Interview zur aktuellen Konfliktentwicklung in Georgien mit Russlandexperte Jörg Himmelreich
11. August 2008DW-WORLD-DE: Herr Himmelreich, warum ist dieses Gebiet so wichtig?
Jörg Himmelreich: Es spielen dort lokale Konflikte in globalere geopolitschere Dimensionen hinein. Die lokalen Konflikte bestehen darin, dass sich ein unabhängiges Regime unter dem de facto Präsidenten Kokoity etabliert hat, dass von keinem Land, auch von Russland nicht anerkannt wird, aber in soweit in die Interessen Russlands hineinspielt, als es die Stabilität Georgiens, zu dem Südossetien ja territorial gehört, unterminiert. In sofern sind die lokalen Konflikte willkommen für russische Kräfte, man weiß auch nicht so genau, welche das eigentlich sind – ob es das Militär sind, oder die Geheimdienste oder ob es mehr vom Kreml selbst gesteuert ist – dazu geeignet sind die Sicherheit Georgiens auch zu gefährden.
Welche Ziele verfolgt denn der russische Präsident, wenn er so massiv in die Konflikte zwischen Georgien und Südossetien eingreift?
Der georgische Präsident Micheil Saakaschwili ist dezidiert Befürworter einer Integration Georgiens in die Nato. Er hat ja deswegen auch bei dem Nato-Gipfel in Bukarest dafür geworben, eine Mitgliedschaftsperspektive in der Nato zu erhalten, die ihm noch nicht gewährt worden ist. Die ist verschoben, worden. Er ist dezidiert entschlossen, auch Mitglied der europäischen Union zu werden.
Die europäische Union, insbesondere die deutsche Bundesregierung sind da etwas zur zurückhaltender, vor allem wegen der bestehenden Defizite in der Demokratieentwicklung in Georgien, die man sich erhofft hatte. Saakaschwili ist ja seit der Rosenrevolution an der Macht, aber die Schritte in der Demokratieentwicklung sind nicht ganz so eingetroffen, wie man sich das erwünscht hat. All dies passt natürlich nicht in das Konzept des Kremls, ob das nun der Präsident Medwedew ist, von dem ich immer so den Eindruck habe, dass er noch gar nicht ganz in der Machtposition ist, die Politik in diesem Zusammenhang zu steuern. Vielmehr scheint mir die ganze Überreaktion Russlands in diesem Fall eher die Handschrift Putins zu tragen, der das ja immer unterstrichen hat, durch seinen persönlichen Besuch in der Konfliktregion.
Gegen die russische Armee ist Georgien militärisch machtlos. Können Sie sich erklären, warum der georgische Präsident trotzdem seine Truppen in den Kampf geschickt hat?
Das ist so eine Politik von russischer Seite der gesteuerten eskalierenden Nadelstiche: Ein russisches Flugzeug fliegt über georgisches Territorium, dann werden einzelne georgische Soldaten in Südossetien, die da als Friedenstruppen stationiert sind, beschossen, georgische Dörfer in Südossetien werden beschossen. Und der georgische Präsident steht natürlich in der eigenen Bevölkerung unter großem Erfolgsdruck, die das immer als große Beleidigung ihrer eigenen nationalen Identität verstehen, das entsprechend zu beantworten. Er hat ja verschiedene Versuche gemacht, sowohl in Straßburg als auch in Zchinwali den Südosseten Kompromissvorschläge zu machen, wie auch den Abchasen in der anderen Konfliktregion große Autonomiezugeständnisse zu machen. Aber aufgrund der Geschichte, nämlich der Unabhängigkeitskriege 1992 in dieser Region, sind die Südosseten sehr misstrauisch, was die Friedensangebote angeht.
Was bedeutet der Krieg für Georgiens Weg nach Westen?
Er bedroht ihn. Die Nato hat ja auf ihrem Gipfel zur Voraussetzung gemacht, dass diese Konflikte gelöst werden oder ein Lösungsprozess auf dem Weg ist. Das scheint derzeit schwerer denn je zu sein.
Jörg Himmelreich ist Russland-Experte des German Marshall Funds