Indonesien verschärft Druck auf Islamisten
19. Juli 2017Die Hizb-ut Tahrir (zu deutsch: Partei der Befreiung) ist weltweit aktiv. 1953 in Ostjerusalem gegründet, unterhält sie enge Kontakte unter anderem zur ägyptischen Muslimbruderschaft. In Deutschland ist die Hizb-ut-Tahrir schon seit 2003 verboten. Auch in der Türkei und vielen arabischen Ländern gilt ein generelles Betätigungsverbot. Denn die Bewegung lehnt das Konzept islamischer Nationalstaaten genauso grundlegend ab wie das demokratischer oder säkularer Staatsformen. Stattdessen richtet sich die Hizb-ut Tahrir an alle Muslime und strebt die Errichtung eines weltweiten Kalifates mit der Scharia als Rechtsgrundlage an. Dabei wendet die Gruppe selbst zwar keine Gewalt an, sie soll aber bewusst Mitglieder radikalisieren und sie dann anderen, gewaltbereiten Organisationen zuführen.
In Indonesien lange geduldet
Auch in Indonesien ist die Hizb-ut Tahrir aktiv. Schätzungen zufolge soll sie hier - als HTI ("Hizb-ut Tahrir Indonesia") - mehrere zehntausend Mitglieder stark sein. Mitglieder der Organisation haben wiederholt zu Protestmärschen gegen die Regierung aufgerufen. Bei Demonstrationen halten sie immer wieder Transparente in die Höhe, auf denen sie ein "Kalifat statt Demokratie", die Abschaffung des liberalen Kapitalismus oder landesweit den Austausch des geltenden Rechtssystems durch die Scharia fordern. Bislang hat die Regierung in Jakarta die Gruppe gewähren lassen. Doch in der vergangenen Woche ebnete Präsident Joko Widodo den Weg für ein Verbot. In einem Präsidentenerlass ermächtigte er die Regierung dazu, ohne weiteren Gerichtsbeschluss alle Organisationen verbieten zu können, die gegen die Verfassung und gegen die offizielle staatliche Ideologie "Pancasila" verstoßen, die Demokratie, soziale Gerechtigkeit und die Gleichbehandlung der fünf größten Weltreligionen vorschreibt.
Es ist das erste Mal seit dem Sturz von Diktator Suharto 1998, dass ein derartiges präsidentielles Dekret erlassen wurde. Und es ist nicht die einzige Maßnahme gegen radikale Islamisten. Beim G20-Gipfel in Hamburg hat Indonesiens Präsident versprochen, härter gegen den Islamismus im eigenen Land vorzugehen. Derzeit ist ein neues Anti-Terror-Gesetz in Arbeit, das der Armee weitreichende Kompetenzen im Kampf gegen Extremisten zubilligen soll. Und vergangene Woche hat Indonesiens Regierung dem Messengerdienst "Telegram" mit einem Verbot gedroht, wenn dieser nicht stärker gegen die Verbreitung extremistischer Ideologien vorgehe sowie seine Nutzerdaten und die Kommunikationskanäle radikalislamischer User offenlege.
Präsident Jokowis deutlicher Kurswechsel
Diese jüngsten Schritte markieren einen Kurswechsel in der Politik von Präsident Jokowi, dem in den vergangenen Jahren oft vorgeworfen wurde, zu nachgiebig mit islamistischen Tendenzen im eigenen Land umgegangen zu sein. Als zu Jahresbeginn islamistische Kreise zu Massenprotesten gegen Ahok aufriefen, den damaligen christlich-chinesischen Gouverneur von Jakarta, weil dieser angeblich den Koran beleidigt haben soll, da hatte sich Jokowi nicht öffentlich hinter seinen engen Vertrauten gestellt. Neben der HTI hatte hier vor allem die deutlich gewaltbereitere FPI (Front Pembela Islam – Front zur Verteidigung des Islam) die Massen mobilisiert. Die FPI hat in der Vergangenheit nicht zuletzt durch Angriffe ihrer Schlägertrupps auf Bars, Nachtclubs, christliche Kirchen und religiöse Minderheiten wie die Ahmaddiyyah auf sich aufmerksam gemacht, ohne dass dies zu einer konsequenten Verurteilung durch den Präsidenten geführt hätte.
