Holocaust kaum bekannt
21. Mai 2015Armins Vater hatte den Holocaust überlebt. Er war ein kleines Kind, als er mit seiner Mutter und einem Onkel aus Polen in den Iran floh. "Zahlreiche Juden flohen damals aus Europa in den Iran. Darunter waren tausende Kinder aus Deutschland und Polen, die so genannten "Teheran-Kinder", die dann später nach Palästina gebracht wurden. Mein Vater und seine Verwandten blieben aber im Iran. Er heiratete später meine Mutter, eine persische Jüdin", erzählt der im Iran geborene Armin gegenüber der DW.
Der promovierte Ingenieur ist Ende dreißig und lebt heute außerhalb des Iran. Zu seiner Sicherheit will er nur bei seinem Vornamen genannt werden. Armin empört sich, wenn er mit der DW über die Unwissenheit seiner Landsleute zum Holocaust spricht: "Sie wissen nicht, was der Holocaust ist. Sie wissen nicht einmal, dass der Iran damals tausende Juden gerettet hat. Auch Abdol-Hossein Sardari, den "Oskar Schindler des Iran", kennt kaum einer im Land. Er hat vielen Juden im Zweiten Weltkrieg das Leben gerettet - mitten in Europa!"
Iran als Zufluchtsort
Abdol-Hossein Sardari war ein iranischer Diplomat in Paris. Während des Zweiten Weltkrieges nutzte er eine Vereinbarung zwischen dem Dritten Reich und dem Iran, die alle iranischen Staatsbürger vor deutschen Angriffshandlungen schützte. Sardari stellte vielen Juden iranische Pässe aus. Der Iran gehörte bis zur britisch-sowjetischen Invasion im August 1941 zu den Verbündeten des Naziregimes im Nahen Osten. Aber Reza Schah Pahlavi, der Vater des späteren Mohammad Reza Schah, weigerte sich vehement, die Rassenideologie der Nazis im Iran umzusetzen. Damit wurde der Iran in der Nazi-Zeit zum geschützten Hafen für tausende verfolgter Juden. "In der Pahlavi-Zeit blühte das jüdische Leben im Iran", hatte Armin von seinen Verwandten gehört.
Dabei ist das Judentum schon deutlich länger eine feste Größe im persischen Reich. Juden leben seit der Zeit von König Kyros II. (ca. 559-530 v. Chr.) in den Gebieten des heutigen Iran. Die jüdische Gemeinde im Iran ist mit ungefähr 20.000 Mitgliedern die größte im Nahen Osten außerhalb Israels. Doch trotz alldem wissen ihre iranischen Landsleute kaum etwas über den Völkermord an sechs Millionen Juden in Nazi-Deutschland.
Schweigen in den Schulbüchern
Einer der Gründe für diese Wissenslücke könnte in den Schulbüchern liegen. Der im amerikanischen Exil lebende Iraner Mohammad Reza Kazemi hat seine Doktorarbeit über iranische Geschichtsschulbücher geschrieben. Alle diese Bücher sind auf der Webseite der zuständigen Behörde als PDF-Datei erhältlich. Im Gespräch mit der DW analysiert Kazemi, dass in den iranischen Schulbüchern traditionell ein positives Bild von Deutschland gezeichnet wird – weil es lange Zeit als Gegenmacht zu den im Iran eher negativ gesehenen Kolonialmächten Russland, England und Frankreich wahrgenommen wurde.
Schulbuchforscher Kazemi weist daraufhin, dass es in iranischen Bibliotheken schon Literatur über den Völkermord an den Juden gibt. Diese Bücher sind jedoch kaum bekannt. Und bei der Durchsicht heutiger Schulbücher findet man kein einziges Wort über den Holocaust. Stattdessen, so Kazemi, werden iranische Schulkinder zum Teil mit einem negativen Bild des Judentums konfrontiert.
"Der Grund dafür ist der zunehmende Einfluss der islamischen Ideologie auf den Inhalt des schulischen Curriculums. So werden Juden in den Abschnitten über die Entstehung des Islams auf der arabischen Halbinsel als “Feinde des Islam” bezeichnet, die gegen den Propheten Mohammed und seine Anhänger “Verrat” begangen hätten". Die Darstellung Israels als “illegitimer” und “verbrecherischer Staat” sei ein zusätzlicher Grund für das negative Image der Juden in den Schulbüchern, so Kazemi.
Schrumpfende Gemeinde
Dabei herrschte während der Schah-Zeit noch ein exzellentes Verhältnis zwischen Iran und Israel – und auch die Juden im Iran genossen alle Freiheiten. Dies änderte sich erst durch die islamische Revolution von 1979 – und dies hatte auch Auswirkungen auf die Juden im Iran. So wurde Habib Elghanian, der Vorsteher der jüdischen Gemeinde von Teheran, direkt nach der Revolution wegen angeblicher Spionage für Israel hingerichtet.
Vertreter der jüdischen Gemeinde trafen sich daraufhin mit dem "Obersten Revolutionsführer" Ayatollah Khomeini und baten ihn um Schutz. Khomeini verkündete daraufhin eine Fatwa mit dem Inhalt, die iranischen Juden wären Teil der Islamischen Republik. Dennoch machte die Anpassung der Gesetze an islamische Maßgaben die Juden in der Folge zu Bürgern mit eingeschränkten Rechten – so wie die Angehörigen anderer religiöser Minderheiten wie Christen oder Zoroastrier. Auch deshalb ist die jüdische Gemeinde im Iran in den letzten 35 Jahren deutlich kleiner geworden. Lebten Ende der 1970er Jahre noch etwa 100.000 Juden auf iranischem Boden, so sind es heute nur noch rund 20.000.
Holocaust-Bücher nur im Ausland
Der Holocaust wurde nach der Revolution zum Tabuthema. Es sei denn, er wird für kalkulierte Provokationen genutzt - wie etwa im Februar 2006, als die iranische Zeitung Hamshahri einen "Internationalen Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb" ausrief, der in Israel, aber auch international für Empörung sorgte. Dem Schweigen gegenüber dem Völkermord an sechs Millionen Juden in Nazi-Deutschland steht jedoch ein riesiges Interesse an Adolf Hitler gegenüber: Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf" wurde im Iran mehr als zwanzig Mal nachgedruckt – jedes Mal war sie schnell ausverkauft.
Es gibt auch persisch-sprachige Bücher über den Holocaust – doch sind diese seit der Islamischen Revolution durchgehend im Ausland erschienen. So wie die Arbeiten von Ardeshir Babaknia. Dem in Los Angeles lebenden Arzt war aufgefallen, wie wenig Besucher aus dem Iran über den Holocaust wissen. Babaknia legte seine Arbeit als Arzt nieder und schrieb vier Bücher über den Völkermord an den Juden. Im Iran sind sie nicht erhältlich. Aber Babaknia hofft, dass viele seiner Bücher von Rückkehrern in den Iran mitgenommen werden.
Er ist der Überzeugung, dass der Holocaust nicht nur ein jüdisches Thema ist. "Genozid und Vertreibung gehören nicht der Vergangenheit an", so Babaknia gegenüber der DW: "So etwas kann jederzeit wieder passieren. So wie heute im Nordirak, wo der Islamische Staat einen Völkermord an den Jesiden verübt. Wir sind alle verpflichtet, darüber aufzuklären, zu informieren. Wer schweigt, trägt eine Mitschuld.“