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Finanzkrise vor Gericht

Ralf Bosen14. März 2012

In Island geht am Donnerstag ein historischer Prozess zu Ende. Der frühere Regierungschef Geir Haarde musste sich wegen der Finanzkrise vor Gericht verantworten. Der Fall sorgt international für Schlagzeilen.

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Iceland's Prime Minister Geir Haarde, right, addresses journalists at the parliament in Reykjavik, Iceland, Monday, Jan. 26, 2009. Haarde said Monday the island nation's coalition government has collapsed amid a deepening financial crisis. (AP Photo/Brynjar Gauti)
Ex-Ministerpräsident Geir HaardeBild: AP

Vor rund vier Jahren war die Welt für Geir Haarde noch in Ordnung. Er war als Regierungschef bei seinen Landsleuten beliebt und Island blickte voller Zuversicht in die Zukunft. Dann geriet der Inselstaat in den Sog der Finanzkrise. Die Idylle nahm ein jähes Ende. Im Herbst 2008 gingen die wichtigsten Banken des Landes pleite, viele der 320.000 Isländer verloren ihre Ersparnisse. Ihr Zorn richtete sich vor allem gegen Haarde, dem massive Versäumnisse bei der Krisenbewältigung vorgeworfen wurden. Fast über Nacht stand der studierte Ökonom vor den Trümmern seiner politischen Karriere. Nach anhaltenden Demonstrationen trat er im Januar 2009 als Ministerpräsident zurück.

"Zum Sündenbock gemacht"

Für den 60-jährigen früheren Chef der konservativen Unabhängigkeitspartei könnte es noch schlimmer kommen. Nach langer Vorbereitungszeit begann am 5. März dieses Jahres vor dem Nationalen Sondergerichtshof Landsdsdómur in Reykjavik der Prozess wegen seiner Rolle in der Finanzkrise. Sollte er schuldig gesprochen werden, drohen ihm eine Geldstrafe oder sogar eine zweijährige Haftstrafe. An diesem Donnerstag (15.03.2012) endet die Verhandlung zwar, aber wann das Urteil verkündet wird, ist noch offen. Viele Beobachter fragen sich allerdings, ob die Anklage überhaupt juristisch gerechtfertigt war.

Christian Rebhan, Islandexperte der "Forschungsgruppe Nordeuropäische Politik" der Humboldt Universität Berlin, bezweifelt dies ebenfalls: "Es gibt einen weiten Ermessungsspielraum in den Verfassungs- und Gesetzesregelungen. Es war wirklich eine politische Entscheidung und keine juristische." Haarde wies die Vorwürfe mit dem Argument zurück, niemand habe damals die Dimension der Krise erahnen können. Er fühle sich in die Rolle des Sündenbocks gezwängt. "Weil der Prozess parteipolitisch instrumentalisiert wurde, ist es Haarde sehr leicht gefallen, sich als Sündenbock zu Inszenieren." sagt Rebhan der Deutschen Welle.

Parteipolitisches Geschacher?

Rebhan weist auf die innenpolitische Lage vor der Gerichtsverhandlung hin. Anfangs standen nämlich drei weitere Minister im Fokus einer Untersuchungskommission. Nach einer Parlamentsabstimmung mussten sie sich aber nicht verantworten. Auch deshalb wirft Haarde der linken Parlamentsmehrheit ein politisches Schauspiel vor. Seiner Ansicht nach müssten die verantwortlichen Minister der Sozialdemokraten, die damals seiner Regierungskoalition angehörten, ebenfalls angeklagt werden. Fest steht, dass es in Haardes Amtszeit eine fatale Mixtur aus Gesetzeslücken, Nachlässigkeit der Aufsichtsbehörden sowie eine Vermischung zwischen Politik und Finanzbranche gegeben hat, die Island zu einem Spielfeld für Finanzzocker machte.

Welche Rolle auch immer der frühere Ministerpräsident dabei gespielt haben mag, der Prozess hat schon jetzt Geschichte geschrieben. Denn Haarde ist nicht nur der weltweit erste Spitzenpolitiker, der wegen der Finanzkrise vor Gericht steht, sondern sein Fall ist auch der erste, über den der 1905 gegründete Sondergerichtshof zu entscheiden hat. Island ist eines der wenigen Länder, in denen Politikern wegen Pflichtverletzung der Prozess gemacht werden kann.

Kein Vorbild für andere Länder

International wird darüber in politischen Feuilletons und Internetforen heftig diskutiert. Diejenigen Kommentatoren und Blogger, die persönliche Konsequenzen für schwerwiegende politische Fehler fordern, begrüßen das isländische Vorgehen als beispielhaft. Professor Christian Tomuschat, der bekannte deutsche Völkerrechtler von der Humboldt Universität Berlin, erteilt solchen Überlegungen gegenüber der Deutschen Welle eine Absage. Dass sich Spitzenpolitiker für verfehlte politische Entscheidungen verantworten müssten, sei natürlich eine Selbstverständlichkeit. "Dass das aber in der Form eines Strafverfahrens geschieht, das ist neu und vielleicht nicht unbedingt ein Vorbild, denn letzten Endes trägt ja die Verantwortung für die Entscheidungen in einem demokratischen Staat nicht eine einzelne Person, sondern es ist ein ganzes Regierungssystem, das weitreichende Entscheidungen zu verantworten hat."

Folglich sind solche Prozesse für Tomuschat nicht mit dem Wesen eines demokratischen Systems vereinbar. Und sie wären nicht realisierbar: "Letzten Endes möchte auch kein Politiker jederzeit mit einem Bein im Gefängnis stehen." Außerdem werde schlechte Politik in einer Demokratie spätestens bei der nächsten Wahl abgestraft. Allerdings räumt Tomuschat ein, dass der Prozess zumindest in einem Aspekt einen positiven Effekt haben kann. Als Denkanstoß für verantwortungsvolles politisches Handeln: "Er könnte die Signalwirkung haben, dass intensiver über die Verantwortlichkeit des Politikers nachgedacht wird. In dem Sinne, dass politische Entscheidungen nicht nur in Hinblick auf die nächste Wahl getroffen werden sollten."

Mehrheit gegen den Prozess

Für Geir Haarde wird es aber wohl keine weitere Wahl geben - nur das Urteil des Sondergerichtshofs. Dabei könnte ihm die Zeit zu Hilfe kommen: Denn seit sich Island mit Hilfe von Milliardenkrediten skandinavischer Länder und des Internationalen Währungsfonds auf dem Weg der Besserung befindet, hat sich die Wut auf Haarde abgekühlt. In den letzten Umfragen Anfang 2012 sprach sich eine Mehrheit der Isländer gegen den Prozess aus. Vielleicht wird dies auch die Richter milder stimmen.

sland Premierminister Geir Haarde (Foto: dpa)
Islands früherer Premierminister Geir HaardeBild: picture-alliance/dpa
Ein Porträtfoto von dem Völkerrechtler Christian TOMUSCHAT.
Völkerrechtler Christian Tomuschat sieht Island nicht als VorbildBild: picture-alliance / Sven Simon
Ein Porträtfoto von Christian Rebhan, Islandexperte der Forschungsgruppe Nordeuropäische Politik der Humboldt Universität Berlin; (Foto Copyright: privat)
Christian Rebhan vermutet Parteitaktik hinter dem ProzessBild: privat
Ein wütende Menschenmenge demonstriert im Januar 2009 vor dem Parlamentsgebäude in Reykjavik (Foto: APi)
Januar 2009: Proteste vor dem Parlamentsgebäude in ReykjavikBild: AP