Die Rückkehr von Irlands Wäldern
27. Juli 2018Irland war einmal ein Land der Wälder. Die Insel mit einer Fläche von 84.421 km2 war einst zu 80 Prozent von Wald bedeckt. Heute hat sie mit 11 Prozent eine der niedrigsten Bewaldungsraten Europas.
Die Geschichte der Zerstörung der irischen Wälder ist keine schöne. In keinem anderen Land Europas wurde der Wald so gnadenlos abgeholzt. Anfang des 20. Jahrhunderts war weniger als ein Prozent der Insel noch bewaldet.
Klimatische Veränderungen spielten eine Rolle, aber die traurige Wahrheit ist, dass der Mensch selbst für die größte Zerstörung verantwortlich ist. Ähnlich wie Gaeilge, Irlands eigene Sprache, die inzwischen nur noch von einer kleinen Minderheit fließend gesprochen wird, sind Irlands nicht mehr vorhandene Wälder ein fast verlorener Teil der kulturellen und physischen Identität des Landes.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts begann der irische Staat das Ausmaß des Verlusts zu erkennen und ließ in großem Stil Bäume pflanzen. In bergigen Gebieten entstanden Wälder aus robusten Nadelbäumen, die den Elementen gut trotzen.
Ich wuchs in Irlands nördlichster Region Ulster auf. Ich merkte nichts von den Bemühungen zur Aufforstung, wir lebten weit entfernt von den Bergen, in einer Gegend mit kleinen Bauernhöfen…
Ich erinnere mich, wie ich mir als Kind gewünscht habe, dass sich hinter unserem Haus ein großer Wald befände. Denn in so vielen Büchern, die meine Schwester und ich lasen, begannen die echten Abenteuer dann, wenn sich die Kinder, in einem unbeaufsichtigten Moment, in den tiefen, dunklen Wald wagten.
Der nächstgelegene Wald von uns war Killykeen Forest Park, ein hübscher Ort, ein paar Kilometer entfernt. Dorthin zu kommen war für mich immer etwas ganz Tolles. Als Fünf- oder Sechsjähriger konnte ich es noch nicht in Worte fassen, aber mir war schon bewusst, dass der Wald eine ganz besondere Art der Freiheit bietet.
Als ich älter wurde, veränderte sich die Landschaft um uns herum: kleine Wälder entstanden. Auf den vormals tristen, kaum fruchtbaren Feldern wuchsen auf einmal Bäume.
In den 1990er Jahren stellten die irische Regierung und die EU den Bauern Fördergelder in Aussicht, um sie zu motivieren, auf ihrem eigenen Land Wälder zu pflanzen. Es hat dazu beigetragen, dass die bewaldete Fläche langsam wieder zugenommen hat. Heute steht die Hälfte aller Wälder Irlands auf privatem Land. Ziel der Regierung ist es, 18 Prozent der Landesfläche bis zum Jahr 2046 wieder zu bewalden.
Alle, die unter dem Begriff Wald direkt an ein großes Areal denken, sollte ich aufklären: Die Wälder, die um uns herum entstanden, waren eher kleine "Wäldchen”, oft nur wenige Hektar groß, aber sie hatten einen großen Einfluss auf meine Jugend.
Einer, der in meiner Erinnerung noch sehr lebendig ist, war "am Ende der Felder" entstanden, in der Nähe unseres Hauses. Es gab keine Straße, um dorthin zu gelangen, der einzige Weg führte durchs Feld, mit wild wuchernden Büschen und Sträuchern.
Ich ging oft dorthin, bis weit in meine Teenagerzeit, meistens alleine. Und fast jedes Mal, wenn ich dort war, hatte ich den Eindruck, dass der Wald wieder etwas dichter geworden war, dass die Bäume und ihre Bewohner ein kleines bisschen mehr von dem Land zurückerobert hatten, das sie einst verloren hatten.
Man sagt, Einsamkeit sei die Trauer darüber, alleine zu sein, während Abgeschiedenheit ein Genuss sei. Für mich ist es glücklicherweise letzteres Gefühl, das ich mit den Stunden in diesem Wald verbinde.
Bei meinem letzten Besuch zu Hause, Anfang des Sommers, ging ich auf einer Straße in der Nähe unseres Hauses spazieren, als ich plötzlich etwas bemerkte: Vor dem Wald, der vor mehr als 20 Jahren gepflanzt worden war, war ein Eingangstor errichtet worden. Ich ging hindurch und merkte gleich, dass der Wald dahinter viel tiefer geworden war, als ich ihn in Erinnerung hatte. Dann wurde mir plötzlich klar: dieser kleine Wald und jener Wald "am Ende der Felder" waren zu einem Wald zusammengewachsen.
Es hat eine Weile gedauert, aber Wurzel um Wurzel, Ast um Ast kehren Irlands Wälder zurück.