Iran und seine Strategie der Eskalation
19. September 2019Der Iran stecke "zweifellos" hinter den Angriffen auf die Ölanlagen in Saudi-Arabien, teilte die Regierung in Riad am Mittwochabend mit. Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Raketen nicht aus dem Jemen im Südwesten abgefeuert worden sein können, sondern aus dem Norden kamen. Die USA hatten bereits am Wochenende Iran für die Angriffe verantwortlich gemacht. Eindeutige Beweise für Irans Urheberschaft wurden bislang allerdings nicht vorgelegt.
Zu dem Angriff, der die saudische Ölförderung vorübergehend um die Hälfte reduzierte, hatten sich mit dem Iran verbündete Huthi-Rebellen aus dem Jemen bekannt, die seit über vier Jahren von der saudischen Luftwaffe bekämpft werden, mit vielen Opfern unter der Zivilbevölkerung.
"Teheran will USA Grenzen aufzeigen"
In einem offiziellen Schreiben an die USA hat das iranische Außenministerium jegliche Beteiligung an den Angriffen auf saudische Ölanlagen zurückgewiesen. "Der Iran hat mit dem Angriff nichts zu tun", heißt es in dem Brief, der den USA über die Schweizer Botschaft in Teheran zugestellt wurde. Die Schweiz vertritt im Iran die diplomatischen Interessen der USA. "Falls gegen den Iran eine (Militär-)Aktion durchgeführt werden sollte, werden wir diese umgehend erwidern und die Dimensionen wären nicht limitiert", ist in dem Schreiben weiter zu lesen.
"Die Strategie des Iran ist genau diese: Falls der Iran militärisch angegriffen wird, wird die gesamte Region in einen weitreichenden Krieg hineingezogen. Teheran will die Kosten des Konflikts zwischen den USA und ihren Verbündeten einerseits und dem Iran andererseits in die Höhe treiben", meint Farzaneh Roostaei im Gespräch mit DW. Die Journalistin und Expertin für militärische Fragen in der Golfregion glaubt nicht, dass der Iran "nichts" mit dem Angriff auf die saudischen Ölanlagen zu tun habe. "Der Verdacht liegt nahe, dass der Iran versucht, mithilfe der Huthis oder einer anderen Schiitenmiliz den USA ihre Grenzen aufzuzeigen".
Die USA sind im Mai 2018 einseitig aus dem internationalen Atomabkommen ausgestiegen und haben im Zuge ihrer Strategie des "maximalen Drucks" eine Flut umfassender Sanktionen gegen das Land verhängt. US-Präsident will nach eigenen Angaben Iran damit zu einem neuen, umfassenden Abkommen zwingen, welches auch die iranische Regionalpolitik und sein Raketenprogramm einbeziehen soll.
"Saudi-Arabien blamiert"
Saudi-Arabien, der wichtigste US-Verbündete am Persischen Golf und Irans Erzrivale, unterstützt die US-Politik. Gleichzeitig herrscht zwischen Saudi-Arabien und dem Iran ein gefährlicher Machtkampf um die Vorherrschaft im Nahen Osten. Während der Iran aufgrund der Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrates von 2015 keine Waffen importieren kann, gehört Saudi-Arabien zu den Ländern mit den höchsten Rüstungsausgaben weltweit.
"Saudi-Arabien ist der wichtigste Käufer amerikanischer Waffen. Zehn Prozent aller US Waffenexporte gehen nach Saudi-Arabien", erläutert der Nahost-Experten Michael Lüders im DW-Interview. "Dennoch reichen ein paar relativ einfache Drohnen, um zentrale Teile der ölproduzierenden Industrie zum Erliegen zu bringen. Es war eine ungeheure Blamage für Saudi-Arabien", urteilt Lüders.
Saudi-Arabiens Kronprinz und Verteidigungsminister Mohammed bin Salman bezeichnete den Drohnen-Angriff als einen "Test des Willens der internationalen Gemeinschaft, auf solche Taten zu reagieren, die die internationale Sicherheit und Stabilität gefährdeten". US-Präsident Trump hat angekündigt, er werde die Sanktionen gegen den Iran "bedeutend verstärken".
Iran unter Druck - auch von innen
Der Iran steht schon jetzt unter enormem Druck durch die US-Sanktionen. Das Land erlebt fast jeden Tag neue Proteste, die von Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen werden, so wie am Montag im westiranischen Arak. Dort hatten Hunderte Arbeiter der Heavy Equipment Production Company (HEPCO) protestiert, weil sie seit Juni keinen Lohn mehr erhalten haben. Der größte Schwermaschinenhersteller im Nahen Osten steht kurz vor der Pleite.
Der wachsende Druck von außen und von innen hat Folgen. "Der Iran ist mit seiner strategischen Geduld am Ende", analysiert Ellie Geranmayeh, Iran-Expertin von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR). Zuerst habe der Iran gehofft, dass Europäer und Chinesen für ihn eine Art Wirtschaftspaket ausarbeiten würden. So hätte Iran die nächsten Wahlen in den USA abwarten und auf einen Gewinner aus dem Lager der Demokraten hoffen können, meint Geranmayeh.
Doch die fehlenden Öleinnahmen und die insgesamt abrutschende Wirtschaftslage hätten diesen Plan obsolet gemacht. Als Reaktion habe der Iran zunächst in wohldosierten Schritten seine Verpflichtungen aus dem Atomabkommen verletzt. Jetzt, vermutet Geranmayeh, baue der Iran auch auf regionaler Ebene Druck auf.
Irans Priorität: Öleinnahmen
Auch wenn also noch unklar ist, inwieweit der Iran tatsächlich hinter den Angriffen steckt, so sind seine militärische Möglichkeiten und die Schlagkraft seiner asymmetrischen Kriegsführung ebenso deutlich geworden wie die Verletzbarkeit der weltweiten Energieversorgung. Damit steht der Iran im Fokus der Weltgemeinschaft. Und er scheint zu allem bereit zu sein, um dort zu bleiben, bis sein vordringliches Ziel erreicht ist: die Aufhebung des amerikanischen Ölembargos.