Israel: Die Videos des Hamas-Terrors
3. November 2023Die Familie aus dem Kibbuz Be'eri im Süden Israels hatte in ihrer Küche eine Überwachungskamera installiert, handelsübliches Gerät, wie man das so macht zum Schutz gegen Einbrecher. Zwei weitere Kameras zeigen die Terrasse und wohl den Durchgang zum Nebengebäude. Die Kameras nehmen auf, wie der Vater von einem Hamas-Terroristen erschossen wird, nachdem er noch versucht hat, die sechs und acht Jahre alten Jungen zu verstecken.
Die Terroristen finden die Jungen, bekleidet nur in Unterhosen. Die nächste Einstellung zeigt die Küche und wie dort einer der beiden Jungen weint. Die Kamera nimmt den Ton auf, wie er zum Bruder auf hebräisch sagt: "Papa ist tot, Papa ist tot." Und er sagt: "Warum lebe ich noch?" Der jüngere sitzt über den Küchentisch gelehnt und sagt, er könne auf dem einen Auge nichts mehr sehen. Die Terroristen haben es ihm ausgestochen.
Dann kommt ein Hamas-Terrorist herein und bedient sich am Kühlschrank, nimmt eine Flasche, die wie Cola aussieht – er trinkt. Schließlich ist zu sehen, wie die Mutter draußen im Durchgang von der Terrasse zum Nebengebäude den erschossenen Mann entdeckt und zusammenbricht.
Freigegeben von den Angehörigen: 40 Minuten Videobilder
Dies sind nur ein paar wenige der Sequenzen von einem gut 40 Minuten langen Film, den rund 20 Journalistinnen und Journalisten diese Woche in der Botschaft Israels in Berlin gesehen haben. Laut einer Einblendung im Film gibt es noch hunderte Minuten mehr Bildmaterial: aus Überwachungskameras, Smartphones der Opfer, Social Media, von sogenannten Dashcams aus den Autos der Terroristen und Bodycams der Mörder und auch von deren Smartphones. Einige Videos wurden von israelischen Sicherheitskräften gedreht, die als erste an den Tatorten waren.
Der aus diesen Video-Sequenzen zusammengeschnittene Film wurde auch internationalen Medien in Israel, in New York und auch in der Botschaft in London gezeigt – mit dem Titel "Oct 7th, Hamas Massacre, Collected Raw Footage” ("7. Oktober, Hamas-Massaker, Ausgewähltes Rohmaterial").
Persönlichkeitsschutz der Opfer
Die Vorführung findet unter strengen Auflagen statt: Keine Fotos, keine Video-Aufnahme, auch kein Ton. Nur unter diesen Voraussetzungen hätten die Angehörigen den Aufführungen zugestimmt, heißt es am Rande der Vorführung. Es gilt der Persönlichkeitsschutz von Opfern und Angehörigen.
Der israelische Botschafter Ron Prosor sitzt in der zweiten Reihe, er sagt eingangs, auch er sehe den Zusammenschnitt zum ersten Mal. Doch, es sei wichtig, sich diesem Horror auszusetzen, denn es gebe "manche, die nicht glauben, dass das echt passiert ist", sagt Prosor mit leiser Stimme an diesem Spätnachmittag. In der Reihe hinter den Berichterstattern sitzen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Botschaft. Sie sprechen kaum, in ihren Gesichtern: Fassungslosigkeit.
Brandleichen, misshandelte Babys
Teilweise brechen die Bilder unvermittelt ab, es scheint, als seien einige Angehörige bis zur Schmerzgrenze gegangen, um ihre Erlaubnis erteilen zu können. Andere Bilder bleiben unter Verschluss, sie sind noch Teil von Ermittlungen, sagt Olga Polyakov, Militärattaché an der Botschaft in Berlin. Sie wird im Anschluss bestätigen, dass ein Terrorist einem der Jungen im Kibbuz Be'eri ein Auge ausgestochen hat. Ob die Jungen und die Mutter überlebt haben, bleibt an diesem Nachmittag unklar.
Bilder der Opfer: Die Terroristen haben sie angezündet – es sind verbrannte Leichen, Baby-Leichen, Misshandlungen in den Gesichtern der Babys sind zu sehen. Die Body-Cams der Terroristen nehmen auf, wie diese in den Kibbuzim Bewohner aufspüren und erschießen. Es sind Sequenzen, die an solche aus einem dieser hässlichen Shooter-Games erinnern. Doch es ist die Realität. Es herrscht komplette Stille im Raum. Das wird auch noch lange nach Ende des Films so bleiben. Die Bilder gehen weit über das hinaus, was selbst Journalisten immer wieder sehen, die im Umgang mit Krisen, mit Krieg, mit Tod und Gewalt ausgebildet sind.
Verzweiflung beim Hamas-Überfall auf Trance-Festival "Supernova"
Zu dem Film gehören auch einige bereits weit auf Social Media verbreitete Video-Sequenzen vom Überfall auf das Trance-Festival "Supernova" in der Negev-Wüste. Doch sie vermitteln im Kontext der privaten, unveröffentlichten Smartphone-Videos der Opfer einen noch grausameren Eindruck: Zu sehen ist neben Videos der Flucht über die Felder rund um das Festivalgelände auch blankes Entsetzen in den Gesichtern einer Gruppe: in weiß gekleidete Teilnehmer, die versuchen, sich irgendwie hinter einer Wand zu verstecken. Doch ein Verstecken scheint kaum möglich. Die Terroristen scheinen überall zu sein.
Auch die bekannte Video-Sequenz der Deutschen Shani Louk, reglos daliegend mit gekrümmten Beinen auf einem Pick-Up der Terroristen, ist zu sehen, nachdem sie vom Festivalgelände entführt worden war. Auf diesem Ausschnitt ist deutlich eine stark blutende Wunde am Kopf der Getöteten zu erkennen. Es erscheint kaum vorstellbar, dass sie diese tiefe Wunde in der Schädeldecke lange überleben konnte.
Und dann ist da dieses Bild, das einordnen soll: 138 Leichen in und vor einem weißen Party-Zelt des Geländes des Festivals, auf dem die Opfer zu Trance-Musik für den Frieden tanzten. 138 Tote, die, wie es in einer Texteinblendung heißt, "less than 10 %", also weniger als zehn Prozent der insgesamt an diesem 7. Oktober durch die Hamas-Terroristen ermordeten mindestens 1100 Menschen abbildeten.
Mitschnitt Hamas: "Mutter, ich habe mehr als zehn getötet."
Und die Täter? Die israelische Armee gibt an, Tonaufnahmen der Terroristen mit ihren Kommandeuren im Gaza-Streifen mitgeschnitten zu haben, die befehlen, zu töten und dabei zu filmen. In einer Aufnahme schreit ein Terrorist ins Telefon: "Mutter, ich habe mehr als zehn getötet. Mutter, Dein Sohn ist ein Held." Auch die Antwort ist auf Band festgehalten: "Töte! Töte! Töte!"
Auf Smartphones der Hamas-Terroristen sind Selfie-Videos zu sehen mit grinsenden, lachenden Männern, viele jünger als 30. Sie filmen sich selbst – vor den Leichen der Opfer. Jubel.
Nach etwas weniger als einer Stunde geht im Vorführraum der israelischen Botschaft in Berlin das Licht wieder an. Die Zuschauerinnen und Zuschauer schweigen mehrere Minuten lang. An eine klassische Frage-Antwort-Runde, ein langes Mediengespräch ist nicht zu denken. Es sind vielleicht eine Handvoll Fragen, die gestellt werden.
Die Terroristen wollten "zeigen, dass sie das gemacht haben", sagt Ron Prosor auf die Frage, wie er die Verwendung der Body-Cams durch die Terroristen interpretiert. Israel hat der Hamas den Krieg erklärt, es ist auch ein Krieg um Bilder. Und je länger jetzt "Zeit vergeht", so Ron Prosor, "umso mehr werden diese Bilder vergessen." Bilder, wie zwei Kinder – sechs und acht Jahre – sehen, wie ihr Vater erschossen wird und einer fragt: "Papa ist tot – warum lebe ich noch?"