Irans mobile Diskotheken
17. Mai 2013Der Begriff 'Disko' weckt bei vielen jungen Iranern vage Vorstellungen von dunklen und mit Lautsprecheranlagen ausgestatteten Räumlichkeiten, in denen zu lauter Musik getanzt und dabei viel geraucht und Alkohol getrunken wird. Aus eigener Anschauung kennen sie solche öffentlichen Einrichtungen nicht. Denn seit der Gründung der Islamischen Republik Iran 1979 sind Diskotheken streng verboten, ebenso wie der Genuß von Alkohol.
Der Alltag im Iran ist von staatlich verordneten Einschränkungen und Verboten geprägt. Frauen müssen in der Öffentlichkeit Kopftuch und Mantel tragen. Außer im familiären Rahmen dürfen Frauen und Männer keinen körperlichen Kontakt haben. Hinzu kommt: die wirtschaftliche Situation ist schwierig, seit die westlichen Sanktionen greifen und die iranische Währung stark an Wert verloren hat. Doch trotz aller Widrigkeiten wollen viele Iraner nicht darauf verzichten, sich zu amüsieren und sind sehr einfallsreich, wenn es darum geht, Lücken im System zu finden.
Reisebusse als mobile Diskotheken
Eine Strategie, um trotz aller Verbote tanzen zu können, ist, einen Busausflug zu unternehmen – und dann den Bus im Laufe der Reise zur mobilen Diskothek umzufunktionieren. Jung oder alt, wer im Freundeskreis Spaß haben oder auch andere Reisende kennenlernen will, unternimmt einen Wochenend-Ausflug mit dem Bus, sagt Hamidreza Haschemi, der seit Jahren als Reiseleiter arbeitet. "Iraner haben eine lebensfrohe Mentalität und Freude an großen Gruppen. Sie lieben es zu feiern. Und sie fahren gern ins Grüne. Die mobilen Diskotheken sind so beliebt, weil sie alles verbinden: Musik, Tanz, heitere Atmosphäre und eine Wanderung in der Natur."
Ausflug in die Privatsphäre
Yalda, eine 26 jährige Studentin aus Teheran, die schon mehrere Male solche Bustouren unternommen hat, ist begeistert. Einmal sei sie in sogar in einem Doppeldeckerbus gefahren, erinnert sie sich: mit 68 Freunden und Bekannten ging es in die 200 Kilometer südlich gelegene Stadt Kashan. "Das war eine unvergessliche Reise. Die ganze Zeit haben wir Spaß gehabt, einen 'Doppeldecker-Spaß'. Auf solchen Touren tankt man Energie und bleibt munter für einige Tagen."
Im Bus werden die Fenster zugehängt, damit die Sittenpolizei keinen Verdacht schöpft. Dann beginnt die Party: getanzt wird auf den Sitzen und in den engen Gängen. "Die Leute erholen sich dabei vom stressigen Stadtleben", so Reiseleiter Haschemi. "Sie erleben die Reise mit dem Bus als Ausflug in eine Privatsphäre, wo sie ohne Kontrolle und Reglementierung feiern können. Viele sagen, dass sie erst wieder in die reale Welt zurückkehren, wenn sie das Ausflugsziel erreicht haben und aus dem Bus aussteigen."
Kontrollen der Sittenpolizei
Busreise-Veranstalter sind nicht immer glücklich über die Partylaune ihrer Gäste. Die Reisevermittler werden oft unbeabsichtigt zu Veranstaltern solcher Disco-Ausflüge. Agenturen und deren Reiseleiter müssen sich häufig den Behörden gegenüber dafür verantworten, weiß Ali Alipour, Chef einer Reiseagentur. "Häufig werden wir wegen der Kleidung der Reisenden oder ihres Benehmens verwarnt. Dieses Jahr wurde unseren Touristen bei einer Tour der Eintritt zu einer Sehenswürdigkeit verwehrt und alle wurden mit dem Bus zum Polizeistation gebracht."
Ganz sorglos können auch die Passagiere nicht sein. Das Ende des Vergnügens kommt oft schneller als gewollt: wenn die Polizei die rockenden Fahrzeuge stoppt und die Beteiligten zur Rechenschaft zieht. Es bleibt abzuwarten, wie lange die mobilen Discos noch als Ventil für die Lebensfreude der Iraner und Iranerinnen dienen können.