All dies wurde Präsident Jokowi von seinen politischen Gegnern als Zeichen der Schwäche ausgelegt. Diesem Bild will Jokowi mit seinem jüngsten Dekret und dem jetzigen Verbot der HTI deutlich entgegentreten. Der indonesischen Zeitschrift "Kompas" zufolge soll die Regierung bereits eine Liste mit weiteren islamistischen Organisationen angefertigt haben, die demnächst verboten werden sollen. Möglicherweise hat auch der Kampf der philippinischen Armee gegen IS-Anhänger auf Mindanao zu diesem Umdenken geführt. Denn Indonesien fürchtet schon länger eine steigende Bedrohung der Sicherheitslage durch einsickernde IS-Kämpfer, die entweder aus Syrien und dem Irak heimkehren oder durch die Militäroperation auf Mindanao Richtung Indonesien gedrängt werden.
Kritik von Islamisten und Menschenrechtlern
Die liberalen muslimischen Massenorganisationen Muhammadiyah und Nadhlatul Ulama (NU) weiß der Präsident dabei hinter sich. Dem Justizexperten Robikin Emhas von der NU könnten die Maßnahmen durchaus noch weiter gehen: "Ähnlich wie bei einem Krebsgeschwür, dessen Zellen in kürzester Zeit wachsen und sich ausbreiten, muss man auch gegen den Extremismus besonders schnell vorgehen. Auch rechtlich. Die jetzige Regelung ist gut. Aber sie ist leider nicht genug", äußerte Emhas sich auf der offiziellen Internetseite der NU.
Doch auf der anderen Seite hat Präsident Jokowis Dekret auch für einen großen Aufschrei der Empörung gesorgt. Natürlich bei den Islamisten, die seitdem auf noch breiterer Front Stimmung gegen Jokowi machen. Die HTI hat bereits angekündigt, das Verbot gerichtlich anzufechten. Kritik kommt aber auch von Menschenrechtlern. Denn das Dekret richtet sich nicht nur explizit gegen islamistische Gruppen, sondern kann theoretisch gegen jede Organisation angewandt werden, die die staatliche Ideologie Indonesiens in Frage stellt. Schon im Februar 2017 hatte Präsident Jokowi gesagt, dass die Demokratie in Indonesien "zu weit gegangen" sei: "Wir können eine Demokratie besitzen, aber darin gibt es keinen Platz für Liberalismus, Radikalismus, Fundamentalismus, Sektiererei, Terrorismus oder andere Ideologien, die sich gegen die Pancasila richten."
Diese Lesart aber gibt der Regierung den Freibrief, nicht nur islamistische, sondern auch ganz andere Organisationen zu verbieten: Zusammenschlüsse etwa, die keiner der fünf monotheistischen Weltreligionen angehören: Atheistische Organisationen etwa. Oder zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich für LGBT-Rechte einsetzen.
Ein Zeichen der Stärke im innerindonesischen Machtkampf
Für Präsident Jokowi dürften derartige Überlegungen derzeit aber nicht die größte Rolle spielen. Sein politischer Umschwung ist eher eine Art innenpolitische Flucht nach vorn - und dabei auch nur zum Teil eine Antwort auf den zunehmenden Einfluss des fundamentalistischen Islam im Land. Denn Jokowi steht im Hinblick auf die nächsten Präsidentschaftswahlen 2019 von verschiedenen Seiten unter Druck. Die massiven Proteste gegen Jokowis langjährigen engen Vertrauten Ahok im Frühjahr waren auch ein indirekter Angriff auf den Präsidenten selbst, und zwar nicht nur von fundamentalistischen Islamisten, sondern mutmaßlich organisiert und finanziert von seinen politischen Hauptwidersachern Agus Yudhoyono und Prabowo Subianto.
Gerade Ex-General Prabowo hat seine Niederlage gegen Jokowi bei der vergangenen Präsidentschaftswahl noch nicht verwunden. In der Zeit des Sturzes von Ex-Diktator Suharto war Prabowo in einen armeeinternen Machtkampf verwickelt. Als Anführer des islamischen Flügels der Armee unterlag er damals gegen den nationalistischen Flügel. Doch in seiner politischen Karriere danach stützte Prabowo sich immer wieder auf seine Gefolgsleute von damals. Prabowo hat keine Skrupel, sich islamistischer Gruppierungen zu bedienen, um Präsident Jokowi als verletzlich und führungsschwach zu diskreditieren.
Mit dem jetzt ausgesprochenen Dekret versucht Jokowi auch, den innerindonesischen Machtkampf wieder stärker zu seinen Gunsten zu gestalten. Das letzte Woche erlassene Dekret gilt erst einmal bis zum Ende von Jokowis Amtszeit 2019. Bis dahin hofft der Präsident, nicht nur die islamischen Fundamentalisten, sondern auch seine gemäßigteren politischen Gegenspieler soweit in Schach halten zu können, dass sie seine Wiederwahl nicht gefährden.