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Islamisten immer radikaler

Matthias Sailer8. Juli 2013

Die gegen die Absetzung ihres Präsidenten demonstrierenden Islamisten fallen mit zunehmend radikaleren Aussagen auf. Fehler gestehen sie nach wie vor nicht ein, sondern rechtfertigen sie mit Verschwörungstheorien.

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Pro-Mursi-Demonstration in Kairo, ein religioeser Scheich feuert einen Protestmarsch an (Foto: DW/Matthias Sailer)
Bild: DW/Matthias Sailer

Hunderttausende Islamisten sind am Sonntagabend (07.07.2013) wieder in Nasr City, einem Außenbezirk Kairos, zusammengekommen. Neben den Muslimbrüdern versammeln sich hier auch zahlreiche salafistische Gruppen. Zwischen den ägyptischen Fahnen sieht man auch die von Saudi Arabien und die schwarze Flagge mit dem islamischen Glaubensbekenntnis, die oft von Al-Kaida verwendet wird. Die Anführer eintreffender Protestgruppen skandieren die Worte: "Islamisch, islamisch!" Und sie rufen: "Für den Islam opfern wir unsere Seele und unser Blut!". Die Menge wiederholt die Sätze im Chor.

Doch plötzlich wird es laut: Acht Kampfjets der ägyptischen Luftwaffe donnern über das Gelände, teilen sich in zwei Viererformationen und malen mit weißem Rauch ein großes Herz in den blauen Himmel. Für Sekunden hören die martialischen Rufe auf. Alle richten ihre Köpfe nach oben und staunen über das Herz am Himmel. Auf vielen Gesichtern sieht man ein Lächeln, Jubel bricht aus. Doch  eine laute Durchsage von der Rednerbühne beendet den kurzen Freudenmoment: "Das Herz ist für die Anti-Mursi-Demonstranten am Präsidentenpalast bestimmt!" Etwas leiser und fast enttäuscht beginnen die Demonstranten an den Verteidigungsminister gerichtet zu rufen: "Verschwinde, Al-Sisi!" Masri, ein etwa 25-jähriger Demonstrant, will sich von dem Schauspiel nicht täuschen lassen: "Wir werden hier bleiben, bis unser Präsident Mursi wieder im Amt ist. Denn Verteidigungsminister Al-Sisi ist nicht unser Präsident. Was geschehen ist, ist ein Militärputsch."

Von Kampfflugzeugen an den Himmel gemaltes Herz während der Islamisten-Demonstration in Kairo (Foto: DW/Matthias Sailer)
Kampfflugzeuge der Luftwaffe malten ein Herz an den HimmelBild: DW/Matthias Sailer

Hasspredigt gegen die politischen Gegner und Journalisten

Ob das Himmelsschauspiel ein Versuch der Armee war, die Demonstranten zu spalten oder tatsächlich den Anti-Mursi-Demonstranten gegolten hat, bleibt unklar. Gegen 19 Uhr beginnt schließlich das Abendgebet, und die versammelten Massen reihen sich Mann an Mann. Was dann folgt, kann man nur als Hasspredigt bezeichnen. Der Imam bittet Allah, Verteidigungsminister Abdel Fatah al-Sisi zu besiegen, seinen Unterstützern "das Blut in den Adern gefrieren zulassen" und "ihre Arme und Beine zu lähmen". Er bittet Allah weiter, dass er sich an ihnen und allen ihren Helfern rächen möge. Zudem möge Allah Mursi helfen und ihn beschützen. Gegen Ende fügt er noch hinzu: "Möge Allah sich an allen Journalisten rächen, die das Land zerstören wollen." Auf die Frage, wen der Imam mit "Unterstützern" meinte, antwortet Masri ohne zu zögern: "Es sind alle, die uns angegriffen und auf uns geschossen haben, zum Beispiel Mohammed ElBaradei, der Oppositionspolitiker Hamdien Sabahi, der Innenminister und die Anführer der Polizei - die einfachen Polizisten aber sind unsere Söhne."

Einige der Betenden brechen bei den Worten des Imams fast in Tränen aus. Das fundamentalistische Gebaren hat sich in den vergangenen Tagen extrem gesteigert. Noch drei Tage zuvor waren die Aussagen der Redner und des Imams in Nasr City weitaus gemäßigter. Auch die Wachmannschaften der Islamisten auf dem Protestgelände wirken immer fundamentalistischer. In Zweierreihen stehen sie mit Knüppeln bewaffnet in Reih und Glied. Es folgt ein Frage- und Antwortrufen mit ihrem Anführer: "Was ist Euer Buch?" - "Der Koran". "Wer ist Euer Prophet?" - "Mohammed".  "Was wollt ihr hier?" - "Wir wollen sterben für Allah!". Anschließend beginnen sie, im Stand zu marschieren und rennen im Gleichschritt zu Ihren Posten.

Betende auf der Islamisten-Demonstration in Kairo (Foto: DW/Matthias Sailer)
Viele Islamisten trugen durchgestrichene Porträts des VerteidigungsministersBild: DW/Matthias Sailer

"Die haben Ihnen künstliche Bärte angeklebt"

Doch nahezu jeder der Demonstranten betont den angeblich friedlichen Charakter der hier protestierenden Islamisten. Am Freitag marschierte ein über 1000 Mann starker Islamisten-Zug fast direkt zum von Gegendemonstranten besetzten Tahrirplatz. Dass es dadurch zu blutigen Straßenkämpfen kommen würde, war zu erwarten. Auf die Frage, warum die Islamisten dies dennoch taten, antwortet der Pro-Mursi-Demonstrant Ahmed Gamal: "Das stimmt nicht, keiner der Mursi-Unterstützer ist an den Tahrirplatz marschiert. Diese Leute waren vom Innenministerium und dem Mubarak-Regime, um Unruhen zu erzeugen. Die sind dafür bezahlt worden, damit die Menschen Präsident Mursi noch mehr hassen. Die haben Ihnen künstliche Bärte angeklebt." Viele Islamisten sind in Ägypten an ihren langen Bärten zu erkennen.

Auch andere Demonstranten gaben diese skurril wirkende Antwort. Und sie fügten hinzu, diese Aktionen würden vom Verteidigungsminister zusammen mit den USA und Israel koordiniert. Derartige Verschwörungstheorien sind unter den Demonstranten offenbar weit verbreitet. Wie es angesichts solcher Ansichten und derartiger Hetze zu einer Wiedereingliederung der Islamisten in die Politik kommen soll, bleibt offen. Bis auf wenige Ausnahmen zeigt sich das Pro-Mursi-Lager weiterhin völlig kompromisslos. Mohammed al-Gazar demonstriert nur wenige Kilometer entfernt vor dem Präsidentenpalast gegen die Islamisten und macht sich keine Illusionen: "Es wird lange dauern. Vermutlich wird es Streit geben, und sie werden Widerstand leisten. Aber selbst, wenn es vorübergehend zu Terroranschlägen kommen sollte, beweist das nur, dass wir Anti-Mursi-Demonstranten zu Recht misstrauisch waren."

Demonstrierende Frau mit Kindern hält auf einer Islamisten-Demonstration in Kairo ein Plakat mit dem Bildnis Mursis hoch (Foto: DW/Matthias Sailer)
Islamisten wollen Mursi wieder im Präsidentenamt sehenBild: DW/Matthias Sailer

Etwas Hoffnung, doch noch einen friedlichen Konsens zu finden, kommt von der bedeutenden salafistischen "Nur-Partei": Sie nimmt immerhin an den Verhandlungen mit dem neuen Präsidenten über die zu bildende Übergangsregierung teil.