Iran: Sorge um die inhaftierte Friedensnobelpreisträgerin
10. November 2023Narges Mohammadi ist eine der bekanntesten Menschenrechtsaktivistinnen im Iran. Derzeit ist sie im berüchtigten Evin-Gefängnis in der Hauptstadt Teheran inhaftiert. Für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran sowie für die Förderung der Menschenrechte und Freiheit aller wurde sie dieses Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
"Am 6. November trat sie aus gesundheitlichen Gründen in den Hungerstreik, da die Gefängnisbehörden sie nicht ohne Kopftuch ins Krankenhaus bringen wollten“, berichtet ihr Mann Taghi Rahmani in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. Er fügt hinzu: "Narges weigerte sich, das obligatorische Kopftuch zu tragen.“ Sieben weitere politische Gefangene in der Frauenabteilung des Evin-Gefängnisses schlossen sich aus Solidarität ebenfalls dem Hungerstreik an.
"Am Mittwoch wurde ich doch unter strengen Sicherheitsmaßnahmen ins Krankenhaus eingeliefert, ohne Kopftuch. Deshalb habe ich meinen Hungerstreik beendet“, teilt die 51-jährige Menschenrechtsaktivistin am Donnerstag (09.11.23) ihrer Familie mit. Nach einer kurzen Untersuchung wurde sie wieder ins Gefängnis zurückgebracht.
Aus der Zelle in den OP-Raum
In der offiziellen Mitteilung der Gefängnisbehörde hieß es, Narges Mohammadi sei am Mittwoch im Krankenhaus untersucht und keine Probleme mit ihrer Lunge festgestellt worden. Das Ergebnis weiterer Untersuchungen liege noch nicht vor. "Sie ist herzkrank. Vor drei Jahren hatte sie eine schwere Herzoperation. Damals wurde sie nach einem Zusammenbruch aus dem Gefängnis in den Operationssaal gebracht. Zwei ihrer Herzgefäße sind verengt; das ist auch in ihrer Gesundheitsakte vermerkt", sagt ihr Mann Rahmani und betont: "Narges ist auf dauerhafte medizinische Versorgung angewiesen.“
Rahmani selbst lebt als Schriftsteller und politischer Journalist im Pariser Exil. Er hat kein Vertrauen in die iranischen Behörden. Auch er verbrachte 14 Jahre im Gefängnis im Iran , bevor er 2012 das Land verließ. Seine Frau hatte ihn damals nicht ins Exil begleiten wollen. Narges Mohammadi will ihren Kampf gegen Willkürjustiz, für Meinungsfreiheit und ein unabhängiges Justizwesen im Iran fortsetzen.
Doku aus der Haft: "White Torture"
Wegen ihres friedlichen Einsatzes für die Menschenrechte wurde Narges Mohammadi wiederholt verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Sie konnte allerdings nicht zum Schweigen gebracht werden. Sie hat begonnen, das Leid ihrer Mitgefangenen in dem Buch "White Torture" zu dokumentieren. Dieser Ausdruck bezeichnet eine psychologische Foltermethode, bei der Gefangene über längere, unbestimmte Zeit in einer komplett weißen Zelle isoliert werden.
Seit November 2021 sitzt Mohammadi wieder im Gefängnis. Während der landesweiten Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini verfasste sie einen Brief, der aus dem Gefängnis geschmuggelt und in sozialen Netzwerken veröffentlicht wurde. Darin schilderte sie die sexuellen und körperlichen Misshandlungen von inhaftierten Frauen.
Bekanntheit schützt bedingt
"Als Friedensnobelpreisträgerin ist Narges ist eine weltbekannte Persönlichkeit. Ich glaube, deshalb hat man ihr auch einen kurzen Krankenhausbesuch und die medizinische Untersuchung genehmigt“, sagt die 28-jährige Fotografin und Aktivistin Ghazall Abdollahi. Sie ist die Tochter von Alieh Motallebzadeh, einer Fotojournalistin und Frauenrechtsaktivistin, die bis vor kurzem gemeinsam mit Narges Mohammadi im Gefängnis saß.
Ghazall hat den Iran letztes Jahr verlassen, als die Proteste in vollem Gange waren. Sie nahm an einer Demonstration teil, bei der ihre Freunde verhaftet wurden. Sie konnte den Beamten entkommen und versteckte sich zunächst bei Bekannten. Da sie bereits ein Visum für Deutschland besaß, entschied sie sich, das Land zu verlassen. In Deutschland versucht sie, Frauen und politischen Gefangenen eine Stimme zu geben.
"Wir wissen, dass kranke politische Gefangene bewusst vernachlässigt werden. Sie erhalten ihre Medikamente spät oder werden nicht ins Krankenhaus eingeliefert. Im Fall von Narges sind die Machthaber nun vorsichtiger, weil sie die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit vermeiden wollen" sagt Ghazall und betont weiter: "Der Iran steht derzeit nicht im Fokus der Weltöffentlichkeit. Die Machthaber nutzen das momentan aus, um die Bevölkerungen weiter einzuschüchtern und zum Beispiel viele Todesurteile zu vollstrecken.“
Laut einem UN-Bericht hat der Iran in den ersten sieben Monaten dieses Jahres mindestens 419 Menschen hingerichtet. Das waren 30 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. UN-Generalsekretär António Guterres warf Teheran Anfang November Missachtung von rechtsstaatlichen Grundsätzen vor. Das sei alarmierend, so die UN.