Island: Verstärkt der Klimawandel vulkanische Aktivität?
Führt das Schmelzen der Gletscher dazu, dass sich mehr Magma unter Island ansammelt und Vulkanausbrüche wahrscheinlicher werden? Wenn das Szenario zutrifft, wären Millionen Menschen auf der ganzen Welt bedroht.
Blick in den Höllenschlund
Schön, aber gefährlich: Eine Drohnenaufnahme zeigt den Krater "Viti" im isländischen Vulkan Askja von oben; Viti leitet sich vom isländischen Wort für Hölle ab. 2021 stellten Forschende fest, dass der Vulkan sich rapide vergrößert hatte: Er war in nur wenigen Monaten um elf Zentimeter gewachsen. In den seither vergangenen drei Jahren wuchs der Askja noch einmal um 80 Zentimeter.
Brodelnde Brühe
Das Wachstum des Askja rührt Forschenden zufolge daher, dass sich 44 Millionen Kubikmeter Magma unter dem Vulkan gesammelt haben, die ihn nach oben drücken - das macht eine Eruption wahrscheinlicher. Michelle Parks, Vulkanologin beim isländischen Wetterdienst, misst die Temperatur im brodelnden Viti. Ein sprunghafter Anstieg würde darauf hindeuten, dass ein Ausbruch bevor stehen könnte.
Weniger Eis - mehr Magma?
Wann - und ob überhaupt - der Askia ausbricht, weiß niemand: Parks und ihr Team wollen herausfinden, warum sich so viel Magma unter dem Vulkan ansammelt. Dabei verfolgen sie eine These, die nicht nur für Island, sondern für Menschen auf der ganzen Welt Folgen hätte: Führt der Rückzug der Gletscher in Folge des menschengemachten Klimawandels zu einer vermehrten Ansammlung von Magma unter Vulkanen?
Kraulen im Krater
Mutig: Einige Touristen gehen im Viti-Krater sogar baden. Die These, die die Forschenden untersuchen, ist im Grunde simpel: Das enorme Gewicht von Gletschern drückt Vulkane nieder. Wenn sich das Eis zurückzieht, lässt der Druck auf Erdkruste und -mantel nach. Diese Druckveränderung regt die dynamischen Kräfte unter den Vulkanen an, mehr Magma zu produzieren, was wiederum zu Eruptionen führen kann.
Wettlauf gegen die Zeit
"Island ist einer der besten Orte der Welt, um diese These zu untersuchen, weil wir sowohl Vulkanismus als auch Gletscher haben", erklärt Vulkanologin Parks gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Eile ist allerdings geboten: Gletscher lasten zwar noch auf mehr als der Hälfte der 34 aktiven Vulkansysteme des Landes - aufgrund der steigenden globalen Temperaturen schmelzen sie jedoch rasch ab.
Verschwindende Freunde
Bergführerin Iris Ragnarsdottir Pedersen blättert in einem Fotoalbum mit Bildern des Skeidararjokull-Gletschers. Seit Jahren beobachtet sie gemeinsam mit ihrem Vater, einem ehrenamtlichen Gletscherbeobachter, den Rückgang des Eises. In diesem Jahr wurde ein Rückzug des Gletschers von 300 Metern festgestellt. "Es ist, als würde man seine Freunde verschwinden sehen", sagt Ragnarsdottir Pedersen.
Trauriges Treiben
Nicht nur der Skeidararjokull schmilzt: Diese Eisbrocken haben sich vom Fjallsjokull-Gletscher gelöst. In den vergangenen 130 Jahren haben die isländischen Gletscher etwa 16 Prozent ihres Volumens verloren, die Hälfte davon allein in den letzten drei Jahrzehnten. Wissenschaftler sagen voraus, dass etwa die Hälfte des verbleibenden Volumens bis zum Ende dieses Jahrhunderts verschwunden sein wird.
Von der Antarktis bis Alaska
Bisher gibt es nur wenige Studien über die Wechselwirkung zwischen schmelzendem Eis und vulkanischer Aktivität aus anderen Teilen der Welt. Doch Forschende aus den USA fanden heraus, dass rund 245 Vulkane auf der Erde betroffen sein könnten, von den Anden über Alaska bis Kamtschatka in Russland. Etwa 160 Millionen Menschen leben im Umkreis eines dieser Vulkane; 20.000 davon in unmittelbarer Nähe.
Aktiver Askja
Vulkanische Gase wabern über der Flanke des Askja. Vorläufige Modellierungsergebnisse von Parks' Projekt kommen zu dem Schluss, dass parallel zum Rückgang des Gletschereises in den letzten dreißig Jahren unter Island zwei- bis dreimal so viel Magma entstand, wie es ohne Eisverlust der Fall gewesen wäre. "Immer mehr Magma sammelt sich unter Island an, und wir haben schon genug", erklärt Parks.
Bedrohte Idylle
Gleichzeitig betont Parks, dass es zu früh sei, um einen Kausalzusammenhang zwischen dem Klimawandel in Form schmelzender Gletscher und erhöhter vulkanischer Aktivität herzustellen; zunächst müssten Forschende weltweit weitere Daten sammeln. Sicher ist: Der kleine isländische Ort Vik würde von schmelzendem Gletscherwasser überspült werden, sollte der Vulkan Katla ausbrechen.