Russlands Medienstrategie
9. Juli 2019In nahezu allen Staaten Europas hat es seit 2013 Einmischungsoperationen des Kremls gegeben, um von außen die politische Willensbildung zu beeinflussen. Das ist das Ergebnis des interaktiven Internet-Tools „Authoritarian Interference Tracker“ des German Marshall Fund, der die Einmischung des russischen Staates in andere Länder detailliert auflistet: Um die öffentliche Diskussion – insbesondere in Zeiten von Wahlen oder Referenden – zu manipulieren, haben vom Kreml kontrollierte Informationsanbieter zielgerichtet Desinformation, extrem tendenziöse Informationen und populistische Geschichten verbreitet. Es handelt sich dabei nicht um eine Erweiterung des Meinungspluralismus durch ausgewogene und objektive Informationen, was im Sinne einer freiheitlichen Öffentlichkeit zu akzeptieren ist, sondern um illegitime Einmischung.
Diese neuartigen Desinformationskampagnen nutzen die gestiegene Informationsüberlastung der Menschen in der digitalen Welt aus. Der Informationsraum wird mit einer Vielzahl von Lügen, Halbwahrheiten oder absurden Nachrichten geflutet. Dabei geht es gar nicht darum, zu einem Ereignis oder Aspekt neue Erkenntnisse oder Argumente zu verbreiten. Es geht vielmehr darum, die Bürger durch einen auf diese Weise verstärkten „Informationslärm“ zu verunsichern – gesicherte Fakten und Tatsachen gehen unter oder werden als eine von mehreren Möglichkeiten entwertet.
Die „böse Elite“ herrscht über das „gute Volk“
Nicht nur Russland, auch China und andere autoritäre Länder führen Beeinflussungsoperationen durch, um den gesellschaftlichen Diskurs in Demokratien zu manipulieren. Unter dem Deckmantel eines angeblichen Beitrags zur Meinungs- und Pressefreiheit werden gezielt die Möglichkeiten einer „offenen Gesellschaft“ (Karl Popper) zur Bekämpfung derselben genutzt. Gleichzeitig gehen die autoritären Staaten in ihren nationalen Medienräumen repressiv gegen freie Medien vor und entwickeln sich zu „digitalen Diktaturen“. Es handelt sich um eine neue Form eines expansiven digitalen Autoritarismus, der die Errungenschaften freiheitlicher Demokratien gefährdet.
Das politisch-strategische Ziel ist es, demokratische Prozesse zu unterminieren. Deshalb findet sich das Narrativ, wonach eine „böse Elite“ über das „gute Volk“ herrsche und Wahlen deshalb sinnlos seien, als durchgehendes Motiv in der Berichterstattung der Kreml-Medien RT (Russia Today) und Sputnik, wie das Projekt EUvsdisinfo in zahlreichen Fallstudien belegt hat. Das aus sowjetischen Zeiten bekannte Motiv von den „Kapitalisten“, die das „Proletariat“ unterjochen, ist in eine postmoderne populistische Variante transferiert worden. Wie schon zu Sowjetzeiten wird dieses anti-elitäre Narrativ oft um anti-US-amerikanische Ressentiments erweitert.
Zur Strategie der Kreml-Medien gehört auch, den westlichen Demokratien politische Dysfunktion anzudichten. In einer im Frühjahr 2019 veröffentlichen britischen Studie zu RT und Sputnik kommen Gordon Ramsay und Sam Robertshaw vom Policy Institute des Londoner King’s College zu dem Ergebnis, dass von 2.641 Artikeln, die von RT und Sputnik zu innenpolitischen Themen in Großbritannien, den USA, Frankreich, Deutschland, Schweden, Italien und der Ukraine verfasst wurden, 2.157 Artikel, also 81,7 Prozent, mit Schablonen von politischer Dysfunktion präsentiert werden.
Kreml-Medien als Verstärker populistischer Tendenzen
Durch die Entwertung demokratischer Prozesse in Europa soll die undemokratische Natur des russischen Systems kaschiert und die Macht von Präsident Wladimir Putin legitimiert werden. Zudem zielen die Kreml-Einmischungen in Europa darauf ab, politische Gruppen und Parteien zu schwächen, die sich gegen die Politik des Präsidenten positionieren und Sanktionen für den Kreml fordern. Unterstützung in Putins Medien erhalten meist populistische Parteien in Europa oder Protestbewegungen wie die „Gelbwesten“ in Frankreich. Wie sehr sich der vom Kreml kontrollierte russische Auslandssender RT auf die Gelbwesten-Bewegung in seinem französischen Informationsangebot konzentriert hat, zeigt eine Studie der Kampagnenplattform Avaaz vom Frühjahr 2019.
Der Aufstieg populistischer Parteien in Europa hat sicherlich eine Vielzahl von politischen, historischen, kulturellen, ökonomischen und sozialen Ursachen. Aber unverkennbar wirkt der Kreml mit den von ihm kontrollierten Medien als Verstärker solcher Tendenzen, indem populistische Narrative, polarisierende Stimmungsmache und Desinformation verbreitet werden.