Instrument des Jahres 2025: die menschliche Stimme
23. Dezember 2024Die Stimme ist per se ein demokratisches Instrument. Fast jeder ohne gesundheitliche Einschränkungen kann seine Stimme nutzen, und im Gegensatz zu anderen Instrumenten kostet sie kein Geld. "Mit der Stimme kann man besonders kreativ sein", sagt Christine Siegert, Präsidentin der Landesmusikräte in Deutschland.
Die Musikräte wählen jedes Jahr ein Instrument des Jahres, 2025 ist es die menschliche Stimme. Vom Singen, Sprechen bis hin zum Flüstern oder Schreien ist mit der Stimme vieles möglich. "All diese Klänge können auch musikalisch verwendet werden, auch mit lauten Rufen oder Schreien kann man kreativ sein", meint Siegert im Gespräch mit der DW.
Außerdem verbindet die Stimme Menschen auf der ganzen Welt und kann gerade im Gesang kulturelle, sprachliche und geografische Grenzen überwinden. Kurzum: Sie ist für die Organisatoren eine Basis für Kommunikation und Völkerverständigung.
Singen aus Protest
"Mit dem Instrument des Jahres verbindet man auch politische Botschaften", sagt Christine Siegert. "Wir kennen Arbeiterlieder, Revolutionslieder wie die Marseillaise und wir wissen auch, wie wichtig der Gesang bei der Reformation für Martin Luther war. Mit der Stimme kann man viel bewirken. "In Afghanistan verbietet das neue "Tugendgesetz" der Taliban den Frauen, in der Öffentlichkeit zu singen oder laut zu sprechen. Unabhängig vom Inhalt dessen, was gesungen oder gesagt wird. Die weibliche Stimme sei "verführerisch", heißt es. Auch wenn im Haus gesungen wird und der Klang nach draußen dringt, drohen Strafen. Aber die Frauen erheben ihre Stimme trotzdem. Derzeit gehen Protestvideos von afghanischen Frauen viral, die ihre Gesänge zu Hause aufnehmen und ins Netz stellen.
Die Stimme als politisches Instrument
In Deutschland bekommt die Stimme dieses Jahr auf andere Weise eine politische Bedeutung. Als sich die Landesmusikräte vor drei Jahren für die Stimme als Instrument des Jahres 2025 entschieden, konnten sie die derzeitige politische Lage nicht ahnen. "Damals haben wir weniger an die besonderen Herausforderungen gedacht, denen die Demokratien gerade ausgesetzt sind", sagt Hartmut Schröder, Generalssekretär des Landesmusikrats Schleswig-Holstein.
Die Stimme sei jetzt besonders gefragt, erläutert er gegenüber der DW: "Hier in Deutschland haben wir die anstehende Bundestagswahl, da ist die Stimme im parlamentarischen Prozess wichtig." So geben die Wähler nach der gescheiterten Regierungskoalition bei den vorgezogenen Bundestagswahlen im Februar "ihre Stimme ab" und können auf diese Weise im übertragenen Sinne die politische Richtung im Land mitbestimmen.
Das Instrument des Jahres
Seit 2008 wählen die Landesmusikräte der Bundesländer in Deutschland gemeinsam ein Instrument des Jahres. "Damals haben wir mit dem populären Instrument Klarinette begonnen", erzählt Hartmut Schröder. Er war im Gründungsjahr federführend dabei. "Wir wollten mediale Aufmerksamkeit für Musik erreichen über Instrumente, die nicht nur dem Genre Klassik zugeordnet sind."
Auch heute noch ist es den Organisatoren wichtig, Menschen genreübergreifend zusammenzubringen. Menschen, die das gleiche Instrument spielen, aber wohl kaum miteinander musiziert hätten, wie es beispielsweise die Starklarinettistin Sabine Meyer und ein Musikzug der Freiwilligen Feuerwehr getan haben.
Manche Instrumente sollen auch aus dem Verborgenen geholt werden und in einem anderen Licht erscheinen. "Beim Fagott wollten wir das Instrument erst einmal sichtbar machen. Und die Mandoline haben wir in einen internationalen Kontext gesetzt", sagt Schröder. Der internationale Kontext spielte auch bei der Tuba eine Rolle. Das Instrument des Jahres 2024 sollte aber auch aus seinem Nischendasein als Begleitinstrument herausgeholt werden.
Warum die Stimme so besonders ist
Die Stimme ist wahrscheinlich die ursprünglichste aller musikalischen Ausdrucksformen. Forscher gehen davon aus, dass schon vor mehr als 150.000 Jahren gesungen wurde. Das älteste Instrument, das gefunden wurde, ist eine Flöte.
"Über archäologische Funde weiß man, dass es Flöten sowie Trommeln schon in der Steinzeit gab", sagt die Präsidentin der Landesmusikräte, Christine Siegert. Die Stimme dürfte noch älter sein: Wahrscheinlich haben Mütter zu allen Zeiten ihre Kinder in den Schlaf gesummt, lange bevor sie die ersten Worte verstanden.
Die Stimme kann Vertrauen erzeugen. Über sie können wir Gedanken, Gefühle und Ideen austauschen und so eine tiefe Verbindung zueinander aufzubauen.
Botschafter der Stimme
Das ganze Jahr 2025 über wird es Festivals und Konzerte geben, um die Stimme als Instrument des Jahres zu feiern. In Schulen, Inklusions- und Bildungseinrichtungen sowie in sozialen Einrichtungen und in der Familie soll mehr gesungen werden. Denn singen macht nicht nur Freude, sondern hält auch körperlich und seelisch gesund.
Manche Bundesländer ernennen für das Instrumentenjahr Botschafter, durch die das Instrument besonders in die Öffentlichkeit getragen wird. In Schleswig-Holstein ist es 2025 das NDR-Vokalensemble. Der a capella-Chor des Norddeutschen Rundfunks veranstaltet regelmäßige "Singing"-Programme und gemeinsame Konzerte mit Laien.
Gemeinsam singen macht stark
Hartmut Schröder vom Musikrat Schleswig-Holstein würde 2025 auch gerne Politiker zum Gesang animieren. "Wir werden versuchen, im Landtag von Schleswig-Holstein die Abgeordneten dazu zu bewegen, ihre Stimme in einem anderen Kontext, nämlich einem musikalischen Kontext zu erheben."
Damit lägen die Abgeordneten voll im Trend, denn gemeinsames Singen ist in Deutschland gerade sehr gefragt.