen, aber eine echte Mauer?" erinnert sich die Jerusalemerin. "Aber als wir dann jeden Bauabschnitt mitverfolgt haben, habe ich erst bemerkt, wie sich dadurch langsam unser tägliches Leben verändert“. Palästinenser fürchten, dass Israel mit dem Verlauf der Sperranlage Fakten schaffen will, indem es jüdische Siedlungsblöcke einbindet. '"Ich kann das Sicherheitsbedürfnis sehr gut verstehen", sagt Suheir Hashimi. "Aber wenn sie bauen wollen, dann doch auf ihrer Seite. Hier bauen sie mitten durch das arabische Wohnviertel und trennen palästinensische Familien.“
Neue Bedrohungsszenarien für Israel
In Israel gilt die Sperranlage heute als Erfolg: Denn in den vergangenen Jahren gab es dort deutlich weniger Terroranschläge als früher. Der Weiterbau der Anlage geht allerdings nur schleppend voran. Die Gründe dafür sind nach Ansicht von Experten vielfältig. Der Bau ist teuer und aufwendig. Den Obersten Gerichtshof in Israel beschäftigen viele Klagen, mit denen Palästinenser eine Versetzung des Bauwerks von ihrem Land erwirken wollen. Andere Bauabschnitte gelten als politisch zu sensibel, um dort weiterzubauen.
Vor allem aber hat sich das Bedrohungsszenario für Israel in den letzten Jahren geändert. Im Nachbarland Syrien tobt ein Bürgerkrieg, das alte Regime von Hosni Mubarak in Ägypten ist Geschichte. Israel reagiert auf die Veränderungen mit dem Ausbau und der Verstärkung seiner Grenzen. "Die Trends in der Region gehen in eine negative Richtung", sagt der israelische Terrorismus-Experte Boaz Ganor. "Die Entwicklungen des Arabischen Frühlings haben terroristische Elemente wie Al-Kaida und salafistische Terrorgruppen näher an Israels Grenzen gebracht. Barrieren sind nach wie vor ein wichtiges Element in der israelischen Abwehr, um die Infiltration von Terroristen zu verhindern".