Indien: Erneut Angriffe auf Kirchen
10. Januar 2023Der Zorn war offenbar groß, der im zentralindischen Bundesstaat Chhattisgarh Hindu-Extremisten zum Angriff gegen eine katholische Gemeinde trieb. Hunderte von ihnen drangen Anfang vergangener Woche auf das Gelände der Herz-Jesu-Kirche im Bezirk Narayanpur vor, bewarfen sie mit Steinen und demolierten die gesamte Inneneinrichtung einschließlich des Altarkreuzes.
Der Angriff ist nicht der erste seiner Art in der Region. Vor wenigen Wochen attackierten radikale Hindu-Nationalisten im Bezirk Kondagaon insgesamt 33 Dörfer und vertrieben die Bewohner aus ihren Häusern. Bei den Bewohnern handelt es sich um indigene Stammesangehörige, sogenannte Adivasi, welche verschiedene Ethnien umfassen.
Nach dem Angriff wurden fünf Personen verhaftet, unter ihnen ein örtlicher Vertreter der Regierungspartei Bharatiya Janata Party (BJP) von Ministerpräsident Modi. Die BJP teilte mit, sie habe mit der gegen die Christen gerichteten Kundgebung der Hindu-Nationalisten, die dem Angriff vorausgegangen war, nichts zu tun.
Die Angriffe sind auch mit Blick auf das gesamte Land kein Einzelfall: Einem gemeinsam von den beiden indischen Organisationen "United Christian Forum" und "Association for Protection of Civil Rights" sowie der amerikanischen Initiative "United Against Hate" herausgegebenen Bericht zufolge wurden in den ersten neun Monaten des Jahres 2021 mindestens 305 Vorfälle von Gewalt gegen Christen registriert. Dieser Religion gehören 2,3 Prozent bzw. 28 Millionen der 1,2 Milliarden zählenden indischen Bevölkerung an.
Schwierige Lage der Stammesbevölkerung
Die Angriffe spiegelten die besondere demographische Situation im Bundesstaat Chhattisgarh wider, sagt Indien-Experte und Politikwissenschaftler Pierre Gottschlich von der Universität Rostock im DW-Gespräch. Er weist darauf hin, dass der Anteil der Adivasi in Chhattisgarh mit rund einem Drittel der Bevölkerung weit über dem landesweiten Durchschnitt liegt.
Doch konfessionell und damit auch politisch befänden sich die Adivasi in einer komplexen Situation: Manche Angehörige dieser Stammesbevölkerung seien im Laufe der Zeit zum Hinduismus bekehrt worden, andere hingegen hätten sich dem Christentum zugewandt. "Das hat dazu geführt, dass sich die Adivasi in einem Kampf um ihre konfessionelle und kulturelle Zugehörigkeit stehen. Oft werden sie als Kollektiv misstrauische beäugt: Sind sie Hindus, sind sie keine Hindus? Dieses Misstrauen tragen sie auch innerhalb ihrer eigenen Ethnie aus. Denn auch die nun angegriffenen Christen gehören den Adivasi an."
Allerdings, so Gottschlich, gehe es bei diesen Konflikten teils auch um ganz andere Dinge. "Da wird unter dem Deckmantel der Religion etwa auch um Landbesitz gestritten. Das stehen handfeste materielle Interessen auf dem Spiel."
Es sei kein Zufall, dass die Angriffe gerade jetzt stattgefunden hätten, sagt Gottschlich. "Es waren die Tage des Weihnachtsfestes, an denen die Christen aufgrund ihrer Feiern viel sichtbarer sind als sonst. Das sorgt bei den Nationalisten für enormen Unmut." Insgesamt bekennen sich in Chhattisgarh nur knapp zwei Prozent der Bevölkerung zum Christentum. Hinzu kommt: Im November 2023 finden in diesem Bundesstaat Wahlen statt. Das, so Gottschlich, heize die politische Stimmung schon jetzt zusätzlich auf.
Zugenommen haben die Angriffe seit dem Jahr 2014, als die BJP von Narendra Modi an die Macht kam. Einem Bericht der indischen NGO "Persecution Relief" zufolge haben sich die Straftaten gegen Christen zwischen 2016 und 2019 mehr als verdoppelt.
"Wir sehen, dass die politische Klasse ihren Traum, Indien zu einer Hindu-Nation zu machen, weiterhin verfolgt", sagt James Panavelil, stellvertretender Pfarrer an der St. George Church in dem Ort Cherthala im Bundesstaat Kerala. Es sei offen, wie sich der Wahlkampf auf die Christen und Muslime des Landes auswirke, meint er. Erste Auswirkungen zeigt die Gewalt bereits jetzt: Eine vor 22 Jahren zum Christentum konvertierte Familie habe jetzt beschlossen, zum Hinduismus zurückzukehren, berichtete die indische Zeitung "News Riveting" in ihrer Ausgabe vom 6. Januar.
Vorwurf der Missionierung
Motiviert wurden die Angriffe zudem durch den Vorwurf, die christlichen Adivasi hätten versucht, ihre hinduistischen Mitbürger für das Christentum zu gewinnen. Für Aufruhr sorgt dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund strenger Gesetze gegen Religionswechsel, die es nicht nur in Chhattisgarh, sondern auch anderen indischen Bundesstaaten gibt.
"Der Vorwurf der Missionierung wird gegenüber Christen in Indien häufig erhoben", sagt Pierre Gottschlich von der Universität Rostock. "Oftmals kommt es gar nicht darauf an, ob er zutrifft oder nicht, es reicht der bloße Verdacht." Dabei seien die Grenzen dessen, was juristisch unter "Missionierung" verstanden wird, sehr eng gezogen. "Vielfach ist es so, dass allein schon das Sprechen über den christlichen Glauben als Missionierungsversuch ausgelegt wird."
Umgekehrt versuchten Hindu-Nationalisten, christliche Adivasi zur "Rückkehr" zum Hinduismus zu bewegen. Dem liege die Auffassung zugrunde, dass die Christen letztlich konvertierte Hindus seien, sagt Gottschlich. "Eine solche Sicht ist natürlich äußerst fragwürdig. Denn es gibt in Indien ganz alte christliche Gemeinden wie etwa die in Kerala im Süden des Landes. In Teilen ist die christliche Kirche in Indien älter als die in Europa. Das Argument, es würden Personen zurück zum Hinduismus gedrängt, die durch missionarische Arbeit erst vor wenigen Jahrzehnten zum Christentum bekehrt wurden, trifft vielfach schlicht nicht zu."
Auch Pierre Gottschlich beobachtet in den letzten Jahren eine verstärkte Agitation gegen Christen. Er verweist etwa auf die Weihnachttage des Jahres 2021, als die Arbeit der Mutter-Teresa-Stiftung in Indien massiv eingeschränkt und die Konten der Stiftung eingefroren wurden. "Ein zentraler Teil der Argumentation war, die Stiftung erhalte Gelder aus dem Ausland und sei damit als ausländischer Agent tätig. Zudem wurde ihr wie auch anderen christlichen Hilfsorganisationen vorgeworfen, unter dem Deckmantel des karitativen Engagements betreibe sie Missionsarbeit. Solche Vorwürfe sind natürlich beunruhigend."