Internationales Vorgehen gegen Boko Haram
17. Mai 2014Nigerias Präsident Goodluck Jonathan ist sich inzwischen im Klaren: Sein Land braucht Hilfe im Kampf gegen den Terror. Mit zunehmender Aggressivität bedroht die islamistische Gruppe Boko Haram den Nordosten des Landes. Und viele vermuten ihre Kämpfer inzwischen auch im Niger und in Kamerun. Die Nachbarländer würden zu wenig zur Lösung der Krise beitragen, hatte Jonathan jüngst bemängelt. Und fand Gehör beim französischen Präsidenten François Hollande, der die Staatschefs von Niger, Tschad, Kamerun und Benin für Samstag (17.05.2014) nach Paris zu einem Sicherheitsgipfel lud. Die Teilnehmer des Gipfels verständigten sich auf einen "globalen, regionalen, mittel- und langfristigen" Aktionsplan gegen den Terror. Man werde den Informationsaustausch der Geheimdienste verstärken, die Aktionen afrikanischer Militärs koordinieren und die Grenzen in Afrika kontrollieren, teilte Hollande mit. Sein Ziel: Nigerias Nachbarn zur Zusammenarbeit mit Jonathans Regierung zu bewegen und "zu sehen, welche Unterstützung die USA, Großbritannien und Frankreich leisten können."
Eine regionale Strategie zur Bekämpfung von Boko Haram - für den kamerunischen Studenten Silas Mao ist das der entscheidende Schritt, der zur Lösung des Problems bisher fehlt. "Wenn Kamerun und Nigeria es nur wollen, können sie Boko Haram stoppen", sagt er der DW, "die Miliz ist nicht mächtiger als diese beiden Staaten." Kamerun ist nach Nigeria am stärksten von der Krise betroffen. Noch vergangene Woche griffen mutmaßliche Boko-Haram-Kämpfer eine Polizeieinheit im kamerunischen Grenzort Kousseri an. Polizeiangaben zufolge befreiten sie einen gefangenen Mitstreiter, zwei Menschen kamen ums Leben.
Frankophone Verstimmungen
Unausgesprochen werde es bei dem Treffen am Wochenende wohl in erster Linie um die Zusammenarbeit von Nigeria und Kamerun gehen, schätzt Denis Tull von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Kamerun. "Umstritten ist insbesondere der Wunsch Nigerias, Boko Haram in akuten Fällen über die Grenze hinaus auf kamerunisches Territorium zu verfolgen", sagt Tull der DW. Das habe Kamerun bisher strikt abgelehnt. Zwar sprach sich Kameruns Informationsminister auch gegenüber der DW für eine stärkere Zusammenarbeit mit dem Nachbarland aus, solange die Grenzen respektiert würden. Doch Tull geht davon aus, dass es auch in weniger heiklen Fragen wie dem Informationsaustausch bisher keine Kooperation gebe.
Kamerun sehe Boko Haram noch immer eher als nigerianisches Problem, sagt Tull. Wie auch der Tschad leide das Land zudem unter einer Doppelbelastung: Nicht nur von Nigeria her, auch aus der Zentralafrikanischen Republik nehme es Flüchtlinge auf und habe zugleich ein Überschwappen des dortigen Konflikts zu fürchten. Das Verhältnis der beiden Staaten ist historisch belastet vom jahrzehntelangen Streit über die Zugehörigkeit der Halbinsel Bokassa im Golf von Guinea. Der Internationale Gerichtshof entschied 2002, das Gebiet gehöre zu Kamerun.
Doch auch mit den anderen Nachbarländern hat Nigeria seine Probleme. Tull führt dies darauf zurück, dass Nigeria als ehemalige britische Kolonie ein anglophones Land ist, umgeben von frankophonen Staaten. "Diese Rivalität zwischen dem frankophonen Westafrika und dem westafrikanischen Giganten Nigeria gibt es immer wieder", sagt Tull.
Ähnlich beobachtet es auch Ralf Wittek, Niger-Experte der Hanns-Seidel-Stiftung mit Sitz in Burkina Faso. Die umliegenden Länder sind in zwei großen Währungsunionen vereint: Niger und Benin gehören zur westafrikanischen, Tschad und Kamerun zur zentralafrikanischen Währungsunion. Beide benutzen einen sogenannten CFA-Franc, ihre Währungen sind aneinander gekoppelt. "Der Niger und auch die anderen angrenzenden Staaten leiden sehr darunter, dass es keinen formell abgesicherten Zugang zum nigerianischen Markt gibt", sagt Wittek im Gespräch mit der DW. Die Region möchte vom Reichtum Nigerias profitieren, das vor Kurzem mit der Ausrichtung des Weltwirtschaftsforums seinen Aufstieg zur größten Wirtschaftsmacht Afrikas feierte. Ein Großteil des Reichtums zieht es aus der Ölförderung.
Kann es der Westen richten?
Das ist viel Konfliktstoff, der eine gemeinsame Linie im Kampf gegen Boko Haram erschwert. Dass Goodluck Jonathan seine Amtskollegen nun in Frankreich und nicht in der Konfliktregion selbst treffen wird, ist ein starkes Zeichen. "Wir wissen, dass Frankreich einen großen Einfluss auf die Schlüsselstaaten Niger, Tschad und Kamerun hat", sagt Jibrin Ibrahim, Politikwissenschaftler am Zentrum für Demokratie und Entwicklung in Nigerias Hauptstadt Abuja. Die Hoffnung sei, dass Paris zwischen den Ländern vermitteln könne. Außerdem hätten Frankreichs Geheimdienste einen guten Einblick in die Region.
Neben den fünf west- und zentralafrikanischen Staaten und Gastgeber François Hollande stehen am Samstag auch Vertreter der USA, Großbritanniens und der Europäischen Union auf der Teilnehmerliste. Auch an diese richten sich hohe Erwartungen. Die USA, Frankreich und Großbritannien beteiligen sich bereits an der Suchaktion nach mehr als 200 Schülerinnen, die Boko Haram im April aus dem nigerianischen Ort Chibok nahe der kamerunischen Grenze entführte. Auch die EU hat Nigeria Hilfe in der Terrorbekämpfung angeboten. Der nigerianische Senator Ahmed Zanna bezeichnete die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft im DW-Interview als "absolut unerlässlich". Das nigerianische Militär sei für die Befreiung der Mädchen schlicht zu schlecht ausgestattet.
"Schmeichelhafte Aufmerksamkeit"
Bei manchen konservativen muslimischen Gruppen stößt die internationale Hilfe hingegen auf Empörung. Buhari Bello, ein Vertreter der wahabistischen Strömung des Islam in Nigeria, die Saudi-Arabien nahesteht, bezichtigte Jonathans Regierung am Sonntag (11.05.2014) in einem ganzseitigen Interview in der nigerianischen Tageszeitung "New Telegraph" der Unfähigkeit, weil sie diese Hilfe in Anspruch nehme. Er verstehe nicht, warum die Supermacht Nigeria Frankreich und die USA um Unterstützung bitte, und fragte: "Ist dies Kolonialisierung?"
Die Gefahr, dass diese Supermacht die Fäden aus der Hand gebe, sieht Denis Tull nicht. Doch er warnt vor falschen Illusionen: Die Internationalisierung des Konflikts sei für Boko Haram geradezu "schmeichelhaft", so Tull im DW-Gespräch. "Durch die internationale Aufmerksamkeit hat sich Boko Haram die politische Anerkennung in Nigeria erkauft", sagt Tull. Die Regierung sehe sich nun gezwungen, auch über Verhandlungen mit den Terroristen nachzudenken.