ISIS: Heute der Irak und morgen Jordanien?
24. Juni 2014Der jordanisch-irakische Grenzübergang ist ein einsamer Kontrollposten, irgendwo in der schier endlosen gelb-braunen Wüste zwischen der jordanischen Hauptstadt Amman und Bagdad. Eigentlich sollten hier Zollbeamte der irakischen Zentralregierung die Ein- und Ausreise regeln. Doch die irakische Zentralregierung hat an der jordanisch-irakischen Grenze nichts mehr zu melden. Sunnitische Milizionäre, Verbündete der Terrorgruppe ISIS, haben die Kontrolle über den Grenzposten übernommen.
Es ist nur ein weiterer Baustein im Vormarsch von ISIS im Irak. In Amman aber löste die Meldung von der Besetzung des Grenzpostens große Besorgnis aus. Der jordanische Innenminister erklärte, sein Land sei "umzingelt von Extremisten". Die Regierung versetzte ihre Truppen an der Grenze zum Irak in Alarmbereitschaft. Das Königreich habe dutzende Verbände entlang der Grenze aufgeboten, hieß es aus Militärkreisen.
Auch die USA sind besorgt: Präsident Barack Obama warnte, der Vormarsch der Dschihadisten könne vom Irak "nach Jordanien übergreifen". US-Außenminister John Kerry erklärte, ISIS sei "eine Bedrohung für die gesamte Region". Kein Land sei vor dieser Art von Terror sicher. Jordanien ist ein wichtiger Verbündeter der USA in der Region.
Starker Sicherheitsapparat
André Bank ist Nahostexperte des Hamburger Giga-Instituts. Das Ziel von ISIS sei, einen islamischen Staat im Irak und im sogenannten Großsyrien zu errichten, erklärt er. "Damit sind nicht nur das heutige Syrien, Teile des Irak, der Libanon und weite Teile Palästinas, sondern auch große Teile Jordaniens gemeint."
Dieser Anspruch zeigt sich auch in einem Propaganda-Video, das die Gruppe vergangene Woche im Internet veröffentlichte. Darin sind fünf Kämpfer zu sehen, angeblich aus Großbritannien und Australien. "Wir kennen keine Grenzen", erklärt einer der Männer. "Wir haben in Syrien gekämpft, in einigen Tagen werden wir in den Irak ziehen, und wir werden auch nach Jordanien und in den Libanon gehen. Wo immer unser Führer uns hinschickt."
Doch womöglich ist das zumindest fürs Erste nur Propaganda. André Bank hält es im Moment für eher unwahrscheinlich, dass die ISIS-Kämpfer nach Jordanien eindringen. Denn während ihnen im Irak eine demoralisierte Armee gegenübersteht, die weite Teile des Landes so gut wie kampflos aufgab, gilt das jordanische Militär als deutlich kampfkräftiger. "Der jordanische Sicherheitsapparat ist einer der stärksten in der Region. Die Grenzanlagen werden sehr stark gesichert."
Steigende Terrorgefahr
Doch ISIS könnte versuchen, Jordanien durch Terroranschläge zu destabilisieren. Es wäre nicht das erste Mal, dass Jordanien zum Ziel von Terroristen wird. 2005 starben bei drei Anschlägen auf Luxushotels mehr als 50 Menschen. Dahinter steckte die Terrorgruppe "Al-Kaida im Irak", der Vorgänger von ISIS. Ihr Anführer: Der Jordanier Abu Musab al-Sarkawi.
Ramzy Mardini ist Sicherheitsexperte beim Atlantic Council und lebt in Amman. Er glaubt, dass radikale Gruppen möglicherweise schon jetzt Terrorzellen innerhalb Jordaniens aufgebaut haben. Das Land beheimate eine immer größer werdende Anzahl von Dschihadisten, erklärt Mardini. Das zeigte sich auch am vergangenen Freitag (20.06.2014). Da gingen rund 200 ISIS-Unterstützer in der südjordanischen Stadt Maan auf die Straße. Auf Transparenten erklärten sie ihre Stadt zum "Falludscha Jordaniens". Die irakische Stadt Falludscha ist eine Hochburg der radikalen Islamisten.
Die "ganz große Mehrheit der Bevölkerung" aber sei gegen Extremisten wie ISIS, glaubt Marwan Muasher, ehemaliger jordanischer Außenminister und heute Vizepräsident des Forschungsinstituts Carnegie Endowment. "Die Gefahr, die ISIS für Jordanien darstellt, ist nicht mit der Gefahr, die die Organisation für Syrien oder den Irak bedeutet, vergleichbar." ISIS sei eine Bedrohung der Sicherheit, aber keine "existenzielle Gefahr".
Stabil, aber reformbedürftig
Auch André Bank glaubt, dass Jordaniens Staatsoberhaupt König Abdullah II. "relativ fest im Sattel sitzt". Auch weil der König von den westlichen Staaten, von Israel, aber auch von den Golfmonarchien unterstützt werde. Trotzdem steht das Land vor großen Problemen. Jordanien hat hunderttausende Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Die Wirtschaft krankt, viele Menschen sind arbeitslos.
An diesem Dienstag besucht König Abdullah Berlin. Dort trifft er auch auf Bundeskanzlerin Angela Merkel. Deutschland müsse im Umgang mit Jordanien eine zweigleisige Strategie fahren, fordert Bank. Die Unterstützung der Jordanier bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise müsse verstärkt werden. Langfristige Hilfe aber sollte mit Bedingungen verknüpft werden. Denn ohne eine weitere politische Öffnung des noch immer autoritär regierten Jordanien und eine sozial ausgewogenere Wirtschaftspolitik drohe auch hier eine Stärkung der Extremisten.