Irland ohne Regierung?
26. Februar 2016Lange sah es danach aus, dass Irland aus dem mittlerweile bekannten EU-Muster ausbrechen und eine Regierung wiederwählen würde, die jahrelanges, schmerzhaftes Sparen zu verantworten hatte. Aber jetzt scheint es, als ob Irland dem Beispiel Spaniens und Portugals folgen würde. Dann würde die Wahl zu keinem klaren Ergebnis, sondern zu einer sehr komplizierten Regierungsbildung führen.
Vor fünf Jahren wurden die Mitte-Rechts-Partei Fine Gael und die Mitte-Links-Partei Labour mit zusammen 55 Prozent an die Spitze des Landes gewählt. Aber in Umfragen vom vergangenen Wochenende war ihre Zustimmung auf 35 Prozent zusammengeschrumpft - das würde kaum für eine Regierungsbildung reichen. Fine Gael (29 Prozent) hat relativ wenig Zustimmung verloren. Die Arbeiterpartei dagegen ist auf sechs Prozent abgestürzt.
Die letzte Wahl fand 2011 statt, direkt nachdem Irland das Rettungsprogramm der Troika angetreten hatte. Das Land erhielt einen Kredit von 67,5 Milliarden Euro mit einer schmerzhaft hohen Zinsrate. Im Gegenzug musste Irland drastische Einsparungen im öffentlichen Dienst vornehmen, seine Mehrwertsteuer erhöhen und unbeliebte Maßnahmen wie lokale Grundstückssteuern und Zahlungen für die Wasserversorgung einführen.
Zu noch mehr Unmut führte, dass die Regierung alle führenden Anleihegläubiger von Irlands Banken vollständig ausbezahlte, und das, obwohl die Steuerzahler bereits 64 Milliarden Euro bezahlt hatten, um genau diese Banken vor dem Untergang zu retten.
Kein echter wirtschaftlicher Aufschwung
Die Unterstützung, besonders für die Arbeiterpartei, ist vor allem aus zwei Gründen so eingebrochen. Der erste und offensichtlichere davon ist die Ablehnung der Sparmaßnahmen aus der Bevölkerung. Der andere Grund für den Niedergang ist, dass der dreiwöchige Wahlkampf der beiden Parteien hauptsächlich auf der Prämisse beruhte, dass sich Irlands Wirtschaft erholt hat. Auf den ersten Blick wirkt es so, als habe die bittere Medizin der irischen Wirtschaft tatsächlich geholfen: Ihre jährliche Wachstumsrate beläuft sich auf sieben Prozent und ist damit die höchste in der gesamten EU. Die Arbeitslosenzahl erreichte ein Jahr nach der Wahl ihren Höhepunkt von 15,1 Prozent. Diesen Monat betrug sie 8,6 Prozent und die Regierung behauptet, dass sie Irland in vier Jahren zur Vollbeschäftigung führen kann.
Aber der wirtschaftliche Aufschwung hat längst nicht alle erreicht. Beinahe einer von sechs Iren lebt mit dem Risiko, unter die Armutsgrenze abzugleiten. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken. Allerdings beinhalten die offiziellen Zahlen zehntausende Menschen, die an Praktikumsprogrammen der Regierung teilnehmen - und dafür 50 Euro die Woche zusätzlich zu ihrer Sozialhilfe erhalten. Nur etwa die Hälfte dieser "Praktikanten" kann nach Ende des Programms in einer bezahlten Anstellung übernommen werden und wenige bis gar keine dieser neuen Stellen befinden sich in ländlichen Gebieten, die immer noch unter Massenauswanderung leiden.
Fine Gaels Wahlkampf, der sich fast ausschließlich mit der Wirtschaft beschäftigte, kam also bei vielen Wählern nicht gut an. Eine landesweite Umfrage zeigte, dass fast die Hälfte aller irischen Wähler überhaupt keine Anzeichen eines Aufschwungs wahrnehmen.
Warum sollten sie dann eine Regierung wählen, deren "Aufschwung" sie zurückgelassen hat? Und warum sollten sie dem Juniorpartner der Koalition vertrauen, der versprochen hatte, den Kürzungen von Fine Gael die Schärfe zu nehmen, aber deren Vorsitzender dann selbst die Unterstützung für Kinder und das Arbeitslosengeld für junge Erwachsene kürzte?
Die Koalition aus Fine Gael und Arbeiterpartei hat trotzdem noch Chancen, wiedergewählt zu werden, wenn auch nur, weil es an plausiblen Alternativen mangelt. Die Fianna Fáil, die Partei in der Mitte des Spektrums, unter deren Ägide es erst zu einem spektakulärem Boom und dann einem spektakulärem Crash kam, kommt seit drei Jahren auf unter 20 Prozent. Die nächste Alternative, die linke Sinn Féin, ist nicht viel besser dran.
Zusammen kämen die beiden zwar möglicherweise auf genug Stimmen, aber sie haben beide bereits die Zusammenarbeit ausgeschlossen: Fianna Fáil wegen der Verbindungen von Sinn Féin zur IRA - und Sinn Féin, weil Fianna Fáil die Sparmaßnahmen einleitete. Mehr und mehr Stimmen gehen mittlerweile entweder an unabhängige Politiker oder an eine Reihe neuer kleiner Parteien.
"Irland war ursprünglich ein 'zweieinhalb Parteien System' ", sagt Paraic Gallagher, politischer Korrespondent beim landesweiten Sender Newstalk, über das alte System aus Fianna Fáil, Fine Gael und der kleineren Arbeiterpartei. "Aber viele haben ihr Vertrauen in Fianna Fáil nach dem Crash verloren. Und nach dem, was Fine Gael und Labour gemacht haben, sind viele weitere Parteien entstanden, die jetzt die Mehrheiten spalten."
Wegen dieser Spaltung sind nun mehr Faktoren als je zuvor wichtig, um eine Koalition mit parlamentarischer Mehrheit bilden zu können, so Gallagher weiter.
Ohne eine offensichtliche Nachfolgeregierung, und mit drei großen Parteien, die nicht miteinander regieren wollen, könnten viele Wähler die derzeitige Regierung unterstützen - nicht aus Loyalität, sondern einfach, weil sie das kleinste Übel ist.