Invictus Games: Nigeria gegen das Trauma
14. September 2023In ihrem grünen Mannschaftsdress bahnen sich Peacemaker Azuegbulam und einige seiner Teamkameraden aus Nigeria einen Weg durch das Gewühl bei den Invictus Games. Eine Mischung aus schnatternden Schulklassen, Bundeswehrsoldaten und gelb gekleideten Volunteers bevölkert das Gelände zwischen Leichtathletikstadion und der großen Arena in Düsseldorf. Die Stimmung ist locker. Immer wieder bleiben die Afrikaner stehen: Für ein Selfie oder ein kurzes Gespräch mit Teilnehmern anderer Nationen. "Es ist aufregend hier zu sein. Eine schöne Erfahrung", erzählt Azuegbulam der DW. Tags zuvor hatte der 27-Jährige im Gewichtheben die erste Goldmedaille für sein Land gewonnen.
Nigeria nimmt, wie Israel und Kolumbien, zum ersten Mal an der paralympischen Sportveranstaltung für Kriegsversehrte teil, bei der insgesamt 21 Länder vertreten sind. 2014 hatte Prinz Harry, der Herzog von Sussex, die Spiele aus der Taufe gehoben. "Wir freuen uns sehr, dass diese neuen Nationen dabei sind", sagte er bei der Eröffnungsfeier und meinte augenzwinkernd, besonders auf Nigeria zu achten, weil seine Frau Meghan nigerianische Wurzeln habe.
Verletzung, Trauma und Selbstzweifel
Azuegbulam wirkt dagegen zurückhaltend und nachdenklich. "Es ist nicht leicht", beschreibt er seine Lage und erzählt von seiner Verwundung: 2020 wird er als Soldat bei Kämpfen im Norden Nigerias von schwerer Luftabwehr-Munition getroffen. Sein linkes Bein ist zerschmettert, es bleibt nur die Amputation oberhalb des Knies. "Danach habe ich mich gefragt, wofür ich überhaupt noch am Leben bin. Einige Freunde haben sich von mir abgewandt. Es war sehr schwer, damit klar zu kommen."
Ähnliches berichtet sein Teamkollege Harrison Amuzie, der in Düsseldorf im Kugelstoßen, Tischtennis, Sitzvolleyball und Bogenschiessen antritt: "Meine Verletzung war für mich der absolute Tiefpunkt. Ich habe mich völlig nutzlos gefühlt," berichtet er der DW. Amuzie war 2019 bei einem Angriff auf seine Einheit schwer an Schulter und Oberschenkel verletzt worden und bewegt sich seither mit einem Gehstock. "Die Scham, sich die ganze Zeit auf Krücken fortbewegen zu müssen, und Dinge, die man früher konnte nicht mehr machen zu können, waren traumatisch."
Sport, so sagen beide, helfe ihnen, wieder den Weg zurück ins Leben zu finden - körperlich wie psychisch. "Ich habe ein Trauma. Viele Gedanken beschäftigen mich. Machmal fühle ich mich schwach", betont Azuegbulam. Die Teilnahme an den Invictus Games mache ihm Mut.
Zuviel Aufwand für hehres Ziel?
Kritiker stoßen sich an dem enormen Aufwand, der für die Spiele und die vergleichsweise geringe Zahl von 500 Teilnehmern betrieben wird. Rund 40 Millionen Euro stellt allein das deutsche Verteidigungsministerium bereit. Weiteres Geld stammt von großen Rüstungskonzernen wie Lockheed-Martin oder Boeing, die als Sponsoren auftreten.
"Indem die Invictus Games die Folgen verharmlosen, verharmlosen sie auch die Kriege selbst. Stattdessen wäre es wünschenswert, grundsätzlich mehr Geld in Behindertensport und Rehabilitationsprogramme für Menschen mit Traumata zu investieren", kritisiert Didem Aydurmuş aus dem Vorstand der Partei DIE LINKE. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hält mit Blick auf die deutschen Teilnehmer dagegen: "Das, was die Männer und Frauen getan haben für uns, ist nicht umsonst und muss auch entsprechend gewertschätzt werden", sagte er.
Austausch unter Schicksalsgenossen
Solche Debatten liegen für Harrison Amuzie in weiter Ferne. Unter den wummernden Bässen im Leichtathletikstadion legt er den Stock beiseite und nimmt sich eine 7,25 Kilo schwere Eisenkugel für einen Probeversuch. Für ihn steht gleich das Finale im Kugelstoßen an. 22 Teilnehmer sind dabei, unter anderem aus Polen, Georgien, den USA und der Ukraine. Der Wettkampf sei für ihn jedoch nur ein Aspekt in Düsseldorf, meint Amuzie nebenbei. Der größte Pluspunkt sei etwas anderes: "Die Invictus Games sind ein Ort an dem wir zusammenkommen können und uns austauschen. Alle hier haben Opfer gebracht für ihr Land. Wir teilen die Höhen und Tiefen." Man habe sich vernetzt und wolle in Kontakt bleiben, erzählt er.
Goldmedaillengewinner Azuegbulam sammelt derweil Eindrücke in Düsseldorf und teilt sie über seinen Instagram-Account. "Ich freue mich über meine Medaille", sagt er, "aber genauso möchte ich vielleicht andere Soldaten inspirieren, die ebenfalls verletzt wurden. Wir alle haben noch Spiele zu spielen und Wettkämpfe zu bestreiten."