Islam als Wahlkampfthema in Indonesien
17. April 2019Indonesien, der Staat mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt, wählt einen neuen Präsidenten. Parallel zur Entscheidung über das künftige Staatsoberhaupt werden auch das Parlament sowie Provinz- und Kommunalvertretungen neu gewählt. Das seit der Öffnung 1998 demokratische Land galt viele Jahre als Vorbild für einen Staat, in dem die Trennung von Staat und Religion gut funktioniert. Heute ist das anders. "Die Rolle der Religion kann gar nicht überschätzt werden. Sie ist das Mittel, um Politik zu machen. Und sie wird von allen Seiten instrumentalisiert", sagt Susanne Schröter, Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, im Gespräch mit der DW.
So greift Prabowo, Herausforderer des amtierenden Präsidenten Jokowi, seinen Kontrahenten als nicht islamisch genug an. Beispielsweise wird Jokowi vorgeworfen, dass er das Hocharabisch des Koran nicht korrekt ausspreche. Jokowis Wahlkampfteam wiederum bemüht sich, die religiöse Reputation seines Kandidaten aufzubessern, indem es behauptet, er habe eine muslimische Konfessionsschule besucht, was nicht den Tatsachen entspricht.
Der Fall Ahok
Die besondere Bedeutung des Islam für die indonesische Politik machte der Fall des ehemaligen Gouverneurs der indonesischen Hauptstadt Jakarta, Basuki Tjahaja Purnama genannt "Ahok", deutlich. Ahok, ein chinesischstämmiger christlicher Indonesier, war bis 2014 Stellvertreter von Jokowi als Gouverneur von Jakarta. Nachdem dieser zum Präsidenten gewählt wurde, rückte Ahok nach. 2016 stellte er sich den Gouverneurswahlen. Ihm wurde von politischen Gegnern zu Unrecht vorgeworfen, sich abfällig über den Koran geäußert zu haben. Das Gerücht verbreitete sich in den Sozialen Medien rasend schnell. Radikale Organisationen wie die islamistische Hizbut-Tahrir brachten im November und Dezember 2016 hunderttausende Demonstranten gegen Ahok auf die Straße.
Im Mai 2017 wurde Ahok schließlich wegen Blasphemie verurteilt. Er saß insgesamt 21 Monate in Haft. Nach Ansicht des Bonner Indonesisten Berthold Damshäuser, muss die Verurteilung als Justizskandal gewertet werden.
Der Fall Ahok steht beispielhaft für eine "wachsende Intoleranz" im Land, die Damshäuser seit längerem beobachtet. Insbesondere junge Menschen, so Damshäuser, befürworteten inzwischen in der Mehrheit die Einführung der Scharia und zum Teil sogar ein bis zu Gewalt reichendes Vorgehen gegen "Feinde des Islam". Zwischen 30 und 40 Prozent der Wähler waren 2017 laut verschiedener Studien zwischen 17 und 34 Jahre alt.
Reformära schuf Raum für radikale Strömungen
Die Islamkennerin Schröter betont im Gespräch mit der DW, dass sich wachsende Intoleranz und die immer strengere Auslegung des muslimischen Glaubens vor allem aus zwei Quellen speist: Zum ersten aus einer historischen, innerindonesischen und zum anderen aus einer jüngeren aus dem Ausland.
Im Unabhängigkeitskrieg nach dem Zweiten Weltkrieg spielten in Indonesien islamistische Gruppierungen eine große Rolle. Allerdings konnten sie sich nach Erlangung der Unabhängigkeit politisch nicht durchsetzen. Indonesien wurde kein Gottesstaat. Stattdessen rief der damalige Präsidenten Sukarno die Staatsideologie Pancasila aus, die auch in der Präambel der Verfassung steht. Die Pancasila sollte die nationale Einheit des Vielvölkerstaates befördern. Sie umfasst fünf Prinzipien, zu denen der gleichberechtigte Glaube an eine der fünf großen Weltreligionen, Demokratie und soziale Gerechtigkeit zählen.
Auf Sukarno folgte Suharto, dessen autoritäre Regierung radikalen und ultrakonservativen Muslimen wenig Raum ließ. 1998 begann die demokratische Reformära "Reformasi". "Die Demokratisierung hat islamistische Akteure plötzlich in die Öffentlichkeit gespült und ihnen Raum gegeben, sich zu organisieren", sagt Schröter.
Einfluss des Wahhabismus auf das Bildungssystem
In jüngerer Zeit sei dann der massive Einfluss aus den Golfstaaten, insbesondere Saudi-Arabiens, aber auch Ägyptens hinzugekommen. Der konservative Islam wahhabitischer Prägung hat vor allem im Bildungssystem Fuß gefasst. Schröter verweist auf eine Vielzahl von Stipendiaten, die etwa in Saudi-Arabien studiert haben, und dann mit ultrakonservativen Überzeugungen nach Indonesien zurückkehren, wo sie als Multiplikatoren erheblichen Einfluss auf die Gesellschaft hätten.
Damshäuser nennt in diesem Zusammenhang die Pesantren (islamische Schulen), von denen es zahlreiche im Land gibt. Auch hier wird, unterstützt von ausländischem Geld, oft ein konservativer Islam gelehrt. Es ist insofern kein Zufall, dass insbesondere die Jugend des Landes immer radikaler wird.
Versagen der demokratischen Eliten?
Schröter sieht hier ein Versagen der politischen Eliten, denen es nicht gelungen ist, die demokratischen Verfassung des Landes und die liberale Grundausrichtung der Pancasila mit Leben zu füllen. Über die erste Amtszeit Jokowis urteilt sie: "Er hat die hohen Erwartungen, die in ihn gesteckt wurden, nicht erfüllt." Weder bei den Menschenrechten, noch bei der Bekämpfung einer fortschreitenden Islamisierung habe er etwas erreicht.
Damshäuser kritisiert: "Die politische Elite in Indonesien ist zu oft bereit, ihre Ideale zugunsten eines plumpen Populismus zu verraten." Er schränkt zugleich ein: "Aber vielleicht ist es ein geschickter Schachzug von Jokowi, auf den politischen Islam zuzugehen." Indonesische Politiker müssten nämlich folgende Frage für sich beantworten: "Was ist gefährlicher: eine zunehmende Islamisierung oder eine offene Spaltung des Landes?" Damshäuser kann nachvollziehen, dass Jokowi als Präsident eines Vielvölkerstaats mit einer langen Geschichte von innerstaatlicher Gewalt hier Zugeständnisse macht, um die Stabilität des Landes nicht zu riskieren. "Möglicherweise in der Hoffnung, die islamischen Kräfte zu integrieren und zu bändigen." Ob das langfristig gelinge, sei freilich nicht sicher.
In der Gesamtschau ist Damshäuser dann auch etwas optimistischer als Schröter. "Ein Rückfall in die autoritären Verhältnisse vor der 'Reformasi' oder gar die Etablierung eines islamischen Staates ist höchst unwahrscheinlich."
Korrektur: In einer früheren Version des Artikels hieß es "Rund 80 Prozent der Wähler waren 2017 laut einer Studie von Saiful Mujani Research Consulting zwischen 17 und 34 Jahre alt." Die Angabe ist nicht richtig und wurde auf Basis der genannten Studie und einer anderen Studie des australischen Lowy-Instituts korrigiert. Bitte entschuldigen Sie diesen Fehler.