Institut des Nationalen Gedenkens als Anlaufstelle für Opfer
23. Dezember 2003Bonn, 23.12.2003, DW-RADIO/Polnisch, Rozalia Romaniec
In Polen hat das Institut des Nationalen Gedenkens 2001 seine Arbeit aufgenommen, um Verbrechen gegen das polnische Volk in der Zeit von 1939 bis 1989 zu verfolgen. Hier befinden sich auch die Unterlagen der einstigen kommunistischen Staatssicherheit. Opfer und Wissenschaftler können Einsicht in das umfangreiche Material beantragen. Es ist bemerkenswert, dass die Betroffenen relativ wenig Interesse zeigen. Informationen von Rozalia Romaniec:
Eine Behörde, die nach dem Vorbild der deutschen Gauck-Behörde arbeitet, gibt es in Polen erst seit wenigen Jahren. 1998 verabschiedete der polnische Sejm (das Parlament) ein Gesetz, welches zur Schaffung einer entsprechenden Stelle führte. 2001 konnte das Institut des Nationalen Gedenkens seine Arbeit aufnehmen. Das Ziel des Instituts ist die Verfolgung von Verbrechen gegen das polnische Volk in der Zeit von 1939 bis 1989. Nicht alle Unterlagen der Staatssicherheit sind jedoch bis zum heutigen Tag erhalten geblieben. Historiker schätzen, dass zwischen den Jahren 1987 und 1990 fast zwanzig Prozent der Archive vernichtet wurden.
Das Gesetz von 1998 garantiert allen Opfern des kommunistischen Regimes einen uneingeschränkten Zugang zu den Archiven. Als Opfer gelten alle, die vom kommunistischen Sicherheitsapparat bespitzelt wurden und über die dieser Informationen sammelte. Experten gehen davon aus, dass mehr als 200 000 Menschen im kommunistischen Polen Opfer des Sicherheitsapparates waren. Doch bisher ist das Interesse der Opfer an dessen Akten nur gering. Andrzej Paczkowski von der Polnischen Akademie der Wissenschaften:
"Von Anfang an beobachten wir bei den Betroffenen viel Skepsis und Zurückhaltung. In der Zeit, als das Gesetz noch nicht verabschiedet war, sprachen sich die meisten Menschen für einen offenen Zugang zu den Akten der Staatssicherheit aus. Als man sie aber gleichzeitig fragte, ob sie glauben, selbst Opfer des Regimes in diesem Zusammenhang gewesen zu sein, äußerte nur jeder zehnte Befragte eine solche Vermutung. Alle anderen befürworteten die Öffnung der Archive, gingen aber davon aus, dass sie selbst nicht betroffen seien."
Bisher haben sich nur etwa zehn Prozent der Betroffenen für entsprechendes Archivmaterial interessiert. Eingesehen haben die Akten noch weniger, insgesamt etwa 13 000 Opfer. Um das Dreifache größer ist dagegen die Zahl der Wissenschaftler und Publizisten, die heute in den Staatssicherheitsarchiven forschen. Das Gesetz von 1998 erlaubt auch ihnen die Einsicht in die Akten, vorausgesetzt, dass die Informationen zu wissenschaftlichen Zwecken gebraucht werden.
Keinen Zugang haben dagegen Menschen, die selbst als Agenten der Staatssicherheit, bzw. als "informelle Mitarbeiter" identifiziert wurden. Auch dann, wenn sie selbst vor oder nach dieser Tätigkeit zu Opfern der Bespitzelung wurden. Für sie ist die Einsicht in die Akten ausnahmslos versperrt.
Das relativ geringe Interesse der Opfer an den Staatssicherheitsakten verwundert auch die Wissenschaftler und Mitarbeiter der Archive. Man geht davon aus, dass es an dem späten Zeitpunkt der Archivöffnung liegt. Bernadetta Gronek, Direktorin des Archivs im Institut des Nationalen Gedenkens in Warschau:
"Als wir 2001 die ersten Anträge der Opfer bearbeiten konnten, waren bereits zehn Jahre seit dem politischen Umbruch im Land vergangen. In dieser Zeit ist viel passiert. Die Emotionen haben sich gelegt und die meisten Menschen waren mit ganz anderen Alltagsproblemen beschäftigt. Außerdem hörte man in diesen zehn Jahren immer wieder Gerüchte, dass diese Akten zu politischen Zwecken missbraucht würden, dass man sie verfälscht oder gar verschwinden lasse, so dass viele sehr skeptisch geworden sind und lieber gar nicht mit Hilfe dieser Akten in die Vergangenheit eintauchen wollten. Andererseits aber machen wir immer wieder die Erfahrung, dass diejenigen, die es doch tun, uns meistens bestätigen, dass die darin beinhalteten Informationen authentisch seien und ihnen oft einen Aufschluss geben würden."
Viele Wissenschaftler in Polen weisen darauf hin, dass die Art, wie der Zugang zu den Stasi-Akten in Deutschland geregelt wurde, einmalig für den gesamten ehemaligen Ostblock sei. Dies hängt ihrer Meinung nach damit zusammen, dass die Deutsche Demokratische Republik aufgelöst wurde. Diese Zäsur habe den Prozess beschleunigt und vereinfacht. In Polen wurde die Kontinuität der Staaten dagegen beibehalten. Andrzej Paczkowski:
"Polen und andere Länder der Region existieren weiter und müssen die entsprechenden politischen Wandlungen aus eigener Kraft durchmachen. Dieser Prozess hat auch mit Politik zu tun und erfordert deshalb viel Geduld."
Noch einen Grund für das geringe Interesse sehen die Historiker in der Tatsache, dass die Bespitzelung im kommunistischen Polen verglichen mit anderen Ländern für relativ gering gilt. Obwohl die DDR nur halb so groß war wie Polen, sollen dort etwa fünfmal so viele Spitzel tätig gewesen sein. Man geht von etwa 20 000 Agenten und Informanten aus, die für die Staatssicherheit im kommunistischen Polen tätig waren. Endgültige Zahlen sind aber noch nicht vorhanden und immer mehr Historiker wollen in diesem Zusammenhang Überraschungen nicht ausschließen. Eine der kürzlich veröffentlichten Analysen des Instituts des Nationalen Gedenkens hat beispielsweise gezeigt, dass ca. jeder vierte Pfarrer oder Mitarbeiter der Kirche im kommunistischen Polen gleichzeitig für das Sicherheitsapparat gearbeitet hat.
Bis also alle Geheimnisse der kommunistischen Sicherheitsapparates in Polen tatsächlich gelüftet sind, können noch Jahre vergehen. Zumal das Institut des Nationalen Gedenkens zur Zeit mangelnde Personalkapazitäten beklagt. In allen Filialen des Instituts arbeiten insgesamt 500 Menschen, davon ist nur etwa die Hälfte direkt mit Archivarbeiten beschäftigt. Das hat zur Folge, dass die Aktensuche in manchen Fällen bis zu zwei Jahren dauert.
Die Suchprozedur wurde zum großen Teil nach dem Muster der deutschen Gauck-Behörde übernommen. Alles beginnt mit einem Antrag auf Anerkennung als Opfer der Staatssicherheit. Wenn das Institut dem Antragsteller diesen Opfer-Status zusichert, beginnen Historiker mit der mühsamen Vorbereiten der Unterlagen. Je nachdem, über wie viele Informationen man im Vorfeld verfügt, kann es von wenigen Tagen bis zu fast zwei Jahren dauern. Im Durchschnitt sind es sechs Monate. Bei der Herausgabe des Archivmaterials werden zunächst die Namen der Agenten, Informanten, sowie anderer Personen, geschwärzt. Erst auf eine nachdrückliche Bitte der Betroffenen kann das Material noch einmal mit vollständigen Angaben herausgegeben werden. (TS)