Irans Führung will Bürger mit Geld beruhigen
21. November 2019Am Dienstagabend berichtete die halbamtliche Nachrichten Agentur ISNA, die Regierung habe an 20 Millionen Iraner Geld überwiesen. Tatsächlich war es das offiziell erklärte Ziel der Regierung, durch den Abbau der Benzinsubventionen zusätzliche Einnahmen zu erlangen. Die sollten zum Teil an benachteiligte Familien verteilt werden. Es wurde in Aussicht gestellt, dass bis zu 60 Millionen der rund 80 Millionen Iraner in den Genuss dieser Hilfe bekommen könnten. Laut ISNA will die Regierung in den kommenden Tagen weiteren 40 Millionen Iranern Geld überweisen.
Die iranische Führung hat unterdessen mit der Lockerung der Blockade des Internetzugangs begonnen, die seit vergangenem Sonntag bestand. Zuvor hatte sie die Unruhen für beendet erklärt, die Lage sei unter Kontrolle und die für die Ausschreitungen angeblich verantwortlichen "Saboteure" seien verhaftet worden. Die Internetsperre soll allein in den ersten drei Tagen wirtschaftliche Schäden für den Iran in Höhe von einer Milliarde US-Dollar verursacht haben, so die Berechnung der Nichtregierungsorganisation Netblocks, die sich für freien Internetzugang weltweit einsetzt.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen spielten für die iranischen Regierung aber wohl keine große Rolle. Priorität hatte für sie die Verbindung der iranischen Internet-Nutzer mit der Außenwelt zu unterbrechen und damit Berichterstattung und Verbreitung von Aufnahmen über die Proteste und Reaktionen der Sicherheitskräfte möglichst zu verhindern.
Weit höhere Opferzahlen als offiziell gemeldet
Dennoch teilte die Organisation Amnesty International mit, mindestens 106 Menschen seien in 21 Städten des Irans bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften Protesten getötet worden. Die Organisation bezieht sich auf verifiziertes Videomaterial, Aussagen von Augenzeugen und Informationen von Aktivisten außerhalb des Irans.
Deutlich höher schätzt der in Washington ansässige iranische Journalist Shahed Alavi die Zahl der Todesopfer ein. "Eine Quelle aus dem Innenministeriums hat mir mitgeteilt, dass lokale Behörden bis Montagmittag 200 Tote gemeldet haben", sagt Alavi gegenüber der DW. Alavi veröffentlicht seit Freitag vereinzelte Videos, die ihm Demonstranten aus kleineren Städten an der Grenze zum Irak zugeschickt haben. Sie nutzen offenbar irakische Netzverbindungen. "Nachrichten, die ich aus Teheran erhalte, deuten darauf hin, dass die Lage in der Stadt relativ ruhig ist. Zumindest aus dem zentralen und nördlichen Teil der Hauptstadt habe ich keine Meldungen über Straßenproteste. In den kleineren Städten ist die die Situation jedoch anders", berichtet der Journalist.
In den staatlich kontrollierten Medien fällt die bisherige Bilanz der Unruhen anders aus: Seit Freitag seien neun Menschen ums Leben gekommen, vier Demonstranten, drei Mitglieder der Revolutionsgarden und zwei Polizisten. Etwa 1000 Personen seien festgenommen worden.
Todesstrafe für "Saboteure im Sold des Auslands" gefordert
Einige der festgenommenen Anführer der Proteste hätten gestanden, vom Ausland finanziert, gelenkt und mit Waffen ausgestattet worden zu sein, schrieb die Zeitung "Keyhan". Die Justiz werde deshalb "im Einklang mit dem Strafgesetz und den islamischen Vorschriften" die Todesstrafe für sie fordern. "Keyhan" gilt als Sprachrohr des religiösen Führers.
"Was wir in diesen Tagen erlebt haben, war ein Angriff auf unsere Sicherheit und nicht die Tat der normalen Bürger", tat der geistliche und politische Führer Ali Chamenei am Dienstagabend kund. "Der Iran hat den Feind auf militärischem, politischem und sicherheitspolitischem Gebiet zurückgedrängt", betonte Chamenei weiter. Justizsprecher Gholamhossein Esmaili erklärte, im Land sei die Ruhe wiederhergestellt. So meldeten es auch die iranischen Revolutionsgarden am Donnerstag auf ihrer Webseite.
Unruhen Teil eines "schwierigen Jahres"
Die iranischen Medien veröffentlichen Bilder von ausgebrannten Tankstellen und Banken. Sie berichten ausführlich über die erheblichen Schäden, die angebliche "Saboteure" dem Land zugefügt hätten. Regierungssprecher Ali Rabie behauptete am Mittwoch, man habe Sprengstoff an einer wichtigen Ölpipeline gefunden. "Wir wussten, dass dies ein sicherheitspolitisch schwieriges Jahr werden würde", fügte Sprecher Rabie vielsagend hinzu. Der Iran wirft den USA und ihren Verbündeten vor, das Land destabilisieren und einen Regimewechsel vorantreiben zu wollen.
Die US-Regierung verfolgt eine Politik des "maximalen Drucks" auf den Iran. Mit schweren Wirtschaftssanktionen will sie die Regierung in Teheran zu einer Neuverhandlung des internationalen Atomabkommens und zur Änderung ihres "Verhaltens in der Region" zwingen. Washington hatte seine Solidarität mit den Demonstranten verkündet und die Gewalt der Sicherheitskräfte und die Internetsperre kritisiert.