Iran: Fußball, Frauen, Menschenrechte
5. April 2022Es war das letzte Qualifikationsspiel der iranischen Fußballnationalmannschaft für die WM, ausgetragen vergangene Woche im neuesten und modernsten Stadion des Landes in Maschhad. Rund 3000 Frauen hatten laut iranischen Medien Online-Tickets für das Spiel gekauft. Dennoch standen sie, viele in den traditionellen schwarzen Tschador gekleidet, vor verschlossenen Toren. Zur Begründung war von angeblich "fehlenden Infrastrukturen" die Rede.
Der iranische Fußballverband FFIRI präzisierte nach dem Spiel: "Es war nicht möglich, günstige Bedingungen für Frauen beim Betreten des Stadions zu schaffen, einen sicheren Zugang sowie geeignete Einlasstore, erforderliche Einrichtungen und eine gesonderte Zone auf der Tribüne bereitzustellen."
Zu dieser Begründung sagt die 36-jährige Frauenaktivistin Mahdieh Golroo im Gespräch mit der DW: "Unsinn!" Sie verweist darauf, dass das Imam Resa-Stadion in Maschhad 2017 eröffnet wurde und dass dort seitdem regelmäßig religiöse- und Wahlveranstaltungen in Anwesenheit von Frauen stattfinden, wie auf dem Twitter-Foto zu sehen.
Angeblich ohne gültige Tickets
Die Anzahl der Frauen, die in der religiös geprägten Stadt Maschhad ins Stadion gehen wollten, scheint die Behörden überfordert zu haben. Einen Tag nach dem Spiel präsentierte der Fußballverband eine neue Version: Die Frauen hätten kein gültiges Ticket gehabt. "Nur neun Frauen haben von uns Tickets gekauft", wurde behauptet. Der Verband befürchtet nun den Ausschluss von der WM in Katar wegen der Diskriminierung von Frauen. Die FIFA und die Asian Football Confederation (AFC) wollen wissen, wie sich die Sache mit den ausgesperrten weiblichen Fans nun tatsächlich abgespielt hat.
"Wir haben unsere Tickets auf der offiziellen Webseite des iranischen Fußballverbands gekauft. Niemand hat unsere Tickets vor Ort kontrolliert", schreiben Frauen und Journalistinnen in sozialen Netzwerken. Sie standen bis zum Spielende vor den verschlossenen Toren. Um sie zu vertreiben habe die Polizei Pfefferspray eingesetzt.
"Die Polizei hat ihre Pflicht erfüllt und für die Ordnung gesorgt", erklärt dagegen das Innenministerium. Dass die Frauen mit Pfefferspray attackiert wurden, konnte das Ministerium nicht mehr leugnen, nachdem entsprechende Videos und Bilder in sozialen Netzwerken auftauchten.
Frauenpower als Albtraum
Es ist kein Geheimnis, dass in der religiös geprägten Pilgerstadt Maschhad der einflussreiche Hardliner Ahmad Alam al-Hoda das letzte Wort hat. Der Freitagsprediger ist der Schwiegervater von Präsident Ebrahim Raisi. Er und andere Hardliner wollen das Stadionverbot für Frauen, das nach der Islamischen Revolution 1979 verhängt wurde, aufrechterhalten. Ihre Begründung: Frauen müssten vor dem Anblick halbnackter Männer und einem vulgären Umfeld im Stadion bewahrt werden.
"Ein großer Teil der Macht des politischen Systems hat seine Wurzel in traditionellen iranischen religiösen Überzeugungen, die von konservativen Klerikern verteidigt werden", erklärt der Soziologe Amin Bozorgian im Gespräch mit der DW. Der im Pariser Exil lebende Bozorgian geht davon aus, dass diese konservativen Kleriker immer wieder zurückschlagen werden, wenn Frauen im Iran ihre Rechte einfordern. Was die Frauen im Einzelfall wollen, spiele keine Rolle für diese Gruppe.
"Sie wissen, dass wir für unsere Selbstbestimmung kämpfen", sagt Mahdieh Golroo. Die Frauenaktivistin hat wegen Repressalien im Sommer 2019 den Iran verlassen und lebt nun in Schweden. Sie begleitet die Kampagne gegen das Stadionverbot für Frauen im Iran seit 16 Jahren. "Am Anfang waren wir vielleicht insgesamt 20 Frauenaktivistinnen und Sportjournalistinnen, die sich in Teheran vor dem Stadion versammelten und protestierten. Man nahm uns nicht ernst, nicht einmal die reformorientierten Medien. Viele bezeichneten unsere Kampagne als 'banalen Wunsch' von Frauen aus der Mittelschicht, die keine anderen Sorgen haben. Diese ursprünglich kleine Kampagne fand viel Zuspruch in sozialen Netzwerken und wurde mit der Zeit immer größer."
Potential für Veränderung durch weibliche Fans
Druck aus dem Ausland hat auch geholfen: Spätestens nach dem tragischen Tod von Sahar Khodayari 2019 konnte die FIFA nicht länger schweigen. Die 19-jährige Khodayari liebte Fußball. Sie hatte sich als Mann verkleidet ins Stadion geschlichen und wurde erkannt. Aus Angst wegen illegalen Eintritts ins Stadion für ein halbes Jahr eingesperrt zu werden, zündete sie sich selbst an und erlag ihren schweren Verbrennungen.
Das Schicksal der Fußball-Anhängerin bewegte viele Menschen weltweit. Daraufhin forderte die FIFA den Iran auf, das Stadionverbot für Frauen aufzuheben, ansonsten sei die Teilnahme des Landes an der WM 2022 in Katar gefährdet. Daraufhin erlaubte der Iran einer begrenzten Anzahl von Frauen, die Länderspiele im Stadion anzuschauen.
"Für jedes Spiel - insgesamt waren es drei Spiele - haben die Behörden eine kleine Gruppe von Frauen, bekleidet mit langem schwarzen Tschador, eingeladen, um ins Stadion zu gehen. Die Anwesenheit dieser kleinen Gruppe von Frauen haben sie der Welt als Abschaffung des Stadionverbots für Frauen verkauft", berichtet die Frauenaktivistin Golroo. "Viele der Frauen, die vergangene Woche vor geschlossen Toren standen und mit Pfefferspray attackiert wurden, trugen den Tschador und waren erkennbar religiös. Sie waren aber nicht bestellt, sondern echte Fußballfans. Und ich bin mir sicher, sie werden andere Forderungen von Frauen unterstützen. Hier gibt es viel Potential für Veränderung und das kann schnell größere Wirkung entfalten."