Iran: Todesstrafe für weitere Demonstranten
16. November 2022Im Zusammenhang mit den systemkritischen Protesten im Iran sind vier weitere Demonstranten zum Tode verurteilt worden. Dies berichtete die Nachrichtenagentur Fars. Gegen die Todesurteile könne Berufung eingelegt werden, hieß es weiter.
"Ein Feind Gottes", "Anführer von Protesten"
Nach Überzeugung des Revolutionsgerichts hatte sich ein Angeklagter bei seiner Teilnahme an regierungskritischen Protesten im Zusammenhang mit dem Tod der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini nach ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei vor zwei Monaten mehrerer schwerer Vergehen schuldig gemacht. Er habe "Menschen auf der Straße mit einer Stichwaffe terrorisiert, ein Motorrad in Brand gesetzt und eine Person mit einem Messer angegriffen", berichtete die Justiz-Website "Misan Online". Weiter hieß es dort, der Mann sei "ein Feind Gottes".
Einem weiteren Beschuldigten wurde den Berichten zufolge vorgeworfen, mit seinem Auto Polizisten angegriffen und dabei eine Person getötet zu haben. Ein weiteres Todesurteil wurde wegen Waffenbesitzes und Brandstiftung verhängt. Eine vierte Person erhielt die Kapitalstrafe als "Anführer von Protesten" sowie wegen Beschädigung öffentlichen Eigentums.
Bereits am Sonntag hatte der Iran das erste Todesurteil im Zusammenhang mit den Protesten verhängt, die am 16. September ausgebrochen waren, als Amini in der Haft starb, nachdem sie wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Kleiderordnung der Islamischen Republik für Frauen festgenommen worden war.
Bis zu zehn Jahre Haft für fünf Angeklagte
Dem ersten Verurteilten wurde unter anderem vorgeworfen, "ein Regierungsgebäude in Brand gesetzt, die öffentliche Ordnung gestört und sich zu einem Verbrechen gegen die nationale Sicherheit verschworen zu haben" - und auch er wurde bezichtigt, "ein Feind Gottes" zu sein, so Mizan damals.
Fünf weitere Personen wurden in dem Prozess wegen "Versammlung und Verschwörung zur Begehung von Straftaten gegen die nationale Sicherheit und Störung der öffentlichen Ordnung" zu Haftstrafen zwischen fünf und zehn Jahren verurteilt. Die Urteile wurden in erster Instanz gefällt, so dass gegen sie Berufung eingelegt werden kann.
Französische Geheimagenten festgenommen
Wie der iranische Innenminister Ahmad Vahidi im staatlichen Fernsehen sagte, sind im Zusammenhang mit den Protesten auch mehrere französische Geheimdienstagenten verhaftet worden. "Bei den Unruhen wurden auch Personen anderer Nationalitäten verhaftet, von denen einige eine wichtige Rolle spielten." Es seien "Elemente des französischen Geheimdienstes" gewesen und gegen sie werde "nach dem Gesetz vorgegangen", so Vahidi.
In der vorigen Woche hatte Frankreichs Außenministerin Catherine Colonna bestätigt, dass insgesamt sieben frazösische Staatsangehörige im Iran inhaftiert worden seien.
Unruhen bei Gedenken an "blutigen November"
In weiten Teilen des Irans kam es in der Nacht zu Mittwoch aus einem weiteren Grund zu heftigen Protesten: Zu Tausenden strömten Menschen auf die Straßen, um an den "blutigen November" von 2019 zu erinnern. Augenzeugen berichteten von chaotischen Szenen, unter anderem in der Hauptstadt Teheran.
Dort blockierten nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP Demonstranten eine wichtige Straßenkreuzung und riefen "Freiheit, Freiheit", wie in verifizierten Online-Videos zu sehen war. Auch in weiteren Städten gab es Proteste, etwa in Bandar Abbas und Schiras, wo Frauen ihre Schleier über ihren Köpfen schwenkten. Am Abend füllten sich die Straßen Teherans mit weiteren Demonstranten, die Lagerfeuer entzündeten und "Tod dem Diktator" riefen, wie die Website 1500tasvir berichtete. Vor einer Teheraner U-Bahn-Station forderte eine große Menschenmenge den Sturz des geistlichen Führers Ayatollah Ali Chamenei.
Immer mehr Protestteilnehmer drückten auch mit zivilem Ungehorsam ihren Unmut aus. Auf den Straßen der Hauptstadt waren - wie auch in anderen Städten - Paare zu beobachten, die sich in der Öffentlichkeit küssten - ein gesellschaftliches Tabu und unter Strafe verboten seit der Islamischen Revolution 1979. In anderen Teilen Teherans waren Lautsprecherdurchsagen zu hören: "Das ist ein roter Alarm, die Zeit der Revolution hat begonnen", gefolgt von Sirenentönen, die einst bei Bombenalarm im Iran-Irak-Krieg (1980-1988) zu hören waren.
In großen Teilen der Provinz Kurdistan ruhte die Arbeit, Studenten boykottierten Vorlesungen. Viele Geschäfte in der Hauptstadt Teheran und weiteren Städten blieben geschlossen.
Eskalation sorgt für Tote und Verletzte
Während der Großteil der Straßenproteste friedlich verlief, kam es offenbar vor allem in den Provinzen wieder zu gewaltsamen Vorfällen. Mindestens zwei Sicherheitskräfte der Revolutionsgarden sowie ein schiitischer Geistlicher seien getötet worden, berichteten iranische Medien.
"Die Regierungstruppen haben in den meisten Städten, in denen Proteste stattfanden, direkt das Feuer eröffnet", erklärte die in Oslo ansässigen Menschenrechtsgruppe Hengaw am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP. In den Städten Sanandadsch und Kamjaran seien insgesamt drei Menschen "durch direktes Feuer der Regierungstruppen" getötet worden. Hengaw versuche, Berichte zu bestätigen, wonach weitere Demonstranten getötet wurden.
Die Angaben aus den Protestgebieten sind schwer überprüfbar.
Seit September wurden nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Iran Human Rights (IHR) mehr als 320 Menschen bei der versuchten Unterdrückung der Proteste und Demonstrationen getötet.
sti/mak/se (afp, rtr, dpa)