Israel und die Palästinenser: Streit ums Wasser
Veröffentlicht 21. März 2024Zuletzt aktualisiert 22. März 2024Experten schlagen Alarm: Im Gazastreifen droht eine Hungersnot. Ändere sich nichts, werde sie spätestens bis Mai im Norden des abgeriegelten Küstenstreifens eintreten, heißt es im neuen Bericht der sogenannten IPC-Initiative für die Analyse von Nahrungskrisen. Bereits jetzt befinde sich die Hälfte der dort lebenden Menschen in schlimmster Notlage.
Die aus verschiedenen UN-Organisationen und Hilfsgruppen bestehende Expertengruppe stützt sich auf die sogenannte Integrated Food Security Phase Classification (IPC), auf dessen Grundlage die Vereinten Nationen (UN) arbeiten. Die offizielle Einstufung als Hungersnot bedeutet, dass mindestens 20 Prozent der Bevölkerung von extremem Mangel an Nahrung betroffen sind.
Die derzeitige Situation werde wahrscheinlich dazu führen, dass künftig viel zu wenig Nahrungsmittel verfügbar sind, heißt es in dem Bericht. Auch der Zugang zu medizinischer Versorgung, Wasser und sanitären Einrichtungen werde eingeschränkt sein.
An akutem Wassermangel leidet die Bevölkerung des Gazastreifens inzwischen seit mehreren Monaten. "Der Zugang zu ausreichend sauberem Wasser ist eine Frage von Leben und Tod", hatte UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell mit Blick auf den Gazastreifen bereits im Dezember erklärt. "Die Kinder in Gaza haben kaum einen Tropfen zu trinken", schrieb sie auf der Plattform X weiter. "Ohne sauberes Wasser werden viele weitere Kinder sterben."
Salziges und verunreinigtes Grundwasser
Der Krieg zwischen Israel und der Hamas spitzt eine Situation dramatisch zu, die im Kern bereits seit Langem existiert. Die Wasserkrise gründet vor allem auch auf der geographischen Lage des Küstenstreifens. Der größte Teil des benötigten Wassers stammt aus einem natürlichen Grundwasserreservoir, das aufgrund der Nähe zum Meer allerdings einen höheren Salzgehalt aufweist. Zudem wird es durch nicht geklärtes Abwasser belastet. Auch Schäden an der Wasserinfrastruktur aus früheren Konflikten zwischen Israel und der militant-islamistischen Hamas tragen dazu bei, dass das Wasser zusätzlich verunreinigt ist. Bereits im Jahr 2011 stellten die Vereinten Nationen fest, dass über 90 Prozent des Grundwassers ohne zusätzliche Behandlung nicht trinkbar ist.
Umso mehr ist der Gazastreifen auf Trinkwasser aus Israel angewiesen. Diese Versorgung hatte Israel als Reaktion auf den Terrorangriff der islamistischen Hamas vom 7. Oktober bis Ende des Monats weitgehend eingestellt. Seitdem die Leitungen wieder geöffnet wurden, fließen täglich mehr als 28 Millionen Liter Trinkwasser aus Israel in den Gazastreifen, wie die Zeitung Times of Israel berichtet. Vor dem 7. Oktober seien es jedoch 49 Millionen Liter gewesen.
Weil auch die Lieferung von Strom und Treibstoff weitgehend zum Erliegen gekommen ist, verschlechtert sich zudem noch die Aufbereitung des in Gaza selbst gewonnenen Wassers: Durch den Energieausfall ist auch die Arbeit der Entsalzungsanlagen eingeschränkt.
Das einzige Kraftwerk Gazas musste aufgrund des Treibstoffmangels bereits im Oktober seinen Betrieb einstellen. Im Gazastreifen wird aus Diesel Strom für Generatoren gewonnen. Mit dem Strom wiederum werden Wasserentsalzungs- und Wasseraufbereitungsanlagen betrieben. Kein Diesel bedeutet also, dass den Menschen im Gazastreifen kein sauberes Trinkwasser zur Verfügung steht.
Längst bekannte Probleme
So verschärfen sich Wasserprobleme im Gazastreifen, die zwar seit Jahren bekannt, aber nicht ausreichend angegangen worden seien, sagt Tobias von Lossow, Experte für Wasserpolitik im Nahen Osten am Thinktank Clingendael Institute in Den Haag. Bereits seit Jahrzehnten sei klar, dass die Wasserversorgung im Gazastreifen dringend verbessert werden müsse. Unter anderem seien dazu auch größere Wasserentsalzungsanlagen nötig. "Diese sind aber bislang nicht gebaut worden, obwohl es neben der Wasseraufbereitungen und Lieferungen aus Israel so gut wie keine anderen Möglichkeiten gibt, die Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser zu versorgen."
Situation im Westjordanland
Etwas weniger angespannt als im Gazastreifen ist die Situation im Westjordanland, das jedoch ebenfalls unter Wasserknappheit leidet. Dort geht das Wasser häufig durch Betriebsausfälle der Infrastruktur sowie durch veraltete und beschädigte Leitungen verloren, wie es in einem Report des mit der Sicherung der weltweiten Wasserversorgung befassten US-Organisation GlobalWaters.org heißt.
Nur ein knappes Drittel (31 Prozent) der Palästinenser im Westjordanland sei an ein Abwassernetz angeschlossen. Und überhaupt werde nur fünf bis zehn Prozent des palästinensischen Abwassers gereinigt. Das, so GlobalWaters, setze dem verfügbaren Grundwasser weiter zu.
Der Friedensprozess von Oslo regelte auch die Wasserversorgung
Die Zusammenarbeit zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde bei der Wasserversorgung wurde im Zuge des Oslo-Friedensprozesses bilateral geregelt. Zuständig für die Umsetzung ist das Joint Water Comittee (JWC), das sich zu gleichen Teilen aus Experten der Palästinensischen Autonomiebehörde sowie Israel rekrutiert. Allerdings teilen sich die beiden Seiten das Wasser nicht zu gleichen Teilen auf. Israel kontrolliert 80 Prozent der Wasserressourcen - so war es in den Oslo-Verträgen vereinbart worden, wenngleich nur als Interimslösung. In einer schwierigen Situation sind die Palästinenser, die in den so genannten C-Gebieten leben, in Gebieten also, die zivilrechtlich wie auch in Sicherheitsbelangen unter israelischer Kontrolle stehen. Sie sind weder an das israelische noch das palästinensische Netz angeschlossen. Im Jahr 2014 galt das für 90.000 Palästinenser.
Laut einer Darstellungder israelischen Botschaft aus dem Jahr 2016 liefert Israel mehr als doppelt so viel Wasser an die Palästinenser, wie im Abkommen festgelegt: pro Jahr 64 Millionen Kubikmeter anstelle der vereinbarten 31 Millionen Kubikmeter.
"Nur eine von mehreren Konfliktkomponenten"
Allerdings ist die Wasserverfügbarkeit im Westjordanland während der vergangenen Jahre deutlich zurückgegangen. "Das Absinken des Wasserspiegels im Toten Meer um durchschnittlich einen Meter jährlich zeigt, wie der Druck auf die Wasserressourcen zugenommen hat", sagt Tobias von Lossow. "Zudem erschweren auch hier die politischen Gegebenheiten eine bessere Wasserversorgung." Zudem verbrauchen Israelis - inklusive der israelischen Siedler im Westjordanland - rund drei Mal so viel Wasser wie Palästinenser. Darauf weisen israelische Menschenrechtsorganisationen wie B`Tselem hin.
So spiele der Streit um Wasser zwar auch in den generellen palästinensisch-israelischen Konflikt hinein, so von Lossow. "Wasser ist aber nur eine von mehreren zentralen Komponenten, die diesen Konflikt prägen, wie etwa Identitäts- und Glaubensfragen, territoriale, militärische oder geopolitische Aspekte."