Iran: Zweierlei Maß der Gerechtigkeit
20. Juli 2017"Die Gesetze sind für alle gleich", betont Irans Regierungssprecher Mohammad Bagher Nobakht einige Stunden, nachdem der Bruder des Präsidenten aus der Haft entlassen wurde. Hossein Fereidun war am 16.Juli aufgrund finanzieller Unregelmäßigkeiten zur Befragung vorgeladen und dann in Gewahrsam genommen worden. Er soll in dubiose Geschäfte verwickelt gewesen sein. Fereidun ist ein ranghoher Diplomat und Sonderberater des Präsidenten. Die Brüder haben unterschiedliche Namen, weil der Präsident seinen Namen zu Beginn seines Theologiestudiums geändert hatte. "Rohani" bedeutet Kleriker.
Vor allem konservative Kreise hatten wiederholt Korruptionsvorwürfe gegen Fereidun erhoben und verlangt, dass er vor Gericht gestellt wird. Er soll in den letzten Jahren der Amtszeit des früheren Präsidenten Ahmadinedschadad eine Wechselstube gegründet haben. Mit ihr soll er von den starken Wechselkursschwankungen während der Wirtschaftskrise nach den damals neu verhängten Sanktionen profitiert haben.
"Wenn es um Korruption geht, gibt es keine rote Linie für die Regierung", betonte Regierungssprecher Nobakht am 17.Juli. Der Präsident habe sich nicht in den Fall eingemischt. Hossein Fereidun war nur einen Tag nach seiner Verhaftung freigelassen worden, nachdem er eine Kaution in Höhe von umgerechnet acht Millionen Euro hinterlegt hatte. "Die Justiz soll nun erklären, warum ein Mensch nach nur einem Tag Gefängnis ins Krankenhaus eingeliefert werden muss", sagt der Regierungssprecher. Fereiduns Gesundheitszustand sei schlecht.
Ohne Anklage in Einzelhaft
Der Gesundheitszustand von etlichen Gefangenen im Iran ist schlecht - der des politischen Aktivisten Arash Sadeghi zum Beispiel. Ihm wird die Behandlung im Krankenhaus verweigert. Sadeghi war mehrfach in den Hungerstreik getreten, weil die Behörden auch seine Ehefrau Golrokh Ebrahimi Iraee verhaftet haben. Die Menschenrechtsaktivistin kam in Haft, weil sie eine fiktive Geschichte zum Thema Steinigung geschrieben hatte.
In kritischem Zustand befindet sich momentan die in Teheran inhaftierte Journalistin Hengameh Shahidi. Sie ist herzkrank und sitzt seit 9. März in Einzelhaft. Ihre Familie ist sehr besorgt um ihre Gesundheit. Mit ausländischen Medien wollen sie nicht sprechen.
Sie informieren die Öffentlichkeit über soziale Medien. Am 17.Juli haben sie mitgeteilt, die Untersuchungshaft gegen Hengameh Shahidi sei für einen weiteren Monat verlängert worden.
Shahidi wurde verhaftet, nachdem sie Anfang März, vor den Präsidentschaftswahlen, einen offenen Brief in sozialen Medien veröffentlicht hatte. Darin warnte sie vor der gezielten Unterdrückung von wichtigen Meinungsmachern und Netzaktivisten. Inzwischen sitzt sie seit vier Monaten in Einzelhaft und hat keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand. In ihrem letzten Telefonat hatte sie ihrer Familie mitgeteilt, dass sie bis zu 12 Stunden pro Tag verhört werde. Man wolle sie zu einem Geständnis zwingen.
Regierungssprecher Nobakht hatte vor der Präsidentschaftswahl am 19.Mai versprochen, Shahidis Fall nachzugehen. Der Präsident sei besorgt, hieß es damals. Nun scheint die Regierung andere Sorgen zu haben. Der Regierungssprecher stellte die rhetorische Frage, warum der Justizchef nicht gegen seinen eigenen Bruder ermittelt
Sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich?
Die Justiz agiert unabhängig von der Regierung. Justizchef Sadegh Laridschani ist ein vom religiösen Führer direkt eingesetzter konservativer Geistlicher. Sein älterer Bruder, der einflussreiche konservative Politiker Ali Laridschani, ist Irans Parlamentspräsident. Zur Familie Laridschani gehört auch noch der jüngere Bruder Fazel Laridschani, ein Universitätsdozent. Er hatte 2013 einem korrupten ehemaligen Staatsanwalt angeboten, sich bei seinen einflussreichen Brüdern für eine milde Strafe einzusetzen, wenn er selbst dafür im Gegenzug eine Staatsfirma aus dem Besitz des Sozialversicherungsfonds günstig erwerben könne. Von diesem Gespräch gibt es eine Videoaufnahme.
"Das Problem ist, dass Menschen, die keine Kontakte in die Führungsetagen der Macht haben, monatelang ohne Anklage festgehalten werden können...", heisst es in diesem Tweet.
"Das grundlegende Problem liegt daran, dass die Justiz im Iran nicht unabhängig ist. Sie ist ein Teil des Machtapparats. Sie ist ein Werkzeug, um politische Ziele zu erreichen", sagt der Politologe Sadegh Zibakalam von der Universität Teheran. "Die konservativen Kreise haben zwar die Präsidentschaftswahl im Mai verloren. Sie haben aber die Justiz unter ihre Kontrolle. Mit der Verhaftung von Hossein Fereidun wollten sie Rohani zeigen, wo seine Grenzen liegen. Sie wollen einen Platz am Kabinettstisch haben." Hassan Rohani wird am 5. August im Parlament vereidigt. Danach wird er sein Kabinett vorstellen.