Irans langer Arm im Irak
13. August 2014Einst wusste Iraks Premier Nuri al-Maliki die iranische Regierung hinter sich. Teheran hatte 2006 seine erste Wahl zum Ministerpräsidenten in Bagdad abgenickt. Auch im Kampf gegen sunnitische Extremisten konnte der Schiit Al-Maliki auf die Hilfe aus dem schiitischen Nachbarland zählen. Doch jetzt rückt die Führung dort vom Regierungschef ab, der eine nationale Aussöhnung verweigert und so die Konflikte im Irak anfeuert.
Am Dienstag (12.08.2014) verkündete der Nationale Sicherheitsrat im Iran den Kurswechsel. Das Land unterstützt demnach den parlamentarischen Prozess zur Ablösung Al-Malikis (l. im Artikelbild mit Irans Präsident Rohani). Damit rückt eine dritte Amtszeit, die Al-Maliki seit der Parlamentswahl im vergangenen April anstrebt, in weite Ferne. Stattdessen darf nun offenbar der Vize-Präsident des Parlaments in Bagdad, Haidar al-Abadi, auf den Segen aus Teheran hoffen. Al-Abadi hatte am Montag vom irakischen Präsidenten den Auftrag erhalten, eine neue Regierung zu bilden.
Seit dem Sturz des Diktators Saddam Hussein im Jahr 2003 mischt sich der Iran massiv in die Angelegenheiten seines Nachbarstaates ein. Der Einfluss reicht nach Einschätzung des Erfurter Professors und Irak-Experten Ferhad Seyder sogar noch weiter zurück. Während Saddam Husseins Herrschaft von 1979 bis 2003 wurde die schiitische Bevölkerungsmehrheit im Irak immer wieder unterdrückt. Viele von ihnen flohen in das Nachbarland Iran. "Dadurch sind enge Beziehungen entstanden", sagt Seyder im DW-Gespräch. Seitdem habe Teheran gute Kontakte zu fast allen schiitischen Parteien, Bewegungen, Organisationen und Milizen im Irak geknüpft. Auch die Patriotische Union Kurdistan als eine der beiden wichtigsten Kurden-Bewegungen im Nordirak sei mit dem Iran verbündet.
Politischer, militärischer und religiöser Einfluss
Teheran kann auf unterschiedlichen Ebenen Einfluss auf die Entwicklung im Irak nehmen. An erster Stelle steht die Politik. "Der Iran hat gute Beziehungen vor allem zur Daawa-Partei, der Al-Maliki angehört und der auch der kommende Ministerpräsident Al-Abadi angehört", erläutert Lina Khatib, Direktorin des Beiruter Nahost-Zentrums der Carnegie-Stiftung. Darüber hinaus unterstütze der Iran auf militärischer Ebene sowohl die irakische Armee als auch schiitische Militante. An dritter Stelle steht Khatib zufolge die enge religiöse Verbindung zwischen den Schiiten in den beiden Ländern am Persischen Golf. In den irakischen Städten Nadschaf und Kerbela finden sich die höchsten schiitischen Heiligtümer. Dorthin pilgern jedes Jahr Hunderttausende Iraker und Iraner.
Besonders in der irakischen Politik versucht Teheran, die Fäden zu ziehen. "Es wäre undenkbar, dass ein Ministerpräsident im Irak ohne den Segen des Iran ins Amt gewählt würde", meint Khatib. Das zeigt sich nun offenbar auch bei Al-Maliki. Umgekehrt heiße das jedoch nicht, dass Teheran alles kontrolliere, wie die Nahost-Expertin der Carnegie-Stiftung betont. So gebe es im Irak religiöse Führer wie den sehr einflussreichen schiitischen Ayatollah Ali Sistani, die sich keinem iranischen Geistlichen unterordneten. Sistani stelle sich offen gegen iranische Einmischung im Irak, auch auf der politischen Ebene.
Der Erfurter Professor Seyder hält die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad ebenfalls nicht für eine Marionette des Iran. "Man sieht die Grenzen des iranischen Einflusses", sagt Seyder mit Blick auf das seit April andauernde Ringen um einen neuen Ministerpräsidenten. Der Iran habe Al-Maliki schon damals nicht länger hinnehmen wollen. Obwohl der mächtige iranische General Kassim Soleimani seit Monaten im Irak Krisenmanagement betreibe, sei Al-Maliki nicht so einfach von der Macht zu verdrängen gewesen. "Wenn eine irakische politische Kraft sich querstellt, kann auch der Iran keine Wunder bewirken", kommentiert Seyder die Hartnäckigkeit von Al-Maliki.
Irak als Teil des schiitischen Halbmonds
Die Islamische Republik Iran ist knapp viermal so groß wie der Irak und hat etwa dreimal so viele Einwohner. Für Teheran ist der westliche Nachbar auch in strategischer Hinsicht bedeutsam. Er sei ein Bindeglied im sogenannten schiitischen Halbmond, erklärt Seyder. Dieses halbmondförmige Gebiet erstreckt sich von den Schiiten im Libanon über Syrien und den Irak bis in den Iran. "Das ist ein sehr teures Projekt. Man hat viel Mühe und Geld eingesetzt, um den Einfluss Irans hier zu erhalten", sagt der Irak-Experte.
Die politischen, strategischen und religiösen Interessen Irans im Irak sind nun durch den Vormarsch der sunnitischen Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS, vormals ISIS) gefährdet. Um den Ansturm der Extremisten zu stoppen, rücken die Iraner ausgerechnet mit ihrem Erzfeind USA zusammen. Beide haben mit dem IS, der weite Teile im Norden und Westen des Irak kontrolliert und schiitische Heiligtümer bedroht, einen gemeinsamen Gegner. Khatib zufolge kämpfen Eliteeinheiten der Republikanischen Garden des Iran bereits gegen die sunnitischen Milizen. Nun hat auch die US-Armee Luftangriffe auf den "Islamischen Staat" geflogen. Sowohl der Iran als auch die USA unterstützen die Zentralregierung in Bagdad wie auch die Kurden im Kampf gegen die Extremisten. Das bietet nach Ansicht von Khatib die Möglichkeit, dass der Iran über das Engagement im Irak wieder in einen Dialog mit den USA kommt.