Wie sicher sind Atomkraftwerke bei Extremwetter?
11. September 2017Deutsche Welle: Herr Pistner, wir erleben gerade eine Reihe besonders heftiger Wirbelstürme. In Florida wurden deshalb vorsorglich zwei Atomkraftwerke abgeschaltet. Reicht das als Vorsorgemaßnahme aus?
Christoph Pistner: Die Abschaltung ist nur eine Maßnahme, um die akute Gefährdung zu reduzieren und um der Anlage bei problematischen Zuständen eine längere Karenzzeiten zu geben. Ob diese Anlagen insgesamt gut gegen extreme Wetterereignisse ausgelegt sind, das hängt ganz stark davon ab, wie diese in der Vergangenheit errichtet wurden.
Einige neuere Kernkraftwerke haben deshalb extra gebunkerte autarke Notstandssysteme. Diese sollen zum Beispiel auch gegen Flugzeugabsturz ausgelegt sein und haben dann natürlich auch bei extremen Wetterereignissen eine relativ hohe Robustheit. Viele ältere Anlagen haben solche Systeme nicht und da ist es fraglich, wie stark sie dann auch von extremen Wetterereignissen betroffen sein können.
Welche Gefahren gehen von extremen Wetterlagen überhaupt aus?
Auch wenn ein Kernkraftwerk vorsorglich abgeschaltet und runter gefahren wird, ist es noch immer abhängig von der Stromzufuhr von außen, um seine Systeme bzw. seine Kühlsysteme zu betreiben. Zwar gibt es auch interne Notstromaggregate, diese stehen jedoch nur für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung.
Der Verlust des externen Stromnetzes ist deshalb also immer ein Problem. Und natürlich sind die Anlagen auch auf eine kontinuierliche Kühlung angewiesen und auf eine Wasserquelle für diese Kühlung. Auch diese Wasserquelle kann bei extremen Wetterereignissen beeinträchtigt werden.
Dazu kommen die Gefahr durch extreme Winde und herumfliegende Teile wie Bäume. Einrichtungen auf dem Gelände können dadurch beschädigt werden. Hier hängt es sehr stark davon ab wie die erforderlichen Einrichtungen auf dem Kraftwerksgelände geschützt sind: Handelt es sich um robuste gebunkerte Systeme oder sind die Einrichtungen nur relativ schwach geschützt?
Was sagen Sie denn, wie sollten die Anlagen bestenfalls geschützt sein?
Nach den Ereignissen in Fukushima hat man zumindest in Europa klar gesagt, dass neben den traditionellen Ereignissen wie schweren Erdbeben und starken Überflutungen auch sonstige extreme Wetterereignisse berücksichtigt werden.
Man hat sich dabei das Ziel gesetzt, dass die Anlagen so ausgelegt sein sollten, dass diese Extremereignisse aushalten, die maximal einmal in 10.000 Jahren auftreten können. Hier muss also geprüft werden, welche Windgeschwindigkeiten, Starkregen und auch Blitzschläge es geben könnte. Dagegen sollen die Anlagen ausgelegt werden.
Bei der Auslegung der Sicherheit braucht man natürlich bei der Kerntechnik immer die Redundanz, also das mehrfache Vorhandensein von Sicherheitseinrichtungen. Auch eine räumliche Trennung ist wichtig, dass also die Pumpen und der Notstromaggregat nicht an einem Ort stehen und bei einer Extremsituation gleichzeitig betroffen werden können. Solche Auslegungsmerkmale sind ganz wichtig.
Haben Kraftwerksbetreiber, Aufsichtsbehörden und Politiker aus Fukushima gelernt?
Es sind natürlich Maßnahmen ergriffen worden, um die Sicherheit der Anlagen zu erhöhen. Es gibt zum Beispiel mobile Pumpen und Notstromaggregate. Das hat natürlich vielfach die Sicherheit der Anlagen erhöht, aber einen absoluten Schutz gibt es trotzdem nicht.
Sind die Maßnahmen denn zufriedenstellend?
Das kann man nicht so beantworten. Das Maß der Sicherheit legen die nationalen Aufsichtsbehörden fest. Deutschland hat entschieden, dass das Risiko von der Kernkraft dauerhaft nicht hinzunehmen ist. Unsere Anlagen werden deshalb bis 2022 abgeschaltet. Andere Länder in Europa sehen das anders und legen für sich das erforderliche Sicherheitsniveau fest.
Welche Empfehlungen geben Sie zum Schutz dieser Technik?
Wichtig sind sorgfältige Analysen zu den Gefahren durch Extremwetter: Wovon kann meine Anlage betroffen werden? Welche Gefährdungen muss ich unterstellen? Auch angesichts des Klimawandels können neue Phänomene dazukommen oder bekannte Phänomene wesentlich größere Auswirkungen haben.
Und dann ist ganz wichtig, dass Anlagen über massive gebunkerte, geschützte Systeme verfügen. Für die deutschen Anlagen wurde in der Vergangenheit immer auch ein Flugzeugabsturz auf die Anlagengelände mit betrachtet, bei vielen ausländischen Anlagen ist dies nicht der Fall gewesen. Stark geschützte Einrichtungen mit Bunker sind gerade bei extremen Ereignissen aber auch ein wichtiger Faktor.
Trotz guter Vorsorge bleibt immer ein Risiko. Die Kraftwerksbetreiber sind aber nicht für einen großen Atomunfall ausreichend versichert. Die Opfer werden dann alleine gelassen oder der Staat muss dafür aufkommen. Sollten die Kraftwerksbetreiber hier nicht auch ausreichend vorsorgen?
Bei sehr schweren Unfällen reichen die finanziellen Mittel der Betreiber nicht aus und diese Kosten werden auch nicht durch Versicherungen abgedeckt. Das sind natürlich externe Kosten und sie werden von der Gesellschaft getragen. Diese Kosten muss man der Kernenergie zuschreiben und eigentlich müssen diese von den Betreibern auch übernommen werden. Eine größere Vorsorge und entsprechende Versicherung wäre hier erforderlich.
Dr. Christoph Pistner ist Physiker, Experte für Nukleartechnik und Anlagensicherheit am Öko-Institut in Darmstadt und Mitglied der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) des Bundesumweltministeriums und Mitglied im Facharbeitskreis Probalistische Sicherheitsanalysen für Kernkraftwerke.
Das Interview führte Gero Rueter.