Iran: Drehscheibe für die Flucht aus Afghanistan
1. September 2021"Mehrere Hundert Flüchtlinge aus Afghanistan haben sich am Wochenende vor der deutschen Botschaft in Teheran versammelt", berichtet die Journalistin Jila Baniyaghoob aus Teheran im Gespräch mit der DW. Sie arbeitet seit langem als Afghanistan-Korrespondentin für iranische Medien und hat zwei Bücher über das Nachbarland geschrieben: "Kommandeur Massud in Pandschir" und "Bedauern für afghanische Blumen", eine Sammlung von Reportagen über das Alltagsleben von Frauen in verschiedenen Teilen Afghanistans.
Die Afghanistan-Kennerin bedauert es, dass der deutsche Außenminister auf seiner Reise in der Region einen Bogen um den Iran gemacht hat. Heiko Maas hat in Doha seine Fünf-Länder-Reise abgeschlossen. Nach dem Ende der militärischen Luftbrücke aus Kabul wollte er Unterstützung bei der Evakuierung von Schutzbedürftigen in den Nachbarländern Afghanistans suchen. Fünf Länder standen auf seiner Reiseroute: Die Türkei, Usbekistan, Tadschikistan, Pakistan und Katar. Der Iran mit seiner fast 1000 Kilometer langen Grenze zu Afghanistan war nicht dabei.
"Berlin ist Irans Rolle bewusst"
Allerdings sei der Afghanistan-Beauftragte der Bundesregierung am Wochenende nach Teheran geflogen, teilte das Auswärtige Amt der DW mit. "Wir sind uns natürlich dessen bewusst, dass der Iran dort ebenfalls eine wichtige Rolle spielt und schon seit vielen Jahren von den humanitären Folgen der Instabilität in Afghanistan betroffen ist", erklärt Außenamt-Sprecher Christofer Burger. "Die Reiseroute von Minister Maas hat sich aber vor allem aus den operativen Notwendigkeiten ergeben." Der deutsche Außenminister habe mit den betroffenen Nachbarländern unter anderem darüber gesprochen, wie die internationale Gemeinschaft insgesamt mit der neuen Situation in Afghanistan politisch umgehen solle, so Burger weiter.
Dabei gilt der Iran als wichtigstes Transit Land für Flüchtlinge aus Afghanistan auf dem Weg nach Europa. Die afghanisch-iranische Grenze verläuft zum Teil über hohe Berge und ist aufgrund geografischer Gegebenheiten nur schwer zu kontrollieren. Es gibt zahlreiche Routen für illegale Grenzübergänge.
Im Iran gestrandet und auf der Durchreise
Seit 40 Jahren fliehen die Afghanen vor Bürgerkrieg, Armut und nun den Taliban in den Iran. Laut Schätzungen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, UNHCR, leben ungefähr drei Millionen Afghanen im Iran.
Knapp eine Million davon sind als Flüchtlinge registriert. Rund 500.000 sind Einwanderer mit kurzfristiger Aufenthalts- und eingeschränkter Arbeitserlaubnis. Die übrigen anderthalb Millionen Flüchtlinge besitzen keinerlei Papiere. Viele von ihnen arbeiten als billige Arbeitskräfte auf Baustellen oder in Firmen am Rande der Großstädte. Wegen ihres rechtlosen Status werden sie oft rücksichtslos ausgebeutet.
Wem es gelingt, das nötige Geld zusammenzusparen, kontaktiert afghanische, iranische oder türkische Schlepper und macht sich mit deren Hilfe auf den Weg nach Europa. Mit der Türkei teilt der Iran eine 560 Kilometer Grenze. Um die Flüchtlinge aufzuhalten, baut die Türkei derzeit eine drei Meter hohe und 150 Kilometer lange Betonmauer entlang der iranischen Grenze.
Aufnahmebereitschaft erschöpft
Seit dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan arbeitet die Türkei mit Hochdruck an diesem Projekt. Seinerseits eine Mauer an der Grenze zu Afghanistan zu errichten kommt für den Iran nicht in Frage. Nicht nur wegen der Kosten: Zwischen den Volksgruppen der Tadschiken und Hasara im Norden Afghanistans und dem Iran gibt es enge kulturelle und sprachliche Verbindungen. Zwischen beiden Ländern gibt es offiziell drei Grenzübergänge, die nun auf afghanische Seite unter Kontrolle der Taliban stehen. Sie lassen keine Flüchtlinge mehr durch.
"Wir haben keine Auffangzonen für Flüchtlinge auf unsere Seite", dementierte die iranische Regierung am 18. August frühere Berichte über die Errichtung eben solcher Zonen. Gerichtet an die Afghanen sagt der Sprecher des Innenministeriums, Mehdi Mahoudi: "Die Lage in Afghanistan ist stabil und die Flüchtlinge werden zurückgeschickt."
Jetzt würden viele Afghanen den Umweg über Pakistan nehmen, um in den Iran und von dort weiter in Richtung Europa zu gelangen, sagt Baniyaghoob im Gespräch mit der DW. Auch mit Pakistan hat der Iran eine 950 Kilometer lange Grenze. Man müsse diesen Flüchtlingen helfen und ihnen eine Perspektive bieten, fordert die Journalistin. "Die Menschen brauchen dringend humanitäre Hilfe von der internationalen Gemeinschaft."
Außenminister Maas bot Pakistan Hilfe an. Insgesamt wolle Deutschland 500 Millionen Euro humanitäre Hilfe für Afghanistan und die Nachbarstaaten bereitstellen, auch für die Versorgung von Flüchtlingen. Derzeit halten sich etwa 1,4 Millionen registrierte afghanische Flüchtlinge aus früheren Jahren in Pakistan auf. Hinzu kommen schätzungsweise 600.000 weitere, die nicht registriert sind. Pakistan will keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen. "Es ist keine Frage des Geldes, (...) es ist eine Frage der Kapazitäten", sagte Außenminister Qureshi beim Besuch von Maas.