Inflation und Krieg befeuern Wohnungskrise in Deutschland
30. Januar 2023400.000 neue Wohnungen pro Jahr wollte die Bundesregierung bauen, als sie 2021 ins Amt kam. Doch dieses Ziel wird deutlich verfehlt. "Ich gehe nicht davon aus, dass die Zahl in den Jahren 2022 und 2023 erreichbar ist", räumte Klara Geywitz, Ministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, gegenüber dem Nachrichtenportal web.de ein.
Wie groß die Herausforderung ist, zeigt eine jüngst veröffentlichte Statistik. Danach ist die Zahl der Baugenehmigungen für neue Wohnungen rückläufig. Im November 2022 wurden rund 24.300 Wohnungen genehmigt, 16 Prozent weniger als im gleichen Monat des Vorjahres, teilte das Statistische Bundesamt mit.
Mehr Menschen, weniger Baumaterial
Die Bevölkerung in Deutschland ist weiter gewachsen und befindet sich auf einem Allzeithoch von 84,3 Millionen Menschen. Der gleichzeitige Rückgang der Bautätigkeit hat zu einem rekordverdächtigen Wohnungsmangel geführt. Laut einer Studie des Bauforschungsinstituts ARGE fehlen über 700.000 Wohnungen. Dies sei das größte Wohnungsdefizit seit mehr als 20 Jahren.
Die Gründe für das Defizit liegen auf der Hand. Die Corona-Pandemie führte zu Störungen in den weltweiten Lieferketten und in der Folge zu massiven Engpässen bei Baumaterialien. Der Krieg in der Ukraine verschärfte die Situation. Sowohl die Ukraine als auch Russland gehören zu den größten Produzenten von Baustahl und Bauholz.
Mindestens zehn Jahre Wohnungsnot
Hinzu kommen ein Mangel an neuem Bauland, steigende Zinsen, der vielfach dokumentierte Fachkräftemangel in Deutschland und schließlich ein Zustrom von Hunderttausenden Flüchtlingen aus der Ukraine und anderswo, die alle jetzt dringend nach einer Bleibe in Deutschlands Städten suchen.
Demnach sei die Situation viel schlimmer, als Geywitz zugibt, so der Bundesverband Deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW). "Wir schätzen, dass im Jahr 2022 rund 280.000 Wohnungen fertiggestellt wurden, aber nur rund 240.000 im Jahr 2023 und nur noch 214.000 im Jahr 2024", schreibt GdW-Chef Axel Gedaschko der DW auf Anfrage. Deutschland stehe für mindestens die nächsten zehn Jahre ein Wohnungsnotstand bevor.
Mehr Alte, mehr Singles
Neben den sich überschneidenden Krisen, die die Situation derzeit verschärfen, gibt es auch demografische Faktoren. Die Zahl der Single-Haushalte in Deutschland steigt kontinuierlich, während zugleich die deutsche Bevölkerung altert. Ältere Menschen bleiben nicht nur länger in ihren Wohnungen. Sie geben mangels bezahlbarer Alternative selbst dann ihre für eine Familie geeigneten Wohnungen nicht auf, wenn die Kinder ausgezogen sind und der Partner oder die Partnerin verstorben ist.
Gedaschko kritisiert, die Bundesregierung sei weit davon entfernt, das Problem zu lösen. "Tatsache ist, dass die Bundesregierung bisher viel zu wenig getan hat, um ihr eigenes Wohnungsbauziel zu erreichen", meint er. "Die Wohnungsunternehmen brauchen eine langfristige Wohnungsbaupolitik mit einem verlässlichen und adäquaten Finanzierungssystem."
Wachsende Bürokratie
Ein weiteres Problem, mit dem Bauunternehmen konfrontiert sind, ist das, was David Eberhart von der Berlin-Brandenburger Wohnungsbaugesellschaft BBU eine "zügig wachsende" Anhäufung von Vorschriften nennt.
Oft, sagte er, verlangten verschiedene Behörden vom Unternehmen verschiedene Bewertungen, die widersprüchliche Gebäudestandards beinhalten: Anforderungen an den Schallschutz und an die Energieeffizienz beispielsweise erforderten manchmal eine unterschiedliche Isolierung. Es sei, so Eberhart, ein "wildes Dickicht" der Bürokratie.
Vermieter wollen Gewinne machen
Trotz Wohnungsmangel gibt es in Deutschland auch leerstehende Gebäude. Meistens dort, wo sie nicht gebraucht werden. Oder aber, weil sie zu teuer sind. Laut David Eberhart ist die Vermietung einer neu gebauten Wohnung erst ab einem monatlichen Quadratmeterpreis von 13 Euro rentabel. "Alles darunter muss subventioniert werden." Die aktuelle Durchschnittsmiete in Deutschland liegt bei 8,30 Euro pro Monat und Quadratmeter.
Die Lösung könnte mehr sozialer Wohnungsbau sein. Dabei subventioniert der Staat den Bau von Wohnungen, und die Eigentümer garantieren, diese Wohnungen 20 bis 25 Jahre lang für eine geringe Summe zu vermieten. Doch der soziale Wohnungsbau ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig zurückgegangen.
Zu hohe Kosten
Von einst drei Millionen Sozialwohnungen waren laut Statistischem Bundesamt 2006 noch zwei Millionen übrig. Jetzt sind es nur noch eine Million. Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, dass von den 400.000 jährlich neu zu bauenden Wohnungen 100.000 Sozialwohnungen sein sollen. Tatsächlich wurden 2022 aber nur 20.000 Sozialwohnungen neu geschaffen, so der Deutsche Mieterbund.
Für Experten wie Dietmar Walberg, Geschäftsführer des ARGE-Instituts, lässt das nur den Schluss zu: die Regierung hat das Ausmaß des Problems unterschätzt. Am Ende habe das vor allem mit Geld zu tun, sagt er. "Wenn sie 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen wollen, von denen 100.000 subventioniert sein sollen, dann müssen sie dafür tief in ihre Tasche greifen."
50 Milliarden Euro für den Wohnungsbau?
Nach Walbergs Berechnungen kostet der Bau von Wohnungen etwa 5.000 Euro pro Quadratmeter, und mindestens 2.000 Euro davon müssten subventioniert werden, um Wohnraum erschwinglich zu machen. Deshalb gehört Walberg zu denen, die die Regierung auffordern, einen speziellen, mit 50 Milliarden Euro gefüllten Wohnungsbaufonds einzurichten. Vergleichbar mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, die Kanzler Scholz der Bundeswehr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine versprochen hat.
Mieterverbände schließen sich dieser Forderung an. Ihrer Meinung nach könnte die Regierung aber noch mehr tun, um neue Sozialwohnungen zu schaffen. Beispielsweise Gewerbeimmobilien als Wohnraum zulassen oder dafür sorgen, dass die Auflagen für Sozialwohnungen länger bestehen bleiben.
Investoren profitieren von Subventionen
"Das ist ein großes Problem in Deutschland", sagt Jutta Hartmann, Sprecherin des Deutschen Mieterbundes, der DW. "Soziale Verpflichtungen wie die Mietpreisbremse bestehen nur für eine gewisse Zeit. Und wenn die vorbei ist, geht die Wohnung auf den freien Markt und kann genutzt werden, um Gewinne zu erzielen."
Das bedeutet auch, dass Bauträger die staatlichen Subventionen zur Schaffung von Sozialwohnungen nutzen und einkalkulieren, dass sie 20 Jahre später mit dem Grundstück noch Gewinne machen können. "Das ganze Thema des sozialen Wohnungsbaus wurde jahrelang vernachlässigt", meint Hartmann. "Offenbar gab es kein politisches Interesse daran, die Gesetze zu ändern oder den Bau von Sozialwohnungen für Investoren attraktiver zu machen."
Klimaschutz macht Bauen teurer
Was sich geändert hat, ist schon allein die Schaffung eines eigenen Ministeriums für Bauen und Wohnen in der Regierung Scholz. Erstmals seit 1998 widmet damit eine Bundesregierung dem Thema wieder ein eigenes Ressort. Verbunden allerdings mit einer großen Frage, die nach wie vor unbeantwortet ist: Wie lassen sich die ehrgeizigen Wohnungsbauziele der Regierung mit ihren ebenso ehrgeizigen Klimaschutzzielen in Einklang bringen?
Geywitz kündigte kürzlich an, jährlich 750 Millionen Euro für klimafreundliches Bauen bereitzustellen. Mehrere Wohnungsbaugesellschaften kritisierten diese Zahl sofort als lächerlich gering in einem Markt, in dem jedes Jahr zig Milliarden Euro in den Bau investiert werden müssten.
Am Ende zahlen die Mieter
Vermieter haben unterdessen festgestellt, dass die Wärmedämmung von älteren Häusern ihnen viel Geld einbringen kann - weil sie selbst nicht dafür bezahlen müssen. "Aus Mietersicht bedeutet jede klimafreundliche Sanierung eines Gebäudes automatisch eine Mieterhöhung", so Jutta Hartmann vom Deutschen Mieterbund. "Das deutsche Mietrecht macht das möglich. Wenn ein Vermieter sein Gebäude renoviert, darf er alle Kosten an die Mieter weitergeben. Das ist nicht fair, wenn ein Teil der Bevölkerung im Wesentlichen die finanzielle Last der klimafreundlichen Modernisierung schultert."
Dieses Problem habe die Regierung bis jetzt noch gar nicht erfasst, konstatiert Dietmar Walberg vom Bauforschungsinstitut ARGE. "Der Hauptkonflikt zwischen der Bezahlbarkeit des Klimaschutzes und der Bezahlbarkeit von Wohnraum wird mit Worten überklebt: 'Ja, das müssen wir alles machen, ja, das schaffen wir, das ist kein Problem.' Aber es ist ein Problem, es ist ein massives Problem, und es wird nicht richtig eingeschätzt."