Irritationen zwischen Pressburg und Budapest
15. März 2002Bratislava, 11.3.2002, RADIO SLOWAKEI, deutsch
"Eine Aufhebung der Benes-Dekrete kommt nicht in Frage", stellt der slowakische Ministerpräsident Mikulas Dzurinda klar. Er werde auch mit dem Vorsitzenden der Europäischen Kommission Romano Prodi und anderen Vertretern der Union zusammentreffen und die Haltung der Slowakei unmissverständlich klarmachen.
Laut Premier Dzurinda wachse unter den EU-Staaten das Verständnis für die Position der Slowakei. Gesprächsbereit sei Dzurinda hingegen, was die Forderungen des Koalitionspartners, der slowakischen Ungarnpartei (SMK), anbetrifft: Deren Parteichef Bela Bugar hat eine Entschädigung für jene Bürger verlangt, denen 1945 aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit zur deutschen oder ungarischen Nationalität Eigentum entzogen worden sei, obwohl sie nicht mit den nationalsozialistischen Besatzern kollaboriert hatten.
Die Benes-Dekrete hatten nach dem Zweiten Weltkrieg zur Folge, dass rund drei Millionen Sudetendeutsche und etwa 80.000 ethnische Ungarn wegen angeblicher Kollaboration mit Hitler-Deutschland aus der damaligen Tschechoslowakei deportiert wurden. Der ungarische Regierungschef Viktor Orban wies darauf hin, dass die Dekrete mit den europäischen Rechtsnormen der Gegenwart unvereinbar seien. Daher müssten sie vor dem bevorstehenden EU-Beitritt Tschechiens und der Slowakei gestrichen werden.
Die slowakische Seite hält es für kontraproduktiv, dass Ungarn über die "toten" historischen Themen im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt diskutieren will. Der slowakische Regierungschef Dzurinda hält es für gefährlich, dass Viktor Orban mit seinen Aussagen alles Positive zerstören kann, was innerhalb der letzten drei und halb Jahren auf der Ebene der gegenseitigen Beziehungen zwischen Ungarn und der Slowakei aufgebaut wurde.
Am 1. März wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Visegrad-Gruppe das Gipfeltreffen der Regierungschefs wegen Aussagen des ungarischen Premiers über die Benes-Dekrete abgesagt. Der ungarische Regierungschef betont jedoch, dass diese Frage die Zusammenarbeit der Länder der Visegrader Vier-Gruppe nicht verhindern dürfe. (ykk)