Ischgl: Ein Skiort ringt um sein Image
12. März 2021Anfang März hat Ischgl seine Skisaison endgültig abgesagt. Seit die Südafrika-Mutante in Tirol grassiert und Österreichs Regierung das Bundesland quasi abgeriegelt hat, sind die Aussichten auf einen halbwegs normalen Betrieb schlechter denn je. Einheimische Skifahrer dürfen in einigen Gebieten der Tiroler Alpen zwar auf die Piste, wenn sie einen negativen Corona-Test vorlegen. Doch nicht mal so eine "kleine Lösung" kam für den Skiort in Frage. Ischgl bleibt zu. Komplett.
Ein zentraler Grund für die Entscheidung ist, dass das Skigebiet bis in die Schweiz reicht und ein grenzüberschreitender Betrieb in Pandemie-Zeiten kaum machbar ist. Eine wichtige Rolle dürfte aber auch das Corona-Desaster vom vergangenen Frühjahr spielen. Von Ischgl aus verteilte sich das Virus damals quer durch Europa, weil der Betrieb trotz Warnungen nicht sofort eingestellt wurde. Mit dem Imageschaden kämpft der Skiort bis heute.
Der Skiort fühlt sich unfair behandelt
"Diese Pandemie hat uns mit voller Wucht getroffen, vergleichbar mit einer unvorhersehbaren Naturkatastrophe", beschreibt Tourismuschef Andreas Steibl die Ereignisse vom März 2020 und verweist dabei auf die Verantwortung von Bund und Land: "Wir haben natürlich auch das gemacht, was uns vorgegeben worden ist." Vieles sei am Anfang unklar gewesen. "Weder die Behörden noch die Virologen wussten damals, was das hinterlistige Virus anstellt." Steibl spricht hier von einer Zeit, als in Italien schon ganze Regionen wegen Corona abgeriegelt wurden.
Die Ischgler haben es satt, als einzig Schuldige für die Corona-Ausbreitung in Europa zu gelten, das kommt im Gespräch mit dem Tourismuschef deutlich zum Ausdruck. Doch wie will man das Image wieder aufpolieren? Was wird aus den Après-Ski-Parties, für die der Skiort weltweit bekannt ist - die ihn wegen der massenhaften Corona-Infektionen im vergangenen Jahr aber auch in Verruf brachten? Und ist die Zäsur nicht vielleicht eine gute Gelegenheit, den Ischgl-Tourismus neu zu erfinden?
"Die Marke Ischgl muss sich nicht verändern"
Ischgl - das war vor Corona eine steile Erfolgsgeschichte. Aus dem kleinen Bergbauerndorf im äußersten Westen von Tirol wurde innerhalb weniger Jahrzehnte ein Epizentrum des alpinen Massentourismus. Das Skigebiet umfasst inzwischen 45 Liftanlangen, auf etwa 1600 Einwohner kommen rund 12.000 Betten. Zahlreiche Hotels und Restaurants von gehobener Qualität sind in Ischgl zu finden. Doch nicht nur Luxus und tolle Pisten lockten unzählige Gäste, sondern auch die Möglichkeit zu feiern, als gäb's keinen Morgen.
An Ischgls erfolgreicher "Angebotsinszenierung" etwas grundlegend zu ändern, davon hält der Tourismuschef wenig. "Die Marke Ischgl muss sich nicht verändern", man werde aber "die Qualität anpassen". Die Frage, was das für die Zukunft des Après-Ski heißt, scheint dabei ein etwas wunder Punkt zu sein. Nein, in der Form wie jetzt werde es nicht weitergehen - abschaffen werde man das Après-Ski aber auch nicht. "Man muss die Kirche auch mal im Dorf lassen. Das Après-Ski ist nicht grundsätzlich schuld daran, dass es Corona gibt. Warum ist das so ins Negative gedrängt worden?"
Ungehemmter Partytourismus in der Kritik
Für Lois Hechenblaikner liegt die Antwort klar auf der Hand - weil man schon lange das Maß verloren hat. Der Tiroler Fotograf hat mit seiner Kamera dokumentiert, wie Après-Ski in Ischgl aussah - 26 Jahre lang. "Der Teufel ist eingekehrt durch den ganzen Sauf- und Rauschtourismus", sagt er. Viele neue "Bergmillionäre" seien so entstanden. "In dem System, das man aufgebaut hat, geht es darum, jeden Tag einen entgrenzten Zustand herbeizuführen, damit die Leute die Kontrolle verlieren - auch über ihr Portemonnaie."
Er sei kein Tourismusfeind, betont der Fotograf und die Ischgler hätten ja auch vieles richtig gemacht. "Man darf die ganze Kraft nicht vergessen, die sie gebraucht haben, um dieses Skigebiet überhaupt entstehen zu lassen." Wo sie jedoch "falsch abgezweigt sind", sei der ausufernde Partytourismus. "Das ist dem Ort zum Verhängnis geworden und das ist extrem tragisch." Die Krise könne für Ischgl daher auch eine Art Reinigungsprozess sein, glaubt Hechenblaiker - "wenn sie die Kraft des Nein-Sagens haben."
Skigebiet wieder in den Vordergrund stellen
Dass der Corona-Einschnitt bei aller Schwere auch eine Chance sein könnte, denkt auch Günther Zangerl. Er ist Vorstand bei der Silvretta Seilbahn AG, die im Skigebiet rund um Ischgl die Lifte betreibt. "In den letzten Jahren hat es Entwicklungen gegeben, die nicht gut für den Ort waren", sagt Zangerl. Auch das Skigebiet sei "aufgrund der Après-Ski-Thematik" zu sehr in den Hintergrund geraten. "Wir sind froh, wenn andere Qualitäten jetzt wieder mehr vor den Vorhang geholt werden."
Wann die Seilbahn AG mit ihrem Skibetrieb wieder rund 80 Millionen Euro jährlich einnehmen wird, wie es vor der Pandemie noch der Fall war, ist freilich vollkommen offen. Schon jetzt hat man sich aber eingestellt auf ein mögliches Skifahren in Zeiten des Virus - mit Kameras und Apps, um die Gästeströme zu entzerren, und Hygienekonzepten in den alpinen Gastrobetrieben. Seilbahn-Vorstand Zangerl ist sicher: "Wir wären hier bestens gerüstet, um alle Bedingungen erfüllen zu können."
Assoziation mit Corona wird noch lange bleiben
Einfach wird die Zukunft für den Skiort trotzdem nicht werden, sagt Tourismusforscher Mike Peters von der Universität Innsbruck voraus. Wenn man die Kapazitäten nicht bis auf weiteres vollständig auslasten könne, werde es schwierig, die hohen Kosten zu decken. Auch das Label "Corona-Hotspot" wird wohl noch länger an Ischgl kleben bleiben. "In der Regel dauert es sieben bis zehn Jahre, bis sich so etwas wieder gegeben hat." Klar ist für Peters auf jeden Fall eines: "Die wichtigste Marketingbotschaft lautet Sicherheit." Die Pandemie müsse Ischgl auf jeden Fall als Gelegenheit zur Reflexion sehen - und das gelte eigentlich für den Skitourismus ganz generell: "Jetzt hat es mal einen richtigen Knall gegeben, wo man sich das ganze Modell noch einmal überlegen kann."