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"Keine Krise"

Daniella Cheslow / db8. Dezember 2012

UN-Beobachterstatus für Palästina - Berlin bleibt neutral. Israel forciert Siedlungsbau - Berlin kritisiert. Michael Mertes von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem zeigt Verständnis - auch für Israels Reaktion.

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Berlin/ Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu und Bundeskanzlerin Angela Merkel (Foto: Wolfgang Rattay/Pool/dapd
Bild: dapd

DW: Wie enttäuscht ist Israel von der deutschen Enthaltung bei der Abstimmung zu Palästinas Aufwertung zum UN-Beobachterstaat in der vergangen Woche?

Michael Mertes: Man kann nicht sagen, Israel sei enttäuscht. Die Regierung Netanjahu ist es sicherlich, aber es gab auch Stimmen wie die des früheren Premierministers Ehud Olmert, der sich für ein positives Votum bei der UN-Entscheidung ausgesprochen hatte. Ich kenne hier viele, die politisch eher mitte-links stehen, die keinesfalls dagegen waren, sondern dafür.

Netanjahus Enttäuschung rührt von der Tatsache her, dass die israelische Regierung die vielen Warnsignale seitens der Bundesregierung nicht ernst genug genommen hat. Die Bundesregierung hatte ja Israel um eine Geste bei der Siedlungspolitik gebeten. Diese Warnungen wurden einfach überhört, die Bundesregierung erhielt gar keine Reaktion. Ich denke, die israelische Regierung hat die Wirkung dieses Ausbleibens einer Reaktion auf die Bundesregierung unterschätzt.

Zweitens ist es so, dass die Bundesrepublik sich sehr für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzt. Im nächsten Jahr feiern wir den 20. Jahrestag der Osloer Vereinbarungen, die eine Zwei-Staaten-Lösung als Ziel für Israelis und Palästinenser festlegen. Wir sind aber immer noch weit von einer Zwei-Staaten-Lösung entfernt. Ich verstehe die Position der Bundesregierung als Ausdruck der Besorgnis, dass Israels Siedlungspolitik es zunehmend schwieriger macht, eine Zwei-Staaten-Lösung zu verwirklichen.

Michael Mertes (Foto: Konrad Adenauer Stiftung)
Die deutsche Haltung ist eindeutig, meint Michael MertesBild: Courtesy of Michael Mertes/Konrad Adenauer Stiftung

Wo liegen die Hauptprobleme?

Man muss klar unterscheiden zwischen der deutschen Grundsatzposition bezüglich Israels Sicherheit auf der einen Seite und kurzlebigen politischen Streitigkeiten auf der anderen. Was die Sicherheit Israels angeht, ist die deutsche Haltung ganz klar. Denken Sie nur an die U-Boote, die Deutschland Israel geliefert hat. Und die klare Haltung der Bundeskanzlerin, wenn es um das Recht Israels geht, sich gegen die Raketen aus Gaza zu verteidigen. Denken Sie an die Haltung der Bundesregierung zu Iran.

Ich bin strikt dagegen, die jüngste Meinungsverschiedenheit überzubewerten. Das hat doch nicht die grundsätzliche deutsche Haltung, das deutsche Engagement für Israels vitale Sicherheitsinteressen verändert. Aber ich verstehe die Sorgen der Bundesregierung, die Siedlungspolitik könne eine Zwei-Staaten-Lösung unmöglich machen. Das hat Merkel sehr deutlich gesagt.

Was sich ändert, ist die Haltung der Öffentlichkeit in Deutschland. Das wird in Meinungsumfragen deutlich. Innerhalb der politischen Eliten gibt es immer noch großen Rückhalt für Israel, das wird sich wohl nicht ändern. Aber wenn man sich die Gesamtbevölkerung anschaut, hat sich die Haltung gegenüber Israel verändert. Die Menschen werden kritischer.

Diskussionen gab es in der Vergangenheit stets - hinter verschlossenen Türen. Neuerdings gibt es eine andere Art der Kommunikation zwischen Deutschland und Israel, man spricht Dinge öffentlich an. Diese offene Art, einander seinen Frustrationen kundzutun, habe ich noch nicht erlebt. Es ist eine Frage des Stils, nicht des Inhalts.

Deutschland ist der zuverlässigste Partner Israels in Europa. Wenn Deutschland von Israel frustriert ist and sich bei einer UNO-Wahl der Stimme enthält, was sagt das über die anderen europäischen Länder?

Klar ist: Im Vergleich zur britischen, französischen und schwedischen Reaktion ist die deutsche sehr zurückhaltend ausgefallen. Deutschland ist vergleichsweise pro-israelisch. Die EU braucht eine einheitliche Haltung zum Nahen Osten, bisher sind die Positionen der Mitgliedstaaten doch sehr unterschiedlich, und das wird wohl noch eine Herausforderung. Deutschland war immer dafür, auf europäischer Ebene mit einer Stimme zu sprechen. Deswegen kann es sein, dass Berlin versucht, jetzt mehr Einfluss auf die europäische Politik zu nehmen, damit sie eine einheitliche Haltung zum israelisch-palästinensischen Konflikt, aber auch zu anderen Nahost-Themen einnimmt.

Erleben wir eine Krise?

Es ist keine Krise. Aber es zeigt, dass die Verantwortlichen in Deutschland und den USA sich große Sorgen machen, dass es vielleicht nur noch eine einzige Chance für die Zwei-Staaten-Lösung gibt:. Im nächsten Jahr sind schon 20 Jahre seit den Osloer Vereinbarungen vergangen, und immer mehr Menschen in Israel und den Palästinensergebieten meinen, Oslo sei "gescheitert".

In vielen westlichen Hauptstädten gibt es dieses Gefühl der Dringlichkeit, dass man noch einmal versuchen muss, die Zwei-Staaten-Lösung zu verwirklichen. Wenn das nicht in absehbarer Zukunft geschieht, dann vielleicht nie.

Wird das nicht schon seit Jahren gesagt?

Einer meiner Freunde in Israel sagte schon vor Jahren, es sei fünf Minuten vor Zwölf. Das ist es immer noch. Und ich hoffe, es ist nicht schon fünf Minuten nach Zwölf.

Michael Mertes, Jurist und Autor, leitet seit 2011 das Auslandsbüro Israel der Konrad-Adenauer-Stiftung. Zuvor war Mertes Staatssekretär für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien in NRW. Von 1984 bis 1998 war er im Bundeskanzleramt unter Helmut Kohl tätig.

Das Gespräch führte Daniella Cheslow